Stadiongewalt

"Fußball braucht einen Kulturwandel"

Fußball: Bundesliga, Borussia Dortmund - RB Leipzig, 19. Spieltag am 04.02.2017 in Dortmund (Nordrhein-Westfalen). Dortmunder Fans entrollen vor Spielbeginn auf der Südtribüne Spruchbänder gegen den RB Leipzig mit Parolen wie „Bullen schlachten“ oder „Pflastersteine auf die Bullen“ - Hauptsponsor des RBL ist der Getränkehersteller Red Bull.
Spruchbänder mit RBL-Hassparolen auf der Tribüne, gewalttätige Ausschreitungen gegen Fans und Ordnungskräfte vor und in den Stadien: Wie lassen sich diejenigen stoppen, die den Fußball für ihre Gewalt- und Hass-Exzesse missbrauchen? © picture alliance / dpa / Ina Fassbender
Harald Lange im Gespräch mit Ute Welty · 11.02.2017
Steine, Glasflaschen und Leuchtraketen auf gegnerische Fans, Hass-Parolen im Stadion und Gewalt selbst gegen Kinder - dagegen helfen keine Kollektivstrafen, sagt der Fanforscher Harald Lange.
Wie lassen sich diejenigen stoppen, die den Fußball für ihre Gewalt- und Hass-Exzesse missbrauchen? Nach den Ausschreitungen der "Schande von Dormund" sind Kollektivstrafen der falsche Weg, sagt der Sportwissenschaftler und Fanforscher Harald Lang. Vielmehr brauche Fußball eine Kehrtwende in der Fankultur.
Nach Gewaltexzessen von Fußball-Fans müssten die konkreten Täter hart bestraft werden, forderte Lange im Deutschlandradio Kultur. Die vom DFB-Kontrollausschuss als Strafe gegen Borussia Dortmund nach dem Eklat beim Heimspiel gegen RB Leipzig geforderte Sperre der kompletten Südtribüne für ein Spiel gegen den Verein dagegen treffe die Falschen und entfremde damit die Fanszene weiter von den DFB-Funktionären.
"Unter den 20. 000 sind dann 19.900, die mit den Gewalttaten vom letzten Samstag nichts zu tun haben. (...) Das Ganze ist für mich purer Populismus",
so der Sportwissenschaftler an der Universität Würzburg und Leiter des Instituts für Fankultur.

Gewalt und Fußballsport schon lange verknüpft

Die bislang erfolgten Reaktionen nach dem Eklat, wie die verbalen Distanzierungen der Dortmunder Vereinsführung, die offizielle Entschuldigung beim RB Leipzig und ein Krisentreffen der beiden Klub-Spitzen, aber auch die angedachten Strafmaßnahmen gegen den Verein hält Lange für lediglich oberflächliche Maßnahmen gegen das Phänomen von Stadiongewalt. "Sowas zieht letztlich immer nur von Spieltag zu Spieltag", so Lange. Dann tauche das jahrzehntelang bekannte Gewaltproblem "immer wieder an einem neuen Ort neu auf".
"Der Fußball und die Fußballfan-Szene braucht letztlich auch einen Kulturwandel",
sagte Lange. Gewalt sei allerdings historisch mit dem Fußballsport auf Engste verknüpft. Zudem spiegelten sich im Stadion die Probleme der Gesamtgesellschaft. Allerdings seien die Fallzahlen im Verhältnis zu den enorm gestiegenen Zuschauerzahlen leicht zurückgegangen.

Emotionalität ohne Gewalt ist möglich

Forderungen, Fußball auf das "rein Sportliche" zu begrenzen, hält Lange für falsch: Fußball sei eng verwoben mit Atmosphäre und Emotionalität, "bei der wir es gern haben, dass die im Fußball angeheizt ist, dass sich das zuspitzt (…), dann finden wir Fußballspiele toll."
In den allermeisten Fällen könnten die Fankulturen das auch aushalten und Emotionalität ausleben, "ohne dass sie jetzt in diese Grenzbereiche abrutschen und zu Gewalt neigen", sagte Lange. Auch aus anderen Sportarten sei bekannt, dass eine leidenschaftlich emotional aufgeladene Fankultur ohne Gewalt auskommen könne.

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Zwei Partien an diesem 20. Spieltag stehen unter besonderer Beobachtung, nämlich die von Darmstadt gegen Dortmund und die von RB Leipzig gegen den Hamburger Sportverein. Vergangenen Samstag waren Leipziger Fans in Dortmund attackiert, angepöbelt und verhöhnt worden, vor und im Stadion, Szenen, bei denen man mindestens vor Scham im Boden versinken möchte. Harald Lange dürfte es kaum anders gegangen sein, aber Harald Lange ist in diesem Zusammenhang auch beruflich gefordert. Der Sportwissenschaftler an der Uni Würzburg ist auch Gründer des Instituts für Fankultur. Guten Morgen, Herr Lange!
Harald Lange: Guten Morgen!
Welty: Borussia Dortmund hat sich entschuldigt, es gab einen Krisengipfel, und man will die Dinge aufarbeiten. War und ist das eine angemessene Reaktion?
Lange: Das ist zumindest die Routinereaktion, die wir immer nach solchen Vorfällen haben. Man entschuldigt sich, man bedauert das, und man attestiert letztendlich, dass diejenigen, die da auffällig gewesen sind, die da durch Gewalt aufgefallen sind, im Grunde gar keine Fußballfans seien, dass sie den Fußball nur als Plattform nutzen für ihr Krawallstreben.
Welty: Das ist ja alles richtig und sicher auch nicht von der Hand zu weisen. Aber was kann darüber hinaus geschehen, welcher Instrumentenkasten steht den Vereinen überhaupt zur Verfügung, gegen Gewalttäter vorzugehen?
Lange: Das Gewaltproblem im Fußball hat ganz tiefliegende Wurzeln, und da ist man mit Instrumentenkästen zumeist schlecht beraten, die dann ja immer auf kurzfristige Wirkung zielen. Kurzfristig kann man hier und da irgendwelche Sanktionen verhängen, die dann sich auch medienwirksam gegenüber Politikern oder von Politikern gegenüber der Öffentlichkeit sehr gut verkaufen lassen. Ist wohl auch im aktuellen Fall ja im Gespräch, dass man da harte Strafen auf dem Verein, den Verein mit harten Strafen belegt. Aber so was zieht letztlich nur von Spieltag zu Spieltag, und dann taucht das Gewaltproblem, wie wir das jetzt seit Jahren beziehungsweise Jahrzehnten kennen, immer wieder neu an einem neuen Ort auf.
Welty: Das heißt, es muss was geschehen?

"Der Fußball und die Fankultur brauchen letztlich auch einen Kulturwandel"

Lange: Der Fußball und die Fankultur brauchen letztlich ja auch einen Kulturwandel, das heißt, mittel- und langfristig müssen Maßnahmen ergriffen werden, dass das Ganze da friedlicher wird. Wobei, in der aktuellen Situation merkt man, dass die Situation aufgeheizt ist. Man kann das so zusammenfassen: Es gibt da eine große Zahl derer, die den Fußball einfach nur anschauen, als Unterhaltung nutzen, und dann den hart eingeschworenen Kern von Fußballfans, die leidenschaftlich dort hingehen und die sich gegenwärtig von Vereinsführungen, von den Führungen in der DFL und im DFB missverstanden fühlen, fast ohnmächtig fühlen, weil sie mit dem aktuellen Kurs der ja auch weltweit zu beobachtenden Kommerzialisierung des Fußballs nicht mitgehen wollen. Und das mag auch eine Ursache in der aktuellen Debatte sein.
Welty: Mit anderen Worten, es müsste wieder ein Zurück-zu-den-Wurzeln auch im Fußball geben, wobei Menschen und vor allen Dingen, Entschuldigung, aber Männer sich ja im Zusammenhang mit Fußballspielen schon nicht erst seit gestern kloppen.
Lange: Genau. Das Kloppen beziehungsweise die Gewalt beim Fußball hat eine genau so lange Tradition wie der Fußball an sich. Das heißt, seit wir Fußballspiele kennen, sind sie von Gewalt begleitet. Wir kennen allerdings auch aus anderen Sportarten, dass auch eine leidenschaftliche, emotional aufgeladene Fankultur vollends ohne Gewalt auskommen kann. Nun ist das im Fußball historisch so gewachsen. Im Fußball spiegelt sich gewissermaßen der Querschnitt der Gesellschaft unter den Zuschauern und Fans wider. Das heißt, es ist ein Sport für alle, und da bringen natürlich auch alle ihre Sorgen und Probleme mit ins Stadion, und da ist es natürlich immer dann auch naheliegend, dass da in der einen oder anderen Situation es auch zu Gewalt, zu Grenzüberschreitungen kommen kann, wobei man insgesamt sagen muss, dass die Gewaltfallzahlen gemessen an dem rasanten Anstieg der Zuschauerzahlen relational etwas zurückgegangen sind.
Welty: Wir haben jetzt über mittel- und langfristige Maßnahmen gesprochen und über ein Umdenken. Aber nichtsdestotrotz muss ja auch in der aktuellen Situation ein Zeichen gesetzt werden. Was könnte eine gerechte Strafe sein, und was ist auch, anders gefragt, eine harte Strafe, also was trifft die Menschen tatsächlich?

Diejenigen bestrafen, die "Grenzen überschritten haben"

Lange: Gerecht und hart sollen Strafen sein, und da wäre als erste Bedingung zu nennen, dass diejenigen bestraft werden, die am vergangenen Wochenende Grenzen überschritten haben, und zwar exakt diejenigen und keine anderen. Und das, was man gegenwärtig auch von der DFB-Gerichtsbarkeit mitbekommt, ist wohl das, dass wieder im Raum steht, eine Kollektivstrafe auszusprechen, sprich, dass die Südtribüne für eine bestimmte Anzahl von Spielen oder ein Spiel gesperrt wird.
Welty: Das ist da, wo im Stadion die BVB-Fans sich versammeln.
Lange: Genau. Also eine Kollektivstrafe, die dann 20.000 Fans trifft, und darunter sind dann 19.900, die letztlich mit den Gewalttaten vom letzten Samstag überhaupt nichts zu tun hatten. Und die müssen das ausbaden, und solche Maßnahmen führen dann dazu, dass dann natürlich eine Form von Ungerechtigkeit erlebt wird, dass das Gegeneinander von DFB und Fans zumindest an der Stelle wieder etwas vergrößert wird. Und das Ganze ist für mich purer Populismus, weil das ist eine Maßnahme, die sich in den Medien gut verkaufen lässt, hört sich hart an. Und wenn man nicht betroffen ist, denkt man sich, der DFB zeigt da ein starkes Zeichen. Genauso wie das Thema Geldstrafen für den Verein – betrifft dann den Verein und letztlich die gesamte Fankultur des Vereins, die ja damit nur indirekt beziehungsweise überhaupt nichts zu tun hatte, mit den Fankrawallen. Weil es ja tatsächlich wieder Einzelne waren.

Vereine an den Kosten für Polizeieinsätze beteiligen?

Welty: Würde denn der Weg übers Geld funktionieren? Bisher zahlt ja grundsätzlich der Steuerzahler für den Polizeieinsatz im Zusammenhang mit den Fußballspielen. Was wäre, wenn die Vereine für die Sicherheit zahlen müssten?
Lange: Das ist ein ganz kompliziertes Thema, ist ja in unserem Land aufgrund der Lage im Grundgesetz nicht möglich, weil der Staat für die öffentliche Sicherheit zuständig ist. Das ist prinzipiell auch gut so. Wenn die Vereine da beteiligt würden, könnte man vermuten, dass es vielleicht ein noch größeres Engagement dahingehend gäbe, die Sicherheitsmaßnahmen so günstig wie möglich auf den Weg zu bringen. Aber das wäre jetzt alles pure Spekulation. Das wäre ein ganz neues Thema.
Welty: Welche Rolle kommt den Spielern und den Funktionären zu? Wie beurteilen Sie zum Beispiel das Verhalten von Dortmunds Trainer Tuchel, der sich ja jetzt wünscht, der Sport möge bitte wieder in den Vordergrund treten?

Fußball "als Gesamtkunstwerk" verstehen

Lange: Das ist natürlich ein frommer Wunsch, der aus Trainersicht völlig nachzuvollziehen ist, der letztlich auch geteilt wird von allen anderen Fußballfans. Und die, die am Fußball interessiert sind, weil das ist ja das, was in allererster Linie zählt, wobei man diesen Fußball als Gesamtkunstwerk verstehen muss. Das heißt, ohne Fans, ohne Atmosphäre, ohne Fankultur würde dieser Fußball, das rein Sportliche, im Grunde gar nicht geben. Das ist ja das Salz in der Suppe, das ist das Besondere. Was auch die Bundesliga ausmacht, ist die besondere Fankultur, die besondere Begeisterung. Und deshalb ist es dann auch immer schwer, jetzt so einen Aspekt rauszuziehen, jetzt mögen sich bitte alle nur auf das Sportliche konzentrieren. Das ist ganz eng verwoben mit wirtschaftlichen Dingen, mit fankulturellen Dingen, mit Atmosphäre, mit Stimmung und natürlich auch mit Emotionalität, bei der wir es ganz gern haben, dass die im Fußball angeheizt ist, dass das aufregend ist, dass das brisant ist, dass sich das zuspitzt. Dann finden wir Fußballspiele toll, und in den allermeisten Fällen können die Fankulturen das auch aushalten, Emotionalität ausleben, ohne dass sie jetzt in diese Grenzbereiche abrutschen und zur Gewalt neigen.
Welty: Sportwissenschaftler Harald Lange im "Studio 9"-Interview, und wir beide hoffen mindestens zusammen, dass es ein friedlicher Fußballsamstag wird. Haben Sie herzlichen Dank!
Lange: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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