Städteplaner über Discounter-Wohnungen

Über Aldi ist noch Platz

Das Logo von Aldi, aufgenommen am 11.07.2017 in Berlin an der Wand eines Wohnhauses in der Schwedter Straße im Prenzlauer Berg. Foto: Soeren Stache/dpa | Verwendung weltweit
Nicht nur Einkaufen, sondern auch Wohnen mit Aldi-Logo? Der Discounter plant in Berlin 2000 Wohnungen. © picture alliance/dpa/Soeren Stache
Julian Wékel im Gespräch mit Dieter Kassel · 02.02.2018
Aldi-Nord hat sein Sortiment erweitert: Der Discounter will, zunächst in Berlin, Wohnungen bauen. Ist das nur ein Marketing-Trick oder eine gute Lösung für das Wohnungsnot-Dilemma - gar ein Trend, denn andere Ketten wollen nachziehen? Städteplaner Julian Wékel sieht darin vor allem eine Chance.
Der Discounter Aldi-Nord verkauft nicht nur billige Waren – er will sich jetzt auch als Bauherr von 2000 günstigen Mietwohnungen in Berlin positionieren. Die Idee: Bestehende Flachdach-Supermarktgebäude werden um mehrere Etagen aufgestockt. Fertig ist die Mischnutzung. Andere Ketten wir Rewe, Lidl und Edeka wollen nachziehen.
Das klingt zunächst einmal nach raffiniertem Marketing-Gag – gleichzeitig aber auch vernünftig. Ist es das auch? Oder ist es einfach nur Zeichen für eine Bankrotterklärung der Kommunen, die es bislang nicht geschafft haben, rechtzeitig für genug Wohnraum zu sorgen.

Innerstädtisches Potenzial nutzen

Bei Julian Wékel, Leiter des Institut für Städtebau und Wohnungswesen an der Deutschen Akademie für Städtebau Anlass, überwiegt die Begeisterung für die Idee: "Wir haben nicht einen langsamen steigenden Wohnungsbedarf, sondern er ist dramatisch hoch in vielen Städten – vor allem, was preisgünstigen Wohnungsbau anbelangt. Der wird im wesentlichen nicht durch Neubauten gedeckt werden können…"
Es sei wichtig, nicht nur Bauland außerhalb der Stadt neu zu erschließen, sondern auch innerstädtisches Potenzial zu nutzen – und dazu gehörten auch die in der Regel als Flachdachgebäude gebauten Supermärkte. Diese einstöckigen Bauten mit Satteldach und in der Regel großem Parkplatz rissen "stadtgestalterisch" das Stadtbild sehr auseinander. Sie aufzustocken sei auch aus diesem Grund eine gute Idee.

Wie beeinflussen die Discounter das Stadtbild?

Wékel sieht im Engagement von Aldi und Co. nicht automatisch die Gefahr, dass die Discounter neben unserem Kaufverhalten auch den Baustil und damit das Stadtbild (negativ) beeinflussen könnten. Dies müsse im Einzelfall geprüft werden.
Der Architekt sagte weiter: Es gebe auch andernorts weitere Möglichkeiten, Wohnraum zu schaffen. Etwa, indem man kaum genutzte öffentliche Grünflächen zwischen Häusern in Reihenhaussiedlungen bebaue.
(mkn)

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Eigentlich ist die Idee naheliegend: In den Städten werden die Wohnungen knapp, viel Raum zum Bauen ist nicht vorhanden. Aber die Lebensmittelmärkte, vor allem die Discounter, haben viele Flachbauten, die in alle Richtungen Platz wegnehmen, nur nicht nach oben. Lidl, Aldi, aber auch Edeka und Rewe planen deshalb, auf bereits bestehenden Filialen Wohnungen aufzusetzen oder bei neuen Filialbauten gleich Wohnungen mit zu planen. Aldi Nord hat in dieser Woche konkrete Pläne für bis zu 2.000 Wohnungen in Berlin vorgestellt. Einige Anwohner finden das gut, aber nicht alle:
"Ganz großartig, absolut super! Absolut super, weil es der erste vernünftige Vorschlag ist, auf freier Fläche, wo man so viel Platz hat, Wohnungen zu bauen, die so dringend gebraucht werden."
– "Warum nicht? Wenn Platz hier ist? Parkplätze werden doch hier gar nicht alle benötigt. Ich hab nichts dagegen."
– "Ich find das nicht so gut. Es wird alles vollgebaut. Die haben ja kaum noch Platz. Und nun hier auch noch alles voll. Ich finde das nicht gut."
– "Wenn es bei billig bleibt, das ist ja die Frage. Können sie mir viel erzählen, aber unterm Strich ist es noch anders."
Kassel: Die Rede ist übrigens, was die Preise angeht bei diesem Aldi-Projekt, von 6,50 bis maximal 10 Euro pro Quadratmeter. Das wäre für deutsche Großstadtverhältnisse, auch für Berlin ziemlich billig. Darauf bezog sich das am Schluss. Aber ist die Idee wirklich so toll, wie ja die Einwohner am Anfang sagten, oder haben eher die Kritiker recht? Das und mehr wollen wir jetzt von Julian Wékel wissen. Er ist der Leiter des Instituts für Städtebau und Landesplanung am Institut der Deutschen Akademie für Städtebau in München. Schönen guten Morgen, Herr Wékel!
Julian Wékel: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Wenn wir mal die vier nehmen, die wir gerade gehört haben, auf welcher Seite sind Sie? Der Begeisterte ganz am Anfang, oder doch die Misstrauischen am Ende.
Wékel: Doch eher auf der Seite des Begeisterten.
Kassel: Warum?
Wékel: Und zwar einfach deshalb, weil wir ja nicht nur einen langsam steigenden Wohnungsbedarf haben, sondern er ist dramatisch hoch in vielen Städten, vor allen Dingen, was preisgünstigen Wohnungsbau anbelangt. Der wird allerdings wohl im Wesentlichen nicht durch neue Bauten gedeckt werden können, sondern auch durch entsprechende Umzüge in die Neubauten und dann eben auf Nachzüge in günstige Wohnungen. Und es ist ganz in unserem Trend heute, zu sagen, wir haben die Leitvorstellung, auch stark die in den Städten liegenden Potenziale zu aktivieren. Das muss jetzt nicht und darf keinesfalls dazu führen, dass wir jetzt alles vollbauen, sondern es geht ja hier in dem konkreten Fall bei dieser Initiative um schon bebaute Grundstücke, diese aufzustocken auf die Erdgeschossnutzungen, die dort bestehen, auf die Flachbauten, wie gesagt wurde, eben noch andere Geschosse aufzusetzen.
Nun glaube ich auch nicht, dass diese Lebensmittelmärkte das nun aus reiner Menschlichkeit und dem Verständnis, dass das Gemeinwohl so etwas bedürfte, tun werden, sondern sie werden natürlich auch für sich dabei etwas wünschen wollen. Und bisher, und das ist natürlich etwas, was dann auch ganz interessant ist, haben wir immer die Schwierigkeit gehabt, wenn wir solche Nutzungsmischungen durchzusetzen versucht haben, dass die meisten Betriebe eben auf eine bestimmte Art von gewerblicher Nutzung fixiert sind. Ein Lebensmittelmarktler wird normalerweise sagen, ich handle mit Lebensmitteln, und Wohnungen ist nicht mein Thema. Und insofern ist das natürlich auch etwas, was für uns eine gute Beispielwirkung haben könnte, auch an andere heranzutreten.

Man wird zusammenkommen

Kassel: Nun ist aber natürlich das, was die wollen, so undurchschaubar nicht. Es geht ja um zwei Dinge, tatsächlich auf bestehende Märkte etwas draufzubauen, was ja ein Umbau ist, oder aber bei neuen Märkten das mit zu planen. Und in beiden Fällen sollen diese neuen Märkte deutlich größer werden, weil Aldi, Lidl und andere beschlossen haben, in Zukunft funktioniert unser Konzept nur mit Veränderungen, die mehr Fläche erfordern. Und der Deal mit manch einer Stadt ist auch, wo wir neu bauen, bauen wir dann Wohnungen für euch, wenn wir insgesamt auch größer bauen dürfen, was den Supermarkt angeht. Also insofern ist es ja tatsächlich so, dass da ein Deal gemacht wird, der auch zur Folge haben wird, das wird alles überall ganz genau gleich aussehen.
Wékel: Das muss man im Einzelfall verhandeln. Es ist sicherlich so, dass wir eben auch unsere guten Gründe haben, zu sagen, ein bestimmter Maßstab darf auch bei solchen Märkten nicht überschritten werden. Es geht ja auch immer darum, ob in der Nachbarschaft dann andere Einzelhandelsnutzungen darunter leiden und nicht im Wettbewerb bestehen können. Aber das muss man im Einzelfall prüfen. Ich denke, dass man da trotzdem wird zusammenkommen können. Nun gibt es natürlich auch andere Folgenutzungen, die vom Wohnen ausgelöst werden, in unserer autoorientierten Gesellschaft natürlich auch immer die Frage der Stellplätze. Also muss man sehen, wie man dieses unterbringt, wenn Stellplätze dann in Tiefgaragen untergebracht werden, ist das natürlich auch teuer.
Auf der anderen Seite, wenn Sie durch die Stadt fahren – ich bin nun Berliner –, dann sehen Sie schon an vielen Stellen in einer geschlossenen Bebauung plötzlich einen Riesenparkplatz und daneben dieses eingeschossige, mit einem Satteldach versehene Supermärktchen. Und das reiß natürlich stadtgestalterisch die Stadt auch sehr auseinander. Von daher gibt es schon eine Reihe von sehr positiven Gründen, so etwas zu unterstützen.
Kassel: Kann ich alles verstehen. Aber ist es nicht aufseiten der Städte, gerade auch Berlin, aber auch andere, auch eine Bankrotterklärung, zu sagen, wir haben jetzt jahrelang zugeguckt, wie die Wohnungsnot größer wurde, uns ist eigentlich nichts eingefallen, und jetzt überlassen wir es Aldi und Lidl.

Viele Gebäude ließen sich aufstocken

Wékel: Zugeguckt haben wir alle, und es wird sicherlich auch nicht so sein, dass diese Lebensmittelmärkte nun dieses Thema und das Problem lösen. Wichtig ist, dass wir alle deutlich machen, wir wollen nicht wie früher unbebauten Boden vor der Stadt für neue Wohnungen nutzen, sondern wir wollen vor allen Dingen auch erst mal schauen, wie viele Innenpotenziale können wir auch erschließen. Und da ist dies eigentlich beispielhaft etwas, was zumindest Diskussionen auch über den konkreten Bedarf hinaus, also über diese konkrete Frage hinaus, auslösen kann und verstärken kann.
Kassel: Welche Innenpotenziale sehen Sie denn noch in den Städten jenseits dieser Discounter-Pläne?
Wékel: Einmal haben wir viele Wohnbauten, die sich auch noch um ein, zwei, drei Geschosse aus statischen Gründen aufstocken ließen. Wir haben auch sehr unterschiedliche Siedlungsstrukturen aus den 50er-, 60er-, 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts, und dort gibt es auch sehr viele Grün- und Freiflächen, die eigentlich bisher auch qualitativ nicht so entwickelt sind. Da würde ich auch sagen, wir dürfen jetzt nicht vollbauen, aber wir können sicherlich Bauten ergänzen, und wir können das vor allen Dingen gut tun, wenn wir gleichzeitig die freien Flächen, die dort vorhanden sind, auch besser gestalten, als das bisher oft der Fall ist.
Kassel: Was macht man denn, wenn man tatsächlich eine freie Fläche, eine Baulücke, es gibt das ja vereinzelt noch, gerade in Berlin, bebauen will, und dann sagen die Anwohner, gern auch die, die vorher gesagt haben, wir brauchen neue billige Wohnungen, das wollen wir jetzt aber nicht, wir wollen nicht, dass die letzte grüne Ecke verschwindet. Wie findet man da einen Kompromiss?
Wékel: Da muss man natürlich im Einzelfall sehen, ist das vertretbar beziehungsweise kann es auch positiv wirken? Schauen Sie sich die freien Flächen beispielsweise in den Reihenhaussiedlungen oder in den Zeilenbauten der 50er-Jahre an. Dort gibt es Rasenflächen dazwischen, die eigentlich auch für die Bewohner gar nicht viel Nutzwert haben. Wenn man nun sagt, jetzt versuchen wir wirklich, in beide Richtungen zu denken – wie kann man die freien Flächen besser nutzen, wie kann man gleichzeitig dann vielleicht auch zusätzlich über Bau auch unterbringen? Immer wieder die Frage natürlich, wie bringt man auch die Folgebedarfe unter, also vor allen Dingen die Stellplätze. Aber da kann man in vielen Gebieten auch zeigen, in anderen Städten ist man da teilweise sogar weiter. Bremen hat sehr interessante neue Bebauungen in diese alten Zeilensiedlungen gebracht, dass man da auch für die Bewohner vor Ort etwas schaffen kann.
Kassel: Wie kann man neuen Wohnraum schaffen, auch da, wo vielleicht auf den allerersten Blick gar kein Platz ist? Darüber haben wir mit Julian Wékel gesprochen. Er ist der Leiter des Instituts für Städtebau am Institut der Deutschen Akademie für Städtebau in München. Herr Wékel, herzlichen Dank für das Gespräch!
Wékel: Bitte schön, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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