Sprachkritik

Unsinn, der sich hält

Gruppe bunter Buchstaben in einer transparenten dreidimensionalen Sprechblase
In der politischen Sprache gibt es immer wieder offensichtliche Fehler. © imago / Ikon Images
Von Rolf Schneider · 29.11.2016
Sprache lebt. Und wie jeder atmende Organismus verwandelt sie sich, entwickelt Macken und kleine Krankheiten, nur um dann wieder aufzublühen. Doch besonders die politische Sprache bringt einige Absonderlichkeiten mit, kritisiert der Schriftsteller Rolf Schneider.
Beugen wir uns über die Sprache. Über unsere Sprache. Jene der privaten Kommunikation wie - vor allem! - jene der öffentlichen Rede. Da gibt es immer wieder modische Albernheiten, offensichtliche Fehler, falsche Metaphern und schiefe Bilder. Derzeit ist beispielsweise das "Narrativ" im Umlauf, das für geschichtliche Überlieferung stehen soll, aber eigentlich in die Literaturwissenschaft gehört. Kaum ein politisches Statement kommt ohne die Wendung "am Ende des Tages" aus, wo doch ein Ende völlig genügen würde, und immerfort sollen Politiker "ihre Hausaufgaben machen", als gingen sie noch zur Schule. Zwei andere Lieblingsbilder sind der "Echoraum" und die "Stellschraube". Das erste steht für Beteiligung ebenso wie für Widerhall in den digitalen Medien, das zweite für Veränderung. Wieso sagt man das dann nicht so?
Anderes ist inzwischen verschwunden, etwa die "Politik der kleinen Schritte", die, wenn schon, "Politik in kleinen Schritten" hätte heißen sollen. Oder ist eben dabei, zu verschwinden, wie die Sprachanleihe bei der Mengenlehre, nämlich "Schnittmenge", die eine inhaltliche Übereinstimmung bezeichnen will.

Der fehlerhafte Genitiv tritt immer wieder auf

Gleichermaßen hält sich allerlei grammatischer Unsinn, so die falsche Vergangenheitsform "durchgewunken", die korrekt "durchgewinkt" heißen muss. Denn winken ist ein schwaches Verb, anders als das klangähnliche "stinken", dessen Vergangenheitsformen "stank, gestunken" lauten. Analog müsste bei "winken" die erste Vergangenheitsform statt "winkte" "wank" sein, was glücklicherweise ausbleibt.
Ebenso falsch sind die Zeitangaben nach dem Muster "am Ersten diesen Monats". Richtig wäre "am Ersten dieses Monats". Gleichwohl, der fehlerhafte Genitiv tritt immer wieder auf, bei Nachrichtensprechern wie bei Politikern.
Das Ende des Staates DDR liegt mehr als ein Vierteljahrhundert zurück. Einiges daraus hat sich in das wiedervereinigte Deutschland gerettet: Architekturen, Bilder, Bücher, Erinnerungen und eben auch Sprachliches.
Bis heute lassen sich ältere Ostdeutsche daran erkennen, dass sie statt Supermarkt "Kaufhalle" sagen und statt Plastik "Plaste". Anderes hat sich in den gesamtdeutschen Wortschatz eingeschmuggelt, ohne dass die Herkunft noch bewusst wäre.

Die Rückkehr des DDR-Politsprechs

Es zählt hierzu das Verb "erstellen". Das kann "herstellen" bedeuten oder "aufstellen". Skrupulöse Sprecher formulieren genau dies. Ursprung von "erstellen" ist das DDR-Behördendeutsch.
Gleichermaßen entstammt die "Schlussfolgerung" dem Politsprech der frühen DDR-Jahre. Schluss und Folgerung sind zwei unterschiedliche Begriffe der formalen Logik. Wer Schlussfolgerung sagt, meint den Schluss. Die "Schlussfolgerung" ist logischer Unsinn, aber sie hält sich unerbittlich.
Ebenso ist "der Fakt" ein ostdeutsches Gewächs. Es handelt sich um die Kurzform von Faktum, das sächlichen Geschlechtes ist, so dass es eigentlich "das Fakt" heißen müsste. Die fehlerhafte grammatische Zuordnung verdankte sich dem SED-Spitzenpolitiker Walter Ulbricht. "Das ist der Fakt, ja?" war eine seiner Vorzugsformeln.
Sprache, so hat man gesagt, sei ein atmender Organismus. Sie kann sich Krankheiten einfangen, sie verändert sich, sie scheidet Unrat aus oder anverwandelt ihn. Sprache ist wie das Leben.

Rolf Schneider, geboren 1932 in Chemnitz. Er war Redakteur der kulturpolitischen Monatszeitschrift Aufbau in Berlin (Ost) und später als freier Schriftsteller Mitglied der "Gruppe 47". Wegen "groben Verstoßes gegen das Statut" wurde er im Juni 1979 aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen, nachdem er unter anderem in einer Resolution gegen die Zwangsausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte. Veröffentlichungen u.a. "November", "Volk ohne Trauer" und "Die Sprache des Geldes". Seine politischen und künstlerischen Lebenserinnerungen fasst er in dem Buch "Schonzeiten. Ein Leben in Deutschland" (2013) zusammen.

Der ostdeutsche Schriftsteller Rolf Schneider (2000), Autor des Wenderomans "Volk ohne Trauer"
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