Stärkere Kontrolle und Vier-Augen-Prinzip

Ingo Kailuweit im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 09.08.2012
Kurz vor dem ersten Krisentreffen zum Thema Organspende hat der Chef der Krankenkasse KKH-Allianz, Ingo Kailuweit, eine stärkere Kontrolle der beteiligten Ärzte gefordert. Es bleibe wohl nichts Anderes übrig, als das Vier-Augen-Prinzip einzuführen, sagte Kailuweit.
Jan-Christoph Kitzler: Die Deutschen sind skeptisch, was die Organspende angeht – auf eine Million Einwohner kommen statistisch gesehen weniger als 15 Spender. Und dabei sterben jedes Jahr rund 1.000 Menschen, die auf eine neue Niere, ein neues Herz oder eine neue Leber warten, weil das Spenderorgan nicht rechtzeitig oder gar nicht kommt.

Die Skepsis wird nicht weniger werden, seit bekannt geworden ist, dass bei der Vergabe der Spenderorgane in Regensburg und in Göttingen an den Kliniken offenbar in einigen Fällen getrickst wurde und dass immer mehr Organe vorbei an der Warteliste vergeben werden in einem sogenannten beschleunigten Verfahren.

Gesundheitsminister Daniel Bahr will das Thema nach der Sommerpause zur Chefsache machen, hat schon zum Runden Tisch eingeladen, heute gibt es aber schon ein erstes Spitzengespräch mit Vertretern der Bundesärztekammer, der deutschen Stiftung Organtransplantation und weiteren Experten. Da will man besprechen, was sich ändern muss. Das habe ich auch Ingo Kailuweit gefragt, er ist Vorstandschef der gesetzlichen Krankenkasse KKH-Allianz mit über zwei Millionen Versicherten – zuerst wollte ich von ihm wissen, was er sich von dem Treffen heute erwartet?

Ingo Kailuweit: Zum einen finde ich es gut, dass es ein Spitzengespräch gibt und alle Beteiligten an diesem Spitzengespräch versuchen, die Situation zu klären. Ich glaube, was die Bevölkerung, die Menschen dringend brauchen, ist erst mal die Information, was ist passiert, welche Lücken sind vorhanden, und dann ja auch die Diskussion daraus schnell abzuleiten, was ist zu tun. Also das, was, ich glaube, jeder braucht, ist sehr schnell auch ein Rezept für das Problem, was da ist, sonst wird die Diskussion einfach nicht gestoppt. Und es laufen zurzeit viele Informationen über Regensburg und natürlich über Göttingen, und es fangen auch einige andere Themen noch an, und deshalb wäre für mich jetzt eine eindeutige Transparenz, woran hat es gelegen, und dann auch das Rezept, was wollen wir in der Zukunft tun.

Kitzler: Haben Sie denn schon Ihre Schlüsse gezogen aus dem Skandal, was muss sich aus Ihrer Sicht ändern an der Vergabepraxis von Spenderorganen?

Kailuweit: Ich glaube, das, was sehr deutlich ist – das ist zumindest meine Einschätzung –, dass die Regeln, die hier heute aufgebaut sind, sowohl in dem Standardverfahren als auch in dem beschleunigten Verfahren, eigentlich klar und deutlich sind. Das, was nicht funktioniert hat, war die Überwachung, die Kontrolle, die dahintersteht, dass es auch wirklich eingehalten wird, und deshalb würde ich nicht unbedingt über neue Regeln diskutieren, sondern einfach darüber diskutieren, müssen wir an dem System der Überwachung, der Meldung von Daten, weitere Kontrollen einbauen, Stichproben einbauen, um einfach das letztendlich auch für die Zukunft auszuschließen.

Kitzler: Das beschleunigte Verfahren haben Sie schon angesprochen – das ist ja besonders umstritten, da muss es schnell gehen, vor allem, wenn die Gefahr besteht, dass man ein Spenderorgan verliert. Aber dieses Verfahren vorbei an der Warteliste, ist das nicht ein Riesenproblem – quasi die Einladung zur Manipulation?

Kailuweit: Ja, das ist genau natürlich die Frage, die sich jetzt stellt. Die Zahl der Organe, die über dieses Verfahren, über das beschleunigte Verfahren entnommen worden sind und damit nicht in das System hineingebracht worden sind, sind in den letzten Jahren natürlich erheblich angestiegen. Das sind Fälle von Menschen, die krank sind, die älter sind, und wo Organe aber weiter genutzt werden können, und von daher spricht eigentlich vieles dazu, das beschleunigte Verfahren zu belassen. Aber auch hier gilt, sich sehr konkret anzugucken, ob der Anstieg dieser Fallzahlen tatsächlich begründet ist aus den gesellschaftlichen Veränderungen, aus der Demografie, oder ob es hier auch Schwachstellen gibt, die letztendlich manipulationsanfällig sind. Ich stimme Ihnen aber zu, dass generell ein beschleunigtes Verfahren natürlich dazu eher angezeigt ist, manipulativ tätig zu werden, weil natürlich nur wenige Beteiligte sind.

Kitzler: Umstritten ist aber auch das Standardverfahren, da gibt es ja ein ziemlich kompliziertes Punkte-Vergabesystem, da geht es unter anderem Darum, wie lange ein Patient schon auf ein Organ wartet, wie dringend er das braucht. Kann man das denn überhaupt so eindeutig sagen, jemand braucht ein Organ dringender als ein anderer?

Kailuweit: Also das, was wir benötigen, ist natürlich ein Verfahren, wonach wir versuchen, nach menschlichen Blickpunkten eine Dringlichkeit abzuleiten. Es wird immer natürlich eine gewisse Subjektivität eine Rolle spielen, weil -zig Ärzte beteiligt sind, wenn es darum geht, wie geht es jetzt diesem Patienten, welche Kriterien erfüllt er, und wie ist der aktuelle Stand.

Das, was ja passiert ist, dass man künstlich die Werte für die Meldung verschlechtert hat, um damit den Patienten auf der Liste weiter nach vorne zu bringen. Und das ist genau immer das Problem, was man dabei hat, da spielen Menschen eine Rolle, und wenn diese Werte manipuliert werden, dann kommt genau das dabei raus, was wir jetzt gesehen haben. Und das ist die Frage, wie kriegen wir ein Vieraugenprinzip hin, wie kriegen wir tatsächlich noch mal eine Kontrolle hin, dass nicht einzelne Menschen zum Nutzen ihres Geldbeutels versuchen, hier Organhandel, tatsächlich ja Gewinne zu erzielen.

Kitzler: Das heißt, Sie stimmen dem zu, was Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, vorschlägt, nämlich ein Vieraugenprinzip, bei dem dann ein möglichst unabhängiger Arzt feststellen muss, wie krank der Empfänger wirklich ist, damit die Liste nicht mehr gefälscht werden kann?

Kailuweit: Also aus der jetzigen Sicht bleibt, glaube ich, nichts anderes übrig, als ein Vieraugenprinzip einzuführen. Das ist auch nicht einfach, weil wenn es aus einem Krankenhaus ist, ein zweiter Arzt jetzt bittet, aus einem Krankenhaus das zu tun. Man kann Transplantationsbeauftragte, die man heute schon hat, natürlich stärker mit einbinden. Aber ich glaube, das ist die einzige Chance, tatsächlich in einem Vieraugenprinzip zu versuchen, diese Lücken zu schließen.

Kitzler: Ist das nicht auch ein Problem, dass da in Deutschland eine kleine Organspende-Industrie entstanden ist, die ja auch von den Krankenkassen mit Prämien angeheizt wird, dass Organspende und Transplantation hierzulande ein gutes Geschäft ist?

Kailuweit: Wir haben ja in Deutschland eine Spendenbereitschaft, die ist im unteren Drittel im europäischen Vergleich, das ist das Eine, das Zweite ist, wenn man auch mit Menschen spricht – und zum Teil haben wir das auch bei uns in den Hotlines –, dass Menschen kein großes Vertrauen haben in dieses Thema Spendenbereitschaft. Was passiert mit meinem Organ, oder bin ich tatsächlich wirklich tot, wenn mir ein Organ entnommen wird? Das führt insgesamt natürlich zu einer viel zu geringen Spendenbereitschaft, und von daher ist natürlich auch jetzt dieser Skandal ein Riesenproblem – wir sollen und wollen auch im Herbst unsere Versicherten alle zwei Jahre anschreiben und ermuntern, tatsächlich sich für eine Spendenbereitschaft auch zu äußern. Und jetzt passiert eben genau die Situation, dass einige wenige aus materiellen Gründen natürlich dieses ganze System in Verruf bringen. Und das wird meines Erachtens dazu führen, dass die Spendenbereitschaft in Deutschland leider dann noch geringer wird.

Kitzler: Das Vertrauen ist am Boden, haben Sie gesagt. Wie lange dauert es, so was wieder aufzubauen?

Kailuweit: Das hängt jetzt genau davon ab, wie schnell tatsächlich auch die Beteiligten diese Transparenz in die Öffentlichkeit bringen und damit auch glaubhaft mit den Instrumenten, die sie verändern wollen, der Bevölkerung jetzt signalisieren, dass wird dazu führen, dass jetzt kein Handel mehr mit Organen geschieht, und dass der Bürger sich darauf verlassen kann, wenn jemand spendenbereit ist, dass das auch alles ordnungsgemäß abgewickelt wird.

Kitzler: Ingo Kailuweit, der Vorstandschef der gesetzlichen Krankenkasse KKH-Allianz. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, einen schönen Tag!

Kailuweit: Ja, danke schön!


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