Spurensuche in der Familie Himmler

Rezensiert von Georg Gruber · 03.01.2006
Katrin Himmler ist die Großnichte von Heinrich Himmler, dem Reichsführer SS, einem der Hauptverantwortlichen für den Mord an den europäischen Juden. "Die Brüder Himmler, eine deutsche Familiengeschichte" heißt ihre Spurensuche.
Was war der Auslöser für Katrin Himmler, über ihre Familie zu recherchieren? Welche Rolle spielte Heinrich Himmler in ihrer Familie, wurde über ihn gesprochen, über seine Taten?

Katrin Himmler ist eine Vertreterin der "Enkelgeneration", sie hat die Nazi-Zeit nicht selbst erlebt, sie ist 1967 geboren. Heinrich Himmler, ihr Großonkel, beging im Mai 1945 in britischer Gefangenschaft Selbstmord. Sie konnten sich also nicht kennen lernen. Der Großonkel war dennoch immer präsent, allein durch den gemeinsamen Familiennamen, auch wenn die Autorin nicht direkt von ihm abstammt. Heinrich Himmler hatte zwei Brüder, einen älteren und einen jüngeren. Der jüngere Bruder Ernst war der Großvater von Katrin Himmler, auch er starb 1945 in den letzten Kriegstagen unter nicht vollständig geklärten Umständen, wahrscheinlich auch durch Selbstmord.

Heinrich Himmler wurde in der Familie nicht totgeschwiegen, im Gegenteil, es wurde über die Verbrechen der Nationalsozialisten gesprochen.
Katrin Himmler schreibt in ihrem Buch, dass sie sich mitschuldig gefühlt habe. Sie hat Politologie studiert und sich immer wieder mit der deutschen Vergangenheit beschäftigt. Nicht aber mit ihrer eigenen Familie. Denn die Brüder von Heinrich Himmler, also auch ihr Großvater, galten in der Familie immer als unpolitische Menschen, als Mitläufer.

Der Anstoß zu dem Buch kam dann vom Vater, er bat sie im Bundesarchiv in Berlin nach Akten über seinen Vater, über Ernst Himmler, zu recherchieren. Der erste Schritt in einer Spurensuche, bei der sich dann herausstellte, dass die beiden Brüder keine unpolitischen Mitläufer waren, sie profitierten vom Aufstieg Heinrich Himmlers, waren ideologisch mit dem Bruder auf einer Linie. Sie mussten nicht erst von ihm überredet werden, in die Partei einzutreten, wie es in der Familie immer geheißen hatte.

Welche Posten hatten die Brüder inne? Waren sie ebenfalls in führenden Positionen?

Sie hatten nie eine solche Machtfülle wie ihr Bruder Heinrich, waren aber doch Stützen des NS-Regimes und nicht erst seit 1933 nationalistisch gesinnt. Gebhard, der ältere, geboren 1898, war Soldat im Ersten Weltkrieg, im Gegensatz zum zwei Jahre jüngeren Heinrich, der dafür zu jung war. Gebhard und Heinrich beteiligten sich an der blutigen Niederschlagung der Münchner Räterepublik 1919, und auch bei Hitlers gescheitertem Putschversuch 1923 waren sie auf der Straße. Beide sind auf einem Foto im Buch zu sehen.

Heinrich engagierte sich schon früh in der NSDAP, er gehörte zu den Männern der ersten Stunde, baute die SS mit auf und wurde nach der Machtübernahme Hitlers 1933 einer der mächtigsten Männer im Deutschen Reich.

Gebhard war zuerst Lehrer, dann Leiter einer Ingenieurschule und wechselte schließlich ins Reichserziehungsministerium nach Berlin, auch er war alles andere als unpolitisch – er war in der SS und zahlreichen weiteren NS-Organisationen, unter anderem im NS-Lehrerbund, im NS-Bund Deutscher Technik, im NS-Reichskriegerbund. Ihm ging es darum, den deutschen Ingenieursstand zu kontrollieren, nach völkisch-rassistischen Prinzipien. Wer etwa an einer tschechischen Hochschule studiert hatte, durfte nicht den Ingenieurstitel tragen.

Der jüngste Bruder Ernst, geboren 1905, war ebenfalls schon vor der Machtübernahme Parteimitglied. Er machte mit Hilfe seines Bruders Heinrich beim Rundfunk als Techniker Karriere. Zu seinen Aufgaben gehörte die Übertragung von Großereignissen, wie die Nürnberger Parteitage und die Olympischen Spiele 1936. "Ein williger Technokrat", beschreibt ihn Katrin Himmler.

2005, 60 Jahre nach dem Kriegsende, gab es eine Fülle von Neuerscheinungen, die sich mit dem NS-Regime beschäftigten. In letzter Zeit gab es auch eine Reihe von Büchern, die der Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte dienten, wie zum Beispiel die Bücher von Wiebke Bruhns oder Niklas Frank. Was bringt dieses Buch von Katrin Himmler dem Leser Neues?

Sie verwertet bekannte Quellen, teilweise aber auch Briefe und Dokumente aus dem Nachlass der Familie Himmler, etwa ihrer Großmutter, Briefe, von denen auch der eigene Vater nichts wusste.
Über Heinrich Himmler ist schon viel geschrieben worden, über seine Brüder nicht, und Heinrich steht auch nicht im Mittelpunkt des Buches.
Katrin Himmler schildert in ihrer Familiengeschichte auch das Milieu, dem die Brüder entstammten. Der Vater der drei hatte sich aus einfachen Verhältnissen bis zum Gymnasialdirektor in München emporgearbeitet. Dass er in der Erziehung seiner Söhne schon deutsch-nationale Töne pflegte, ist nicht neu. Aber die Autorin konnte es anhand von Briefen des Vaters belegen.

Sie beschreibt das Beziehungsgeflecht sehr nüchtern und distanziert, abgesehen von der persönlich gehaltenen Einleitung und dem Schluss. Das Buch liest sich so über weite Strecken wie eine wissenschaftliche Studie, auch wenn die Autorin an einigen Stellen in die Ich-Perspektive wechselt.

In einem Punkt widerspricht sie auch einigen Himmler-Biografen, und zwar denen, die behaupten, die Familie habe sich abgewandt von Heinrich wegen seines Engagements bei den Nationalsozialisten. Der Kontakt blieb, auch wenn die Eltern zuerst skeptisch waren, nach der Machtergreifung zeigten sie sich voller Stolz über den Aufstieg ihres Sohnes. Der Vater setzte sich allerdings auch für Menschen ein, die unter den neuen Machthabern zu leiden hatten, von den Brüdern ist ein solcher Einsatz nicht bekannt.

Die Autorin will die Brüder aus dem Schatten hervorholen und zeigen, dass der Verbrecher Heinrich Himmler nicht isoliert war. Es gab in der Familie, bei den Eltern, Brüdern und auch den Frauen der Brüder ein großes Einverständnis mit der NS-Ideologie, die teilweise bis über den Krieg hinaus fortbestand.

Katrin Himmler widerlegt damit Nachkriegslegenden, die ähnlich auch in anderen Familien tradiert wurden: die Legende vom unpolitischen 'Mitläufertum' und damit dem Versuch, sich frei zu machen von der eigenen Verantwortung.


Katrin Himmler: "Die Brüder Himmler. Eine deutsche Familiengeschichte"
mit einem Bildteil sowie einem Nachwort von Michael Wildt, Hamburger Institut für Sozialforschung,
S. Fischer Verlag Frankfurt am Main, 2005
336 Seiten, 19,90 Euro