"Stakeholder Value und Shareholder Value sind kein Widerspruch"

Moderation: Birgit Kolkmann · 14.03.2008
Nach Ansicht des künftigen Telekom-Aufsichtsratschef Ulrich Lehner zeichnet sich ein erfolgreiches Unternehmen dadurch aus, dass alle beteiligten Gruppen mit ihren Interessen berücksichtig werden. Die Kundenbedürfnisse müssten erfüllt werden, die Lieferanten vernünftig eingebunden sein und die Mitarbeiter müssten Spaß an der Arbeit haben, erst dann bleibe etwas für den Shareholder übrig.
Birgit Kolkmann: Er ist seit Jahren "Mr. Persil". Der Spitzname verrät nichts über den Menschen, aber viel über eines der erfolgreichsten Waschmittelprodukte der Welt. Persil ist die Marke des Düsseldorfer Familienkonzerns Henkel und der Boss heißt Ulrich Lehner, ist einer der Top-Manager der Republik und wechselt jetzt an die Spitze des Aufsichtsrats der Telekom. "Mr. Persil" als oberster Kontrolleur eines Konzerns, der mit weltweit fast 250.000 Mitarbeitern fünfmal so viel Beschäftigte wie Henkel hat. Dabei sollen es weniger werden. Das hat Ulrich Lehner schon beim Düsseldorfer Klebstoff- und Waschmittelproduzenten durchexerziert, und zwar sozial verträglich. Er gilt nicht nur deswegen als einer der sozialen Kapitalisten in Deutschland, einer, der sowohl Wachstum als auch Nachhaltigkeit verpflichtet ist. – Guten Morgen Ulrich Lehner!

Ulrich Lehner: Guten Morgen!

Kolkmann: Herr Lehner, gestern haben Sie in Düsseldorf zum letzten Mal den Henkel-Nachhaltigkeitsbericht vorgestellt. Wie stehen denn die Persiler da im Hinblick auf Energieverbrauch und Umweltverschmutzung?

Lehner: Ich glaube, wir stehen ganz gut da. Wir sind dem Thema seit Jahren, praktisch seit Firmengründung verpflichtet. Wir haben in allen relevanten Messgrößen Fortschritte erzielt und wir haben uns auch für die nächsten Jahre wieder anspruchsvolle Ziele gesetzt.

Kolkmann: Persil ist sparsamer zu verwenden, ökologisch schonender auch hergestellt. Aber zugleich berichten sie ja, dass Produktion und Absatz unaufhörlich steigen: 39 Prozent mehr Umsatz, 61 Prozent mehr Gewinn. Ist dann die Bilanz unterm Strich doch nicht mehr so gut?

Lehner: Die Zahlen, die Sie gerade erwähnt haben, beziehen sich über einen Fünf-Jahres-Zeitraum. Insofern sind die Zahlen fürs letzte Jahr andere Zahlen. Die Entwicklung im letzten Jahr war gut und wir gehen auch davon aus, dass das Jahr 2008 ein schwieriges, aber ein gutes Jahr sein wird.

Lassen Sie mich noch einen Punkt betonen: Wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen, dann betrifft das nicht nur unsere Produktion, sondern insbesondere die Nutzung unserer Produkte. Wenn wir zum Beispiel das Thema Tieftemperatur-Waschen ansprechen, dann leisten wir dort mit neuen Produktformulierungen und der Möglichkeit, bei niedrigen Temperaturen zu waschen, einen ganz enormen Beitrag dazu, dass weniger Energie und weniger Wasser beim Waschen gebraucht wird. Das ist genauso bedeutend wie die Optimierung der Produktion. Der größere Hebel liegt in der Tat bei der Nutzung unserer Produkte.

Kolkmann: Das heißt, wenn ich vor 20 Jahren bei 60 Grat alles sauber gekriegt habe, schaffe ich das heute schon bei 20 Grat?

Lehner: Jawohl, wenn Sie die richtige Waschmaschine dafür haben.

Kolkmann: Das heißt, es kommt aber sehr entscheidend auf das Verhalten der Menschen an, die die Waschmaschinen anstellen?

Lehner: So ist es und deswegen versuchen wir, bei unseren Kunden Verständnis dafür zu wecken, dass schon bei niedrigen Temperaturen heute gewaschen werden kann.

Kolkmann: Kommen wir zur Verantwortung der Unternehmer für die Mitarbeiter und auch für die Gesellschaft. Wie kann man das schaffen bei einem Riesen-Konzern, der zugleich auch dem Shareholder Value dienen muss?

Lehner: Ich glaube, das ist kein Widerspruch. Alle Beteiligten am Unternehmen müssen daran interessiert sein, dass das Unternehmen langfristig wettbewerbsfähig ist. Erst wenn die Kundenbedürfnisse erfüllt werden können – und davon lebt das Unternehmen schlussendlich -, wenn die Lieferanten vernünftig eingebunden sind, wenn die Mitarbeiter Spaß haben, bei der Firma zu arbeiten, wenn die Finanzmärkte ausgewogen adressiert werden, dann erst bleibt was für den Shareholder übrig. Insofern ist Stakeholder Value und Shareholder Value kein Widerspruch. Am Ende kommt es darauf an, dass das Unternehmen langfristig wettbewerbsfähig ist. Dann haben alle beteiligten Parteien ihren Vorteil davon.

Kolkmann: Das heißt aber, Sie müssen sehr, sehr viele Menschen überzeugen – und zwar nicht nur diejenigen in Ihrem Unternehmen; auch die Kundschaft, auch die Zulieferer – und alle müssen davon überzeugt sein, dass es etwas bringt, wenn sie sich so verhalten. Was glauben Sie wie lange es dauert, bis sich das breit durchsetzen wird?

Lehner: Ich glaube, dass dazu noch Erziehungsarbeit nötig ist. Wir stellen fest, dass Kunden, aber auch Finanzinvestoren zunehmendes Interesse daran haben, dass Unternehmen nachhaltig arbeiten, und wir müssen dazu unseren Kommunikationsbeitrag leisten.

Kolkmann: Sie wollen ja auch einen Beitrag zum Schutz des Klimas leisten durch das, was Sie tun, denn eigentlich stellen Sie ja ein Produkt her, das die Umwelt schädigt.

Lehner: Ich glaube, wir müssen mal davon ausgehen, dass wir zunächst für Menschen tätig sind, und wir müssen eine vernünftige Balance zwischen den Interessen und Notwendigkeiten der Menschen und der Umwelt herstellen. Das ist ja gerade die Kunst der Nachhaltigkeit, dass man ökonomische Belange – das heißt die Versorgung der Menschheit mit Gütern und Dienstleistungen -, ökologische Belange und soziale Belange in gleicher Weise berücksichtigt.

Kolkmann: Wie geht das im globalen Wettbewerb?

Lehner: Der globale Wettbewerb ist eine Tatsache, der wir uns zunehmend stellen müssen. Es kommt hier für ein global tätiges Unternehmen zunächst einmal darauf an, in den jeweiligen Märkten sich verantwortlich zu verhalten. Das heißt, das fängt schon damit an, dass Produkte unterschiedlich für die jeweiligen Märkte entwickelt werden. Das setzt sich darin fort, dass man vor Ort Mitarbeiter ausbildet, die Fähigkeiten haben, den lokalen Markt zu bearbeiten. Das setzt sich dann fort, dass man Lieferanten findet, die sich den Standards, die wir weltweit haben – zum Beispiel keine Kinderarbeit -, unterwerfen. Das heißt, wir haben weltweite Standards, mit denen wir unser Geschäft betreiben, und die wenden wir immer lokal an.

Kolkmann: Wie werden Sie diese Erfahrungen, die Sie nun bei Henkel in langen Jahren erworben haben, bei der Telekom einsetzen?

Lehner: Ich bin zunächst einmal dankbar für das Vertrauen, das man mir mit dieser Position entgegenbringt, und ich werde mein bestes tun, das gut zu tun.

Kolkmann: Sie werden wahrscheinlich auch Personal abbauen müssen, denn T-Systems wird ja ausgelagert werden. Das betrifft einige Tausend Kollegen. Auch bei Henkel haben Sie Personal abbauen müssen. Wie werden Sie das sozial verträglich versuchen?

Lehner: Die Verantwortung für die Führung der Geschäfte hat die Geschäftsführung oder der Vorstand der Deutschen Telekom. Das ist ein hervorragendes Team und ich denke, die werden das richtige tun im Interesse des Unternehmens.

Kolkmann: Sie sind bei Henkel tätig, aber Sie sind ja sehr gut vernetzt in Wirtschaft und Politik. Sie haben auch viele Ämter. Aufsichtsratsposten, Verbandsvorsitz und so weiter. Sind Sie eigentlich so etwas wie ein "Mr. Überall"?

Lehner: Nein. Ich bin aber überall da, wo ich bin, okay.

Kolkmann: Was heißt okay in diesem Zusammenhang?

Lehner: Ich bringe dort meine Leistung nach besten Kräften.

Kolkmann: Das bedeutet?

Lehner: Dass ich, wenn ich eine Aufgabe übernehme, mir alle Mühe gebe, die Aufgabe gut zu erfüllen.

Kolkmann: Das scheint Ihnen bei Henkel ja auch sehr gut gelungen zu sein. Was würden Sie sagen, was das Image der Top-Manager in Deutschland im Augenblick angeht? Das hat ja großen Schaden genommen. Sie beerben nun auch Klaus Zumwinkel als Aufsichtsratschef der Telekom. Stehen Sie, so wie Sie sich auch beschreiben, für einen anderen Manager-Typus?

Lehner: Ich glaube wir sollten im Moment versuchen, uns nicht gegenseitig in der Äußerung von Betroffenheit zu übertreffen. Nur wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Wir sollten mal versuchen, die Emotionen aus dem Thema ein bisschen rauszunehmen und das sachlich zu betrachten, keine Generalisierung betreiben und keine Klassenschelte zu machen.

Kolkmann: Das heißt, die besseren Menschen sitzen weder auf der einen noch auf der anderen Seite?

Lehner: So denke ich. Der liebe Gott hat uns leider alle nicht perfekt gemacht und jeder hat seine Schwächen. Wir sollten alle daran arbeiten, dass wir besser werden.

Kolkmann: Wo sind Ihre Schwächen?

Lehner: Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen!

Kolkmann: Gut. – Sprechen wir noch kurz über Deutschland. Wo steuern wir hin? In Deutschland wird es, zumindest was den Mittelstand und die Mittelschicht angeht, ja im Augenblick ziemlich eng. Der Mittelstand gerät unter Druck. Was kann man dagegen tun?

Lehner: Wenn Sie das Thema Mittelstand und Mittelschicht ansprechen, sind das zwei verschiedene Themen. Wir haben in Deutschland einen ganz starken Mittelstand. Zum Beispiel in der chemischen Industrie sind rund 2000 Unternehmen. Das sind zu mehr als 50 Prozent mittelständische Unternehmen und die machen eine ganz hervorragende Arbeit.

Das Mittelschicht-Thema – das zweite Thema, was Sie angesprochen haben -, ich glaube das müssen wir uns sehr sorgfältig angucken: mindestens unter zwei Dimensionen. Wir müssen wahrscheinlich einmal berücksichtigen, dass wir als Land dafür sorgen müssen, dass wir möglichst viel Arbeit in dieser Welt in dieses Land bekommen. Das können wir nur schaffen zu wettbewerbsfähigen Kosten. Und wir müssen dann versuchen, dass vom Bruttolohn, den wir zahlen, möglichst viel Netto wirksam wird. Das heißt, wir sollten in der kurzen Formulierung auf mehr Netto arbeiten.
Der zweite Punkt, den man adressieren müsste, ist: wir müssen wahrscheinlich noch eine größere Durchlässigkeit unserer Gesellschaft haben, dass Menschen wirklich Aufstiegschancen haben und dann am allgemeinen Bessergehen teilnehmen können.