Spekulation mit Agrarrohstoffen: "Wir raten unseren Kunden davon ab"

André Gaufer im Gespräch mit Ute Welty · 03.09.2012
Die Spekulation mit Weizen, Mais oder Reis ist "ein Riesengeschäft" unter anderem von deutschen Banken und Versicherungen, sagt André Gaufer. Der Vorstandsvorsitzende eines Finanzdienstleisters verzichtet aus ethischen Gründen auf solche Produkte - und klärt über unfairen Handel auf.
Ute Welty: Wie ernähren wir neun Milliarden Menschen im Jahre 2050? Diese Frage stellt sich die zweite Weltkonferenz zu Agrarwesen und Nahrungsmittelsicherheit, die heute in Hanoi in Vietnam beginnt und bis zum Ende der Woche Antworten finden will. Eine davon steht schon fest, nämlich, dass die Lebensmittelproduktion weltweit um 70 Prozent steigen muss. Es ist eine gewaltige Aufgabe, die André Gaufer dann auch noch in die richtigen Bahnen lenken will. Er ist Vorstandsvorsitzender des Finanzdienstleisters Profinance AG, und er hat die Initiative "Handle fair" gegründet. Guten Morgen!

André Gaufer: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Ihre Initiative wird finanziert über Ihr Online-Angebot, das heißt, Ihre Kunden bezahlen das ja mit. Ist das fair gehandelt?

Gaufer: Ja. Man muss natürlich dazu sagen, dass wir ja auf die Provisionen unseres Online-Fonds-Shops profinance-direkt.de verzichten, und das, was übrigbleibt an sogenannten Bestandsprovisionen – das zahlt jeder Kunde so oder so mit letztendlich, egal worüber er die Fonds erwirbt –, dieses Geld verwenden wir, um die Initiative zu finanzieren.

Welty: Sie verzichten nicht nur auf die Provision, sie verzichten auch auf Finanzprodukte, die mit Nahrungsmitteln spekulieren. Wie groß ist das Geschäft, das Sie sich dabei entgehen lassen?

Gaufer: Das, meine ich, hält sich in Grenzen, und da verzichten wir sehr gerne darauf, denn es gibt eine unglaublich große Zahl an Alternativen, an Finanzprodukten für jedermann, für jede Frau am deutschen Markt. Das heißt, ich muss nicht unbedingt in Finanzprodukte oder in Fonds investieren, die gezielt mit Agrarrohstoffen wie Weizen oder Mais spekulieren.

Welty: Trotzdem ist das ja ein großes Geschäft, was da gemacht wird.

Gaufer: Das ist ein Riesengeschäft. Man geht also davon aus, dass über 500 Milliarden Euro in Rohstoffbörsen angelegt werden. Per Ende 2012 waren alleine deutsche Finanzinstitute mit rund zwölf Milliarden Euro dabei – die großen Player sind da die Deutsche Bank und die Allianz. Es ist ein Riesengeschäft, es hat auch in den letzten Jahren verstärkt zugenommen, aber wir distanzieren uns ganz klar davon, wir raten unseren Kunden davon ab, und gehen mit unserer Initiative ja noch einen Schritt weiter und positionieren uns als Finanzdienstleister gegen diese Finanzprodukte.

Welty: Ist jede Nahrungsmittelspekulation des Teufels?

Gaufer: Nein. Natürlich, ursprünglich dient es ja als Absicherungsgeschäft, diese Warentermingeschäfte – natürlich nicht per se. Es geht nur darum, dass seit den 1990er-Jahren, wo diese Handelsbeschränkungen aufgelockert worden sind an den Rohstoffbörsen, also immer mehr Spekulanten, Investoren sozusagen in diese Märkte mit reingehen, das als ihre Spielwiese entdeckt haben, und dieses große Volumen letztendlich auch mit dazu beiträgt, dass die Preise an den Märkten steigen.

Welty: Die meisten Menschen ernähren sich in irgendeiner Form von Weizen, Mais und Reis. Sind das auch die Produkte, mit denen besonders viel spekuliert wird?

Gaufer: Ja, auf jeden Fall. Es ist ja bekannt, dass bis zu 80 Prozent der Weltbevölkerung halt eben abhängig sind von diesen Grundnahrungsmitteln. Und eben gerade in diesen Agrarrohstoffbereich fließen also verstärkt eben Gelder, und letztendlich führt es dazu, dass die Preise steigen und die Ärmsten sich nicht einmal diese Produkte, also ihr tägliches Brot leisten können.

Welty: Wie funktioniert eine solche Spekulation genau? Wie kann ich aus einer Tonne Weizen beispielsweise möglichst viel Geld herausholen?

Gaufer: Ja, indem Sie eben über Finanzprodukte im Grunde genommen – ich sage es mal vereinfacht – ein Wettgeschäft betreiben, durch sogenannte Warentermingeschäfte. Das bedeutet, dass Sie selbst, Frau Welty, im Grunde an der Ware überhaupt kein Interesse haben, sondern darauf setzen, dass die Preise – beispielsweise für Weizen – steigen, und somit davon nur virtuell profitieren.

Welty: Wir haben eine Dürre in den USA, wir haben Ernteausfälle auch in Russland. Wie wird sich das auf Spekulationen auswirken?

Gaufer: Ja, das wirkt sich ja schon aus. Die Ausfälle – man geht weltweit von bis zu 20 Prozent aus, und alleine die Preise für Weizen und Mais sind von Juni bis heute bis zu 50 Prozent gestiegen. Und auf diesen Trend setzen dann eben leider Spekulanten und verschärfen damit noch diese Spekulation.

Welty: Sie werben jetzt seit 2010 dafür, auf solche Spekulationen zu verzichten. Auf der anderen Seite – Sie haben es gerade schon angesprochen – erreichte der Weizenpreis im Juli ein Vierjahres-Hoch. Können Sie da von einem Erfolg sprechen?

Gaufer: Wir werden nicht erreichen, dass alle Bundesbürger nun auf diese Finanzprodukte verzichten, aber wir konnten zumindest schon mal im Netz, im Internet dafür Sorge tragen, dass die Aufmerksamkeit, was dieses Dilemma angeht, doch verstärkt wurde. Wir haben ja auch Befürworter, wir haben Menschen, die Kommentare bei uns hinterlassen, wir bekommen Anrufe, E-Mails von Menschen, die also uns dann sagen oder mir sagen, dass sie zu ihrer Bank gegangen sind und eben solche Fonds, die sie vorher hatten – und zwar unwissentlich vorher hatten –, eben auch gekündigt haben. Wir können auch nur einen kleinen Teil dazu beitragen, aber es ist uns wichtig, dass überhaupt auch Finanzinstitute sich hier klar gegen diese Nahrungsmittelspekulation positionieren, und insofern ist es an der Zeit, dass hier also auch die Politik agiert und beispielsweise eben die in der Branche so oft zitierten Positionslimits eingeführt werden.

Welty: Das heißt konkret?

Gaufer: Das heißt konkret, dass man eben an den Märkten pro Händler die Anzahl der Geschäfte, der Kontrakte eben reguliert und einschränkt.

Welty: Und das erwarten Sie von der Politik?

Gaufer: Auf jeden Fall. Längst schon.

Welty: Und warum ist das nicht passiert bisher?

Gaufer: Ja, gute Frage – warum ist das nicht passiert? Es ist davon auszugehen, dass die Finanzlobby hier sehr stark Einfluss nimmt letztendlich und auf der anderen Seite die Politiker sich schwertun, hier auch mal sich europaweit einig zu werden und durchzusetzen, da gibt es immer einzelne Länder, wie eben Großbritannien, die eben dagegen sind.

Welty: Wenn heute die Weltkonferenz zu Agrarwesen und Nahrungsmittelsicherheit beginnt, was erwarten Sie? Die Thematik ist ja einigermaßen ambitioniert.

Gaufer: Also im Grunde genommen erwarte ich ganz klar, dass sich die Politiker an einen Tisch nicht nur hinsetzen, sondern endlich sich einig werden und von Europa aus ein Signal setzen und sich durchringen, wenigstens diese Positionslimits einzuführen.

Welty: André Gaufer – der Finanzdienstleister wirbt dafür, auf Lebensmittelspekulationen zu verzichten. Ich danke für das Gespräch hier in Deutschlandradio Kultur!

Gaufer: Ich danke Ihnen, Frau Welty!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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