Staat vs. Kirche

Das erstaunliche Kirchensteuersystem in Italien

Unter den gesetzlichen Abgaben ist auf einer Entgeldabrechnung die Kirchensteuer ausgewiesen
Italienische Steuerbürger können mit einem Kreuzchen angeben, wohin die acht Promille ihres gesamten Steueraufkommens fließen sollen. © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Thomas Migge · 23.11.2014
In Italien zieht der Staat, genau wie in Deutschland, die Kirchensteuer ein. Allerdings geht diese nicht vom Einkommen ab, sondern vom Steueraufkommen. Der Bürger entscheidet zudem selbst, wer Empfänger der Zahlung ist. Zu Kritik kommt es trotzdem.
Jedes Jahr geben die Italiener durch ihr Kirchensteuersystem der katholischen Kirche rund eine Milliarde Euro, erklärt dieser Spot. Wer aber glaube, so der Sprecher, dass mit diesem Geld Projekt im Sozialbereich oder in der so genannten dritten Welt finanziert und unterstützt werden, irre sich gewaltig.

Nur ein Fünftel dieser gewaltigen Geldsumme, so der Spot, fließe in karitative Einrichtungen, der große Rest werde für den Unterhalt der Kleriker und, wie es in offiziellen Verlautbarungen der katholischen Kirche heißt, für "kultische Zwecke" ausgegeben. Ein kleiner Teil der Euromilliarde fließt in den Erhalt der Gotteshäuser.
Steuerparadies Italien?
Den offiziellen TV-Werbespot der katholischen Kirche Italiens verballhornend wird hier erklärt, was mit diesen Steuern tatsächlich finanziert wird: Da ist von Steuerparadiesen die Rede, von Renten für pädophile Geistliche, für den Kauf von immer mehr Immobilien und vielen anderen Dingen.

Schaut man sich im italienischen Web die Spots gegen die italienischen Kirchensteuern an, wie hier von der laizistischen Partei der Radikalen, bekommt man viel starken Tobak geboten. Die Partei der Radikalen hat sich ganz dem Kampf gegen diese Steuern verschrieben. Dazu Mario Staderini, Parteisekretär der Radikalen:

"Wir Radikalen werden nicht müde im Parlament immer wieder den Antrag zu stellen, das aktuelle Kirchensteuergesetz zu revidieren. Wir fordern auch, dass die Kirchensteuern von acht Promille auf nur vier Promille reduziert wird."

Italiens Kirchensteuern. Immer wieder ein heißes Thema. Kurios an diesem Thema ist, dass die Italiener, ganz anders als die deutschen Steuerzahler, nicht einen einzigen Cent ihres Gehalts an die katholische Kirche entrichten.
So funktioniert die italienische Kirchensteuer
Das italienische Steuerrecht sieht nämlich vor, dass die Steuerbürger auf ihren Steuererklärungen mit einem Kreuzchen angeben können, wohin acht Promille ihres gesamten Steueraufkommens fließen sollen: zur katholischen Kirche, zu evangelischen Kirchen, darunter auch den Waldensern, oder aber in soziale oder kulturpolitische Einrichtungen. Der italienische Fiskus zieht also acht Promille von den bereits einkassierten Steuern eines Bürgers ab, der dem zustimmt – und überweist dieses Geld an die bedachte Organisation, ob es nun die Kirche ist oder eine andere Institution.
Kirchensteuern in Italien? Die tun den Bürgern also nicht weh, denn sie zahlen sie ja nicht selbst. Es zahlt der Staat, ein nachweislich klammer Staat, der mit etwa 135 Prozent seines Bruttosozialprodukts verschuldet ist. Ein Unding nicht nur für die Politiker und Wähler der Partei der Radikalen.

Alle paar Monate, wie hier Ende Juli, finden in Rom, vor dem Petersplatz, vor dem Parlament oder dem Amtssitz des Regierungspräsidenten, so genannte Presidi anticonocordatarii statt, Protestveranstaltungen gegen das bestehende Konkordat zwischen dem italienischen Staat und dem Heiligen Stuhl.

An diesen Demos nehmen nicht nur Radikale, sondern auch Kommunisten, Atheisten und Agnostiker, Sozialdemokraten und alle diejenigen teil, die entweder jene Punkte des Konkordats, die die Kirchensteuern betreffen, komplett kippen wollen, oder aber sich dafür stark machen, dass diese Punkte zumindest revidiert werden.
Katholische Kirche wehrt sich gegen Kritik
Die katholische Kirche wehrt sich gegen diese Kritik. Schließlich, erklärt Monsignore Maurizio Aliotta von der sizilianischen Diözesanverwaltung in Siracusa, lebe die italienische Kirche von diesem Geld, denn andere Einnahmen habe sie ja nicht:

"Unsere Kirche ist ungemein lebendig, kümmert sich in allen sozialen Bereichen um die Menschen. Ohne dieses Geld aus dem Steueraufkommen können wir das alles nicht organisieren."

Tatsache ist: Der italienische Staat hat zahllose Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen und andere soziale Einrichtungen, die von der Kirche organisiert und finanziert werden, fest in das staatliche Sozial- und Bildungssystem eingebunden. Eine Kirche, die vor allem von den Kirchensteuerüberweisungen lebt, ist auf diese Finanzmittel dringend angewiesen, um ihre Sozial- und Bildungsangebote auch weiterhin anbieten zu können.
Der Hauptkritikpunkt vieler Acht-Promille-Gegner betrifft jene Gelder von Steuerbürgern, die kein Kreuzchen auf ihrer Steuererklärung machen. Theoretisch, so schreibt das Acht-Promille-Gesetz es vor, fließen diese Gelder in staatliche Sozialprojekte.
Wohin geht das Geld, wenn kein Kreuzchen gemacht wird?
Tatsächlich aber, und es geht um Beträge in zweistelliger Millionenhöhe, überweist der Staat einen Großteil davon ebenfalls an die katholische Kirche. Eine offensichtliche Verletzung des Steuergesetzes und des Konkordats, klagt sogar der katholische Geistliche Paolo Farinella aus Genua:

"Wenn Sie kein Kreuzchen auf der Steuererklärung gemacht haben, dann wollen Sie doch nicht, dass dieses Geld zu einer religiösen Gemeinschaft geht. Dann ist es doch in Ihrem Interesse, dass dieses Geld der Allgemeinheit zukommt, dass damit zum Beispiel staatliche Schulen finanziert werden, oder das öffentliche Gesundheitswesen."

Aber das ist nicht der Fall. Jedes Jahr erscheinen investigative Reportagen in Italiens Medien, die darüber berichten, wie viel Geld die katholische Kirche tatsächlich erhält, und was ihr aufgrund der entsprechenden Kreuzchen in den Steuererklärungen eigentlich nur zusteht. Doch dieses Thema interessiert keine der großen Parteien.
Renzis Reformen machen vor den Mauern des Vatikans halt
Dass nicht wenige seiner Parteimitglieder hier einen Erklärungsbedarf sehen, stört den sozialdemokratischen Regierungschef Matteo Renzi nicht. Der smarte Polit-Sunnyboy, der ganz Italien reformieren will, macht allerdings vor den hohen Mauern des Kirchenstaates halt. Das Konkordat reformieren? Steht nicht auf seiner Agenda.
Wahrscheinlich auch deshalb nicht, weil er es sich nicht mit der hohen und in Italien immer noch recht einflussreichen Geistlichkeit nicht verscherzen will. Wie auch alle anderen wichtigen Parteien kein Interesse an Verstimmungen irgendwelcher Art mit dem Heiligen Stuhl und der katholischen Bischofskonferenz haben.

Und so werben, wie hier die katholische Kirche, einmal im Jahr alle italienischen Glaubensgemeinschaften um 8 Promille des gesamten Steueraufkommens. Die augenfälligsten und am professionellsten Spots, die rund um die Uhr im Fernsehen zu sehen sind, werden von der katholischen Kirche in Auftrag gegeben. Sie bestellt sie bei den wichtigsten PR-Agenturen Italiens; die sich diese Spots sicherlich gut bezahlen lassen. Was kosten diese Werbespots der katholischen Kirche? Dazu schweigt die italienische Bischofskonferenz.
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