Spiegel einer jungen Gesellschaft

Von Leonie March · 03.07.2011
Der wohl wichtigste Termin für die zeitgenössische Kunstszene in Südafrika findet jedes Jahr im verschlafenen Universitätsstädtchen Grahamstow statt. Theatermacher, Musiker und Tänzer kommen etwa eine Woche lang zum National Arts Festival zusammen.
Bashfield wird von seiner Vergangenheit eingeholt. Die imaginäre südafrikanische Kleinstadt war über Jahrzehnte Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen Briten, Buren und Zulus. Alle Charaktere im Theaterstück "Abnormal Load" tragen diese enorme historische Last: Eine alternde Frau, die ihre Vorfahren zu Kolonialhelden stilisiert, ihr Enkel, der als Kind einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters nach seinem Platz in der kleinbürgerlichen Gesellschaft sucht, die farbigen Bediensteten, die dabei helfen ein dunkles Geheimnis zu hüten, in das auch die burische Nachbarfamilie verwickelt ist. Alle pflegen ihre eigene Version der gemeinsamen Geschichte.

Kann ein junger Farbiger seinen Vorfahren, den britischen Kolonialhelden, bei der Jubiläumsfeier der Kleinstadt darstellen? Das Publikum lacht, teils amüsiert, teils peinlich berührt. Geschichte ist ein sensibles Thema in Südafrika, meint Theaterregisseur Neil Coppen nach der Uraufführung seines Stückes.

"In unseren Theatern setzen wir leicht auf Stereotype wie den rassistischen Buren. Mir war es wichtig, die Komplexität und die Nuancen der Figuren herausarbeiten. Ich möchte, dass wir uns und unsere Fehler darin wieder erkennen. Wir haben alle bestimmte Ansichten, die durch unsere Familiengeschichte geprägt worden sind. Muster der Vergangenheit, die sich wiederholen. Aber in meinem Stück geht es auch darum, wie wir diesen ungesunden Kreislauf unterbrechen können. Wir Südafrikaner sitzen sozusagen in der historischen Falle. Und zwar so lange, bis wir uns mit unserer Geschichte auseinandersetzen und begreifen, wie sie unsere Gegenwart beeinflusst. Was das betrifft, haben wir uns noch nicht genügend weiterentwickelt."

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der jungen Demokratie ist eines der Hauptthemen des diesjährigen Kulturfestivals. Ebenso die Suche nach einer gemeinsamen kulturellen Identität. Der 30-jährige Neil Coppen steht für den frischen Blick einer neuen südafrikanischen Künstlergeneration, die mit schwierigen Themen ebenso spielerisch umgeht wie mit unterschiedlichen Ausdrucksformen. Afrikanische Erzähltraditionen treffen mühelos auf multimediale Projektionen. Ein relativ neuer Trend am Kap, betont der Vorsitzende des Festival-Komitees Jay Pather.

"Südafrika hat sich lange Zeit fast ausschließlich auf die Inhalte konzentriert. Das war Teil der politischen und sozialen Umwälzungen. Doch jetzt beschäftigen sich Künstler zunehmend auch mit der Entwicklung neuer experimenteller Ausdrucksformen. Wir haben Wert darauf gelegt, Werke auszuwählen, die Südafrika in einen globalen Kontext einordnen. Es ist interessant zu sehen, wie die Künstler unsere einheimischen afrikanischen Formen mit zeitgenössischen verbinden. Wir sind davon überzeugt, dass die Welt genau das von uns sehen will."

Zeitgenössischer Tanz und uralte afrikanische Traditionen verschmelzen bei "Desert Crossings". Eine atemberaubende Koproduktion des südafrikanischen Choreographen Gregory Maquoma und der britischen Tanzformation "State of Emergency". Der Mythos des Urkontinents Panaea, in dem es keine Trennungslinien zwischen Afrika und Europa gab wird auf der Bühne lebendig - der Traum einer Welt ohne Grenzen. In Südafrika, einem Land, in dem Menschen nach Hautfarben getrennt leben mussten und das wegen seiner rassistischen Politik international weitgehend isoliert wurde kommen Koproduktionen wie dieser eine besondere Bedeutung zu, betont Jay Pather.

"Eine der schwerwiegendsten Auswirkungen der Apartheid auf die südafrikanische Kulturszene war der kulturelle Boykott. Er war zwar unverzichtbar um die Welt auf die Rassentrennung in unserem Land aufmerksam zu machen, aber er hat eben auch seine Spuren hinterlassen. Deshalb ist es so wichtig, dass südafrikanische Künstler Zugang zu einem internationalen Publikum erhalten, und dass dieses wiederum an unserer postkolonialen kulturellen Entwicklung teilnehmen kann. Der internationale Austausch ist entscheidend."

Das gilt nicht nur für die südafrikanische Theater- und Tanzszene, sondern auch für die Musik. Im ausverkauften Konzertsaal spielt Bokani Dyer. Die Erwartungen an den jungen Pianisten sind groß: Gerade hat der 25-Jährige einen renommierten Nachwuchspreis am Kap gewonnen, Kritiker schreiben ihm genug Talent zu, um dem südafrikanischen Jazz eine neue, moderne Note zu verleihen.

"Den Taktstock für den südafrikanischen Jazz in der Hand zu halten ist natürlich eine besondere Rolle. Die Erwartungen an mich sind groß. Dabei kann man den südafrikanischen Jazz heutzutage nicht mehr isoliert betrachten. Denn auch wir sind mittlerweile unterschiedlichsten Einflüssen aus aller Welt ausgesetzt. Vielleicht bleibt der Kern bestehen, ein bestimmter Stil zu spielen, der kulturell beeinflusst ist. Aber das spezifische Genre in seiner unverfälschten Form wird für meinen Begriff verloren gehen."

In dieser Hinsicht ist das National Arts Festival in Grahamstown ein Spiegel der südafrikanischen Gesellschaft: Eine junge, weltoffene Demokratie, die zwar noch immer mit den Geistern der Vergangenheit kämpft, den Blick zunehmend aber nach vorn richtet.


Service:
Das südafrikanische Kulturfestival in Grahamstown läuft noch bis zum kommenden Sonntag. Mehr Informationen unter www.nafest.co.za.