Start des Heiligen Jahres 2016

"Ein großes Trainingslager für die katholische Kirche"

Papst Franziskus im Vatikan
Papst Franziskus hat das Heilige Jahr der Barmherzigkeit eröffnet. © dpa/picture alliance/Fabio Frustaci / Eidon
Thomas Söding im Gespräch mit Nana Brink · 08.12.2015
Papst Franziskus hat in Rom das Heilige Jahr eröffnet. Dieses steht im Zeichen der Barmherzigkeit. Der Theologe Thomas Söding meint: "Die katholische Kirche muss erst mal selber um Barmherzigkeit bitten, bei all dem , was sie auf dem Kerbholz hat".
Die Barmherzigkeit sei ein Richtungsweiser für die katholische Kirche, erklärte Thomas Söding, Professor an der Ruhr-Universität Bochum mit Blick auf das Motto des Heiligen Jahres, das Papst Franziskus am Dienstag eröffnet hat.
Papst Franziskus als Kirchenreformer
Genau in diese Richtung habe der Papst bereits zahlreiche Schritte getan:
"Revolutionär ist er vielleicht nicht, aber er ist jemand, der die Kirche für heute und für morgen entwickeln soll, und da sieht er, dass dieses Moment der Barmherzigkeit das ist, was der katholischen Kirche fehlt und was im 21. Jahrhundert neu entdeckt werden muss."
Der Theologieprofessor erwartet zudem weitere Schritte des Papstes in der Streitfrage um die heiligen Sakramente für geschiedene Katholiken.
"Da hat die Familiensynode so ganz leicht die Tür geöffnet. Da bin ich ganz sicher, dass der Papst will, dass viele da durchgehen."
_________________________________________________________________________
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Barmherzigkeit – ein großes Wort, ein sehr altmodisches Wort, aber eines, das wohl jeder im Munde führen könnte, der sich einer der großen Religionen oder dem Humanismus verpflichtet fühlt. Barmherzigkeit, ein Begriff, der ein wenig aus der Zeit gefallen scheint, und für Papst Franziskus bedeutet das, den Hungrigen zu Essen zu geben, Fremde aufzunehmen und bei Armut und Leid nicht wegzuschauen. Eine mitfühlende Kirche, das hat er ja seit seinem Amtsantritt immer wieder gefordert. Heute beginnt das von ihm ausgerufene "Heilige Jahr". Das soll auch ganz unter dem Zeichen dann der Barmherzigkeit stehen. Thomas Söding ist katholischer Theologe und Professor für neutestamentliche Exegese an der Ruhr-Universität Bochum. Schönen guten Morgen, Herr Söding!
Thomas Söding: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Vielleicht vorab, bevor wir auf die Barmherzigkeit kommen, ein paar Worte der Erklärung zu diesem "Heiligen Jahr". Was macht das so besonders, dieses Jahr, dass es heilig ist?
Söding: Das ist eine Spezialität der katholischen Kirche. Sie hat ja einen langen Atem, und alle 25 Jahre wird ein regelmäßiges Heiliges Jahr gefeiert. Das geht bis auf vierzehnhundertsoundsoviel zurück. Die katholische Kirche hat ja ein positives Verhältnis zur Schöpfung, zur Zeit, und deswegen denkt sie in solchen Rhythmen. Und dann gibt es immer Ausnahmen. Und Ausnahmen sind in diesem Jahr ein Thema, Barmherzigkeit, und das zeigt einfach nach Franziskus, das Thema ist dran, das muss ganz oben auf die Tagesordnung.
Brink: An wen richtet der Papst denn diesen Appell nach Barmherzigkeit? Ist das an die eigene Kirche, oder ist das eher in die Welt, in die Politik hinaus?
Söding: Franziskus ist ja ein politischer Papst, aber er ist auch ein Kirchenreformer. Deswegen denke ich, da darf man keine falsche Alternative aufstellen. Die katholische Kirche muss erst mal selber um Barmherzigkeit bitten, bei all dem vielen, was sie auf dem Kerbholz hat, muss sozusagen vom hohen moralischen Ross erst mal runtergehen. Da hat der Papst ja viele, viele Zeichen gesetzt. Und auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass nicht nur bestimmte Gruppen in der Kirche auf Barmherzigkeit angewiesen wären, sondern eben auch in der Welt der Politik es nicht nur nach Recht und Gesetz gehen kann, sondern es muss einfach auch das Herz sprechen, und da hat der Papst eben halt Gesten gesetzt, und dieses Jahr der Barmherzigkeit ist, wenn man so will, ein großes Trainingslager für die katholische Kirche, dass sie sich in diese Mentalität einübt.
Papst öffnet Heilige Pforte des Petersdoms
Brink: Was wird denn in diesem Trainingslager alles eingeübt?
Söding: Das werden wir sehen. Es werden ja heute erst mal ganz einfache und sprechende Gesten gesetzt werden. Ich meine, es wird eine Tür geöffnet im Petersdom. Man kommt auch so rein durch die Tür ganz rechts außen, aber diese Tür, die ist eben ein Symbol. Wer da durchgeht, der soll eben halt das mit einem geläuterten Herzen tun, soll wissen, warum er in die Kirche gehen soll, soll auch wissen, dass er aus der Kirche wieder herausgehen muss, um da als besserer Mensch zu leben, und das wird sozusagen von Rom aus flächendeckend über die ganze katholische Kirche auf der ganzen Welt gemacht, weil ja nicht jeder nach Rom kommen kann, aber jeder Barmherzigkeit verdient und auch Barmherzigkeit üben soll.
Brink: Ich möchte ein bisschen noch auf diesem Begriff Barmherzigkeit insistieren, weil eigentlich kann den ja jeder in den Mund nehmen, es kann ihn jeder benutzen. Jeder fühlt sich da irgendwie aufgehoben, weil man kann ja eigentlich auch nichts gegen Barmherzigkeit sagen. Was will der Papst, was versteht er unter Barmherzigkeit, wem gegenüber?
Söding: Ja, Sie haben das am Anfang gesagt, es ist ein altehrwürdiges Wort. Es ist ein religiöses Wort, es ist auch ein sehr menschliches Wort. Wer Barmherzigkeit übt, hat etwas zu geben und hat andere Menschen vor Augen, die in Not sind, die mit ihrer Situation nicht zurechtkommen, die vielleicht auch Schuld auf sich geladen haben. Und es ist das Entscheidende, nicht auf die draufzuprügeln, sie sozusagen mit Worten oder Taten fertigzumachen, sondern die eigenen Ressourcen zu nutzen, damit es den anderen halt besser geht. So einfach ist diese Barmherzigkeit, und das soll von Herzen kommen. Das soll nicht nur einfach, sagen wir mal, managementmäßig gut organisiert sein, sondern es soll eine Herzensangelegenheit sein. Und jetzt ist ganz wichtig: Dass diejenigen, die Barmherzigkeit üben, nicht sozusagen immer das Ganze nur von oben herab tun. Und deswegen ist entscheidend, dass diejenigen, auch die Kirche gerade in erster Linie, die sich der Barmherzigkeit verpflichtet, sagt, zunächst mal sind wir selber drauf angewiesen, Barmherzigkeit zu erfahren, von Gott und von den anderen Menschen.
Barmherzigkeit auch für Geschiedene?
Brink: Aber wem gegenüber? Also ganz konkret: Es gibt ja eine Menge Gruppen in der katholischen Kirche, die es nicht gut haben. Ich sage mal, die Homosexuellen, die Geschiedenen, Frauen, die abgetrieben haben. Wird das jetzt konkret in diesem Jahr? Erfahren die Erleichterung, Barmherzigkeit?
Söding: Wir werden das sehen. Ich würde allerdings unterscheiden: Ob jetzt die Homosexuellen wirklich auf Barmherzigkeit angewiesen sind oder ob sie vielleicht zunächst mal Gerechtigkeit brauchen, darüber kann man ja streiten. Es gibt Menschen, die wirklich mit ihrer Situation nicht klarkommen, denen es ganz schlecht geht. Das sind auch viele Menschen, die von sich sagen würden, wir haben Schuld auf uns geladen, müssen die sozusagen darauf festgenagelt werden, oder können sie weiter nach vorne gehen. Da hat die Familiensynode, die ja gerade stattgefunden hat, das Augenmerk unter anderem auf diejenigen gerichtet, deren Ehen zerbrochen sind. Da bin ich ganz sicher, dass dieses Barmherzigkeitsthema innerkirchlich betrachtet da eine Entwicklung anstoßen soll.
Brink: Was für eine Entwicklung ganz konkret? Es pressiert ja viele.
Söding: Es geht darum, dass diese Menschen mit sich selber, mit der Kirche wieder versöhnt werden können. Das spitze ich ein bisschen zu, bei der Zulassung zu den Sakramenten, vor allen Dingen zur Kommunion, da hat die Familiensynode, die ja vor Kurzem stattgefunden hat, so ganz leicht die Tür geöffnet. Da sind aber noch nicht viele durchgegangen, da bin ich ganz sicher, dass der Papst will, dass viele da durchgehen, dass es dann eben halt auch im Einzelfall die entsprechende Möglichkeit gibt, dass man an den Sakramenten teilnehmen kann, und da ist eben so ein Jahr Barmherzigkeit so was wie ein Richtungsweiser, wohin die Kirche gehen soll. Aber das ist nicht sozusagen bis ins Letzte ausbuchstabiert. Da kommt keine Kasuistik zustande, sondern da muss auch viel sozusagen vor Ort an Initiativen entwickelt werden.
Papst entdeckt Barmherzigkeit für katholische Kirche
Brink: Aber wenn man sich vorstellt, dass – bleiben wir bei diesem Beispiel der Geschiedenen –, dass es da jetzt Erleichterungen, dass es einen Weg durch diese Tür gibt während dieses Heiligen Jahres. Was passiert dann danach? Wird das dann in Form gegossen, und kann man sagen, er ist wirklich ein Reformer, oder verpufft es?
Söding: Wichtig ist erst mal, dass man jetzt nicht sagt, wir machen jetzt ein Jahr Barmherzigkeit, und dann werden wir wieder unbarmherzig.
Brink: Schlagen wir die Tür wieder zu ...
Söding: Das muss natürlich in der Richtung weitergehen. Ich sehe Franziskus zunächst mal auch als einen, der von einem Reformorden der katholischen Kirche kommt, ein Jesuit, so ein Pater, der durch Predigt, durch Beispiel die Kirche aufrütteln will, sie auf ihre eigene Sendung zurückführen will. Revolutionär ist er vielleicht nicht, aber er ist schon jemand, der die Kirche für heute und für morgen entwickeln soll. Und da sieht er halt das pastorale Element, dass dieses Moment der Barmherzigkeit das ist, was der katholischen Kirche fehlt, wenn man im ganz großen Bogen sagt, was im 19., 20. Jahrhundert fehlt und was eben im 21. Jahrhundert neu entdeckt werden muss.
Brink: Der Theologe Thomas Söding. Vielen Dank, Herr Söding, für das Gespräch. Heute wird der Papst mit einer Messe das "Heilige Jahr" eröffnen, das ganz unter dem Thema der Barmherzigkeit stehen soll.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema