Starorchester unter dem Hakenkreuz

Moderation: Gabi Wuttke · 24.08.2007
Die Berliner Philharmoniker sind das Aushängeschild unter den deutschen Orchestern. Doch in der Geschichte der seit 125 Jahren bestehenden Philharmoniker gibt es ein dunkles Kapitel. Der kanadische Politik- und Musikwissenschaftler Misha Aster hat in "Reichsorchester. Die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus" die Zusammenarbeit zwischen Musikern und NS-Diktatur beleuchtet.
Gabi Wuttke: Die Berliner Philharmoniker: Das Orchester-Flaggschiff feiert in der neuen Saison ganz groß seinen 125. Geburtstag. Doch erst jetzt gibt es eine erste Bestandsaufnahme der Zeit als "Reichsorchester". Im Studio begrüße ich jetzt den kanadischen Politik- und Musikwissenschaftler Misha Aster, 28 Jahre alt, dessen Buch "Reichsorchester. Die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus" heute erscheint.

Ihre Studie wird schon jetzt als bahnbrechend gefeiert, weil Sie endlich die Aufarbeitung einer bedeutsamen Lücke in großem Stil in Angriff genommen haben. Den Anstoß dazu gab der Orchester-Archivar Walter Küssner. Wie reagierten die Philharmoniker auf diese Idee?

Misha Aster: Das Orchester jetzt heute und über die letzten sagen wir zehn Jahre hat sich wesentlich geändert. Es ist ein viel jüngeres Orchester geworden, und die einzelnen Musiker stellen sich auch jetzt Fragen darüber, was nicht mehr ein persönlich betreffendes Thema ist, sondern sie können es mit ein bisschen Abstand jetzt sehen. Und es gibt eine Neugier einfach, was damals los war. Es gibt wenige Leute, die noch so etwas persönlich angegriffen von dem Thema sich fühlen. Daher so ein eher offener Geist. Es ist ein sehr internationales Orchester geworden. Es gibt heutzutage auch mehr Orchestermitglieder jüdischer Abstammung als es 1933 in dem Orchester gab.

Wuttke: Da waren es vier.

Aster: Da waren es nur vier. Und daher herrscht jetzt ein offener Geist und ein offenes Gehirn in Richtung dieses Themas. Das ist jetzt ein begehbarer Bereich.

Wuttke: Was waren denn für Sie die interessantesten Quellen. Es gibt ja auch noch einige Zeitzeugen von der Zeit zwischen 33 und 45.

Aster: Das war ein wichtiger Anfangspunkt. Wir hatten das Glück, dass, als die Arbeit anfing, es noch einige Zeitzeugen gab, also entweder Orchestermusiker, ehemalige Philharmoniker von damals, die noch in dem Orchester vor 45 gespielt haben, aber auch Nachfahren, Verwandte, die auch Zugang zu Quellen hatten.

Wuttke: Wie war das denn bei den Zeitzeugen von damals? Haben die gesagt, als sie bei ihnen an der Tür geklopft haben, warum ist da nicht schon vor Jahren jemand gekommen, warum kommen Sie erst jetzt?

Aster: Also ich war eigentlich sehr tief davon betroffen. Einer, der Herr Hartmann, der 1943 in das Orchester kam, hat ein Buch geschrieben über seine Erinnerung von dem Orchester in der Stunde Null. Es gab aber einen anderen ehemaligen Philharmoniker, der sehr überlegen war und ein ganz zarter Mensch. Es brauchte so etwa zwei oder drei Treffen, bevor es wirklich anfing mit ihm, die Erinnerung zurück zu bekommen. Als wir uns verabschiedet haben, dankte er mir. Und ich fand es so merkwürdig, weil ich hatte alles zu danken, dass er so seine Erinnerung mit mir teilen konnte und wollte. Und er sagte, nein, ich muss mich bedanken, weil das hat ihm Gelegenheit gegeben zum ersten Mal seit 60, 70 Jahren, diese Erfahrungen haben sein Leben geändert, aber seitdem hat ihn niemand gefragt, nie seine Kinder, nie seine Frau. Es war wirklich für ihn wie eine Reise zurück in seine Vergangenheit.

Wuttke: Die Berliner Philharmoniker standen 1933 finanziell ziemlich mies dar. Als Reichsorchester wurden sie dann zum wichtigsten Instrument nationalsozialistischer Kulturpropaganda im Ausland. Was haben Sie über die Rolle von Wilhelm Furtwängler herausgefunden, in dessen Laden es ja zu dieser Zeit, also bevor die Berliner Philharmoniker Reichsorchester wurden, aus vielerlei Gründen ziemlich turbulent zuging.

Aster: Es gibt Hunderte Biographien über Furtwängler, und er ist eine sehr unumstrittene Figur. In Beziehung zum philharmonischen Orchester aber spielte er eine ganz wichtige Rolle. Er war eine Schlüsselfigur in der sagen wir Eheschließung zwischen dem Orchester und des Reichs. Er war der Überzeugung, dass durch diese Eheschließung das Orchester sich das Reich unterstellt als einzigen Weg des Orchesters, sich zu schützen, dass diese Übernahmen von dem Reich die wirtschaftliche Zukunft des Orchesters, die finanzielle Zukunft des Orchesters zusichern würde.

Wuttke: Wer war denn dabei Braut und wer Bräutigam?

Aster: Es gab Kompromisse auf beiden Seiten. Und es war im Frühjahr 1933 gar nicht so klar, was eigentlich und in welcher Form und ob überhaupt das Reich eine Rolle in der Zukunft des Orchesters haben würde. Das Orchester suchte seit Jahrzehnten um die Sicherung durch öffentliche Mittel, um seine finanzielle Lage zu verbessern. Und die Beteiligten waren nicht nur das Reich, sondern auch die Stadt Berlin und das Land Preußen. Die Verhandlungen 1933 fanden erst zwischen den drei Regierungsebenen statt und mit dem Reich und sogar auch mit der Reichsrundfunkgesellschaft. Es dauerte einige Monate bevor es tatsächlich schien, dass die beste Lösung wäre, 100-prozentig so eine ganze Übernahme durch das Reich. Danach waren die Musiker Beamte, Arbeiter, Musiker im öffentlichen Dienst.

Wuttke: Ich würde gerne noch wissen, was Ihre Recherchen ergeben haben, welchen Preis Furtwängler bereit war, für die Sicherung des Orchesters einerseits, aber auch für seine patriarchalische Stellung in diesem Orchester zu zahlen.

Aster: Furtwängler, glaube ich, fand es eine interessante und Schritt für Schritt überzeugende Gelegenheit, wenn das Orchester die finanzielle Zusicherung des Reiches gewinnen konnte, weil dann hätte das Orchester nicht mehr auf kommerziellen Interessen seine Programmgestalt zum Beispiel sich weichen. Man konnte sich wirklich nur auf die Kunst konzentrieren. Und das war, glaube ich, die Überzeugung Furtwänglers, warum er sich so stark für diese Eheschließung einsetzte. Natürlich setzte sich Furtwängler aber auch ein, die musikalische und künstlerische Integrität seines Orchesters zu bewahren, zu schützen, zu verteidigen, auch gegen die ideologischen Prinzipien der nationalsozialistischen Führung. Daher hatte er es eigentlich geschafft, seine vier Philharmoniker jüdischer Abstammung in dem Orchester erst mal zu behalten und auch die einzelnen Musiker, die zum Beispiel jüdische Ehefrauen hatten, in dem Orchester durch die ganzen zwölf Jahre zu behalten.

Wuttke: Sie haben gerade schon die Verbeamtung der Berliner Philharmoniker angesprochen. Als die vier jüdischen Musiker dann ins Exil gegangen waren, setzte das ja eigentlich auch erst richtig ein. Sie wurden Beamte, sie wurden nicht eingezogen, sie forderten, das konnte ich bei Ihnen nachlesen, ständig Zulagen zu den sowieso schon üppigen Gehältern, und sie bekamen sie von Goebbels genehmigt, der darüber im Clinch mit Göring lag. Mein Eindruck war, privilegierter konnte man eigentlich nicht sein und ich fragte mich, wo war die Moral, oder gab es nur Raffgier?

Aster: Die Musiker fühlten sich als Erbe einer wichtigen Tradition, einer ehrgeizigen Tradition, einer selbstbewussten Tradition. Dieser Geist fördert die Musiker, das beste zu sein und das beste zu werden. Und das war schon eine Ambition, was jeder einzelne Philharmoniker zeigte, auch in der Art wie die musizierten. Natürlich war das dann sehr lockend. Und die fühlten sich sehr wohl, wenn tatsächlich das Orchester als Sendebote der deutschen Kultur gefeiert und gelobt wurde. Und daher war es eine Überraschung, wenn man das Ganze nimmt und wenn man alle Vorteile sieht und wenn man diesen geistigen Hintergrund, diese Prägung der Musiker und des Orchesters in Rechnung bringt, dann war es schrecklich leicht, gefangen zu werden in einem solchen System.

Wuttke: Vielen Dank Misha Aster. Sein Buch "Reichsorchester. Die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus" erscheint heute bei Siedler.