Starfotograf Kevin Cummins

"Mein Job ist der eines stillen Beobachters"

Lichter spiegeln sich in einer Kameralinse
Mit seinen Fotos sorgte Kevin Cummins immer wieder für Aufsehen. © picture alliance / dpa / Felix Hörhager
Kevin Cummins im Gespräch mit Martin Böttcher · 02.08.2016
Er arbeitete 25 Jahre für den "New Music Express". Kevin Cummins gilt als einer der kommerziell erfolgreichsten Musikfotografen Großbritanniens. Im Gespräch erzählt er, wie er mit seinen Bildern dabei hilft, einen Bandmythos aufzubauen.
Er gibt Rockmusik ein Gesicht und ihren Protagonisten ein Image. Der britische Fotograf Kevin Cummins ist seit den 70er-Jahren in Sachen Musikfotografie unterwegs und hat vor allem mit seinen arrangierten wie spontan aufgenommenen Schwarz-Weiß-Fotos immer wieder für Aufsehen gesorgt. 1953 geboren, arbeitete er 25 Jahre lang für das renommierte britische Musikmagazin "New Music Express" und konnte sich im Laufe der Zeit als einer der gefragtesten wie kommerziell erfolgreichsten Musikfotografen Großbritanniens etablieren.
Am bekanntesten und stilprägendsten dürften dabei seine Bilder von Joy Division, den Buzzcocks oder den Sex Pistols sein, wenngleich auch seine Aufnahmen von Mick Jagger, R.E.M., Oasis oder den Foo Fighters in bester Erinnerung sind.
Tonartmoderator Martin Böttcher sprach mit dem Fotografen u.a. über das perfekte Foto und die essentielle Bedeutung eines guten und ausdrucksstarken Fotos für das Image eine Rockband.
Martin Böttcher: Mr. Cummins, muss man unbedingt Musiker sein, um gute Fotos mit musikalischen Inhalten machen zu können?
Kevin Cummins: Ich wollte niemals Musiker werden, immer nur Fotograf. Ich habe mich aber damals sehr für Musik interessiert und meine Kamera auf Konzerte mitgenommen, wo sie mich für einen von der Zeitung hielten. Als ich 19 war, wollte ich David Bowie fotografieren, der damals gerade mit seiner Ziggy-Stardust-Tour unterwegs war. Ich stand vor der Bühne, aber an der falschen Stelle. Also bin ich zwei Wochen später noch mal zum Konzert gegangen, habe mich anders platziert – und genau das Foto bekommen, das ich mir vorgestellt hatte. Ab da wollte ich mit dem Fotografieren mein Geld verdienen. Ich hielt das für wichtig – und es machte mir auch viel Spaß.
Böttcher: Sie sind jetzt 63 Jahre alt und haben schon viele Bands und Musiker fotografiert - von Mick Jagger bis Courtney Love, von Joy Division bis zu den Smiths, von den Happy Mondays bis David Bowie. Aber gibt es ein Foto, von dem Sie sagen, das ist mein perfektes Bild?
Cummins: Viele Menschen halten ein bestimmtes Foto von Joy Divison für mein wichtigstes: Es ist im Januar 1979 entstanden und zeigt die Band auf einer schneebedeckten Brücke. Wir haben das im Zentrum von Manchester aufgenommen, aber es sieht aus, als wären wir irgendwo im Ostblock. Nicht nur meine Karriere wurde durch dieses Foto geprägt, auch die der Band! Man sieht dieses Bild an und weiß genau, wie Joy Divison klingen: trübsinnig und trostlos, mit viel Raum zwischen den Tönen.
Böttcher: Wie war das denn damals das Shooting für die Band bei diesem Bild? Gefiel der Band selbst das Foto?

"Musiker sind nicht so sehr an Fotoshootings interessiert"

Cummins: Im Laufe der Jahre haben sie es schätzen gelernt. Mittlerweile benutzen New Order dieses Foto, es wird an die Wand geworfen, wenn die Band die alten Joy-Division-Songs spielt. Aber Musiker sind ja grundsätzlich nicht so sehr an Fotoshootings interessiert. Sie wollen, dass es schnell vorbei ist und Joy Divison hatten es damals besonders eilig: Es war kalt und sie wollten zurück in den Pub. Ich hatte nur zwei Rollen Film dabei, mehr konnte ich mir nicht leisten, und wartete dann darauf, dass sie endlich mit dem Herumalbern aufhörten, um die ernsteren Fotos zu bekommen, die ich im Kopf hatte. Auf der Brücke machte ich nur drei Bilder von ihnen, aber rechnete nicht damit, dass man sie für irgendetwas verwenden könnte, weil sie so wenig "Rock'n'roll" waren. Die Zeitgenossen von Joy Division, The Jam, The Clash oder auch die Buzzcocks, hätte man niemals so aufnehmen können. Aber man sieht dieses Bild und denkt sich: Das sind Joy Division und ich will mehr über sie wissen.
Böttcher: Sie haben ikonische Bilder von Joy Division gemacht und von Ian Curtis. Hätten Sie das damals für möglich gehalten, dass wir mehr als 35 Jahre später immer noch von Joy Division sprechen und vielleicht mehr noch als damals? Glauben Sie, dass das auch etwas mit Ihren Fotos zu tun hat?
Cummins: Das glaube ich schon. Meine Bilder haben den Menschen damals gezeigt, wer Joy Division sind. Inzwischen sind Fotos und Musik untrennbar miteinander verbunden. Martin Hannett hat damals die Musik von Joy Division produziert und ihr etwas Zeitloses gegeben. Wenn man diese Songs heute hört, dann erkennt man, dass sich viele Bands von heute von diesen Klängen inspirieren lassen. Das liegt an dem ganzen "Paket" aus freudloser Musik, dem frühen Tod des Sängers Ian Curtis und den ebenfalls trüben, zeitlosen Bildern. Diese Kombination sorgt dafür, dass Joy Divison so verehrt werden.
Böttcher: Wie gehen Sie denn mit den Bands und den Musikern um? Versuchen Sie dann ein Freund zu sein oder wahren Sie diese professionelle Distanz, auf die andere so stolz sind?
Cummins: Also ich halte immer ein bisschen Abstand zu den Musikern, die ich fotografiere. Es kommt ja in vielen Band zu Streitereien, Morrissey und Johnny Marr haben sich überworfen, die Gallagher-Brüder von Oasis, die Stone Roses, Bernard Sumner und Peter Hook bei New Order ... aber ich ergreife keine Partei und halte mich da raus – so bleibe ich auf der professionellen Ebene mit ihnen befreundet. Mein Job ist der des stillen Beobachters.
Böttcher: Popmusik ist ja niemals nur die Musik, es ist immer auch das Image, das über Erfolg und Misserfolg einer Band entscheiden kann. Wie sehen Sie da als Fotograf Ihre Aufgabe: Das manchmal ja nur behauptete Image einer Band betonen oder sogar verstärken? Oder zeigen Sie die Band, wie sie "wirklich" ist?

"Ich will dabei helfen, den Bandmythos aufzubauen"

Cummins: Ich will dabei helfen, den Bandmythos aufzubauen, wirklich, das ist meine Rolle! Nehmen wir noch einmal Joy Division: die haben bei den Aufnahmen die ganze Zeit herumgealbert! Aber ich wollte sie als ernste junge Männer zeigen, die sich für schwere Themen interessieren. Andere Bands habe ich über mehrere Jahre hinweg immer wieder fotografiert, um ihr öffentliches Image zu steuern und zu verstärken. Ich wollte keine Bilder von Musikern machen, die sich auf der Straße übergeben, ich wollte junge und schöne Menschen zeigen. Bands brauchen diesen geheimnisvollen Mythos, um groß zu werden! Im digitalen Zeitalter geben Bands zu viel von sich preis, glaube ich. David Bowie zum Beispiel: ich hätte nie sein Frühstück bei Instagram sehen wollen, ich wollte immer glauben, dass Bowie in einem Raumschiff lebt und Mondstaub isst! Genauso will ich nicht sehen, wie Bands von heute direkt vor ihrem Auftritt Selfies verschicken oder uns wissen lassen, wie es backstage aussieht. Eine geheimnisvolle Aura ist ganz wichtig im Rock'n'Roll, damit die Fans die Bands anhimmeln können – und eben nicht wissen, was die zu jeder Sekunde treiben.
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