Spektakuläre Preise

Steht der Kunstmarkt vor dem Crash?

Von Kai Clement · 02.12.2014
Eine Giacometti-Skulptur für 81 Millionen Euro, ein Francis Bacon für 106 Millionen: Die großen Auktionshäuser erzielen immer neue Rekordpreise. Manche Experten erkennen Anzeichen für eine Blase am Kunstmarkt.
Wie lange dauert es, bis 48 Millionen Dollar – etwa 38,5 Millionen Euro – auf dem Tisch liegen? Bei dem New Yorker Auktionshaus Christie’s nur wenige Sekunden – bei 40 Millionen eröffnet Auktionator Jussi Pylkkänen die Versteigerung.
Es ist das Bild "Four Marlons", um das mehrere Bieter ringen. Warhol hat ein Standbild aus dem Film "The Wild One" genutzt, das den charismatischen Schauspieler Marlon Brando auf einem Motorrad sitzend zeigt.
Verkauft für 62 Millionen Dollar. Fast 50 Millionen Euro. Und die Prämie für das Auktionshaus kommt noch obendrauf. Beträge, die in den USA keinen Sozialneid auslösen. Auch nicht bei dem New Yorker Passanten Matt. Wenn es Leute gibt, die sich das leisten können – umso besser, sagt er.
Ein zweites Warhol-Bild - es zeigt Elvis Presley - geht für 73 Millionen Dollar an den neuen Besitzer. Die Auktion Mitte November bricht alle Rekorde. Umgerechnet 685 Millionen Euro werden an einem einzigen Abend umgesetzt. In etwa zwei Stunden. Macht etwa 5,7 Millionen Euro pro Minute…
Ist der Kunstmarkt schon überheizt?
Der Kunstmarkt ist auf jeden Fall sehr aufgeheizt – ob er aberüberheizt ist, das ist schwer zu sagen, erklärt David Nash, der dreieinhalb Jahrzehnte für Christie’s Hauptkonkurrenten gearbeitet hat: für Sotheby’s, unter anderem im Vorstand.
Ein kleiner Rückblick. 1. März 1991. Die "Zeit" schreibt:
"Kollaps des Kunstmarktes: Christie’s und Sotheby’s, Antreiber aberwitziger Spekulation, sagen die Frühlingsauktionen ab. Van Gogh bringt keine Rendite mehr. Wann fällt Picasso?"
David Nash:"In den 90ern hatte Japan seine große Krise – und die Japaner haben den Markt verlassen – zu 100 Prozent."
Das Jahr 2008. Die Finanzkrise nimmt ihren Anfang. Die Tagesschau berichtet:
"Das Ende der US-Investmentbanken. Die Krise nimmt dramatische Ausmaße an: Banken brechen zusammen, selbst große Institute wie Lehman sind nicht mehr sicher. Die Börsen befinden sich im freien Fall."
David Nash: "Ich glaube, die Finanzkrise von 2008 ist ein sehr gutes Beispiel dafür, was demnächst auf dem Kunstmarkt passieren könnte. Der war 2008 ziemlich angeschlagen. Für ein paar Monate, ein halbes Jahr, ein Jahr vielleicht. Aber er hat sich schneller erholt als viele andere Märkte."
Aktuell hat der Kunstmarkt Höhen erreicht, die schwindelig machen. Einige wenige Beispiele von New Yorks Herbstauktionen:
  • Eine Giacometti-Skulptur für rund 81 Millionen Euro.
  • Edouard Manets "Le Printemps" für über 52 Millionen Euro.
  • Georgia O’Keeffes "Jimson Weed / White Flower No 1" für 35,5 Millionen Euro.
Auch das gleich wieder ein neuer Rekord: Damit ist sie die derzeit teuerste Malerin überhaupt. Für die Männer hält Francis Bacon den Titel. Sein Triptychon "Three Studies of Lucian Freud" erzielte vor einem Jahr 106 Millionen Euro und löste damit Edward Munchs "Schrei" als das teuerste Bild ab.
Die heißesten Wochen der Kunstgeschichte
Das Wall-Street Journal nannte die beiden ersten November-Verkaufswochen in New York "die heißesten der Kunstgeschichte". Es scheint ein fast schon wahlloses Einkaufen – unabhängig von den Epochen der Kunstgeschichte und den Formen der bildenden Kunst. David Nash sagt: Künstler werden mehr und mehr zum Aktivposten.
Christie’s Expertin für moderne Kunst – Sarah Friedlander – bemüht sich, die Millionensummen für die Warhols als durchaus begründbare Kaufentscheidungen darzustellen – und nicht etwa als Belege für eine Blase am Kunstmarkt. Die Werke seien Paradebeispiele für geradezu ikonische Darstellungen amerikanischer Berühmtheiten – Elvis Presley und Marlon Brando.
Und – in der Sprache des Auktionshauses: frische Ware, nie auf dem Markt gewesen. Die Bilder waren jahrzehntelang im Besitz des deutschen Casinobetreibers Westspiel.
Ja, es gibt durchaus einen Zusammenhang zwischen Preis und Kunstwerk, argumentiert auch David Nash. Seltenheit, Verfügbarkeit, künstlerischer Wert – all das gehöre sicher dazu. Aber, sagt er mit seiner jahrzehntelangen Kenntnis des Kunstmarktes: der hat sich sehr gewandelt. Den Sammler, der aus Liebe zur Kunst kauft, die Werke hält, sie womöglich einem Museum vermacht – wie zuletzt Leonard Lauder: den gebe es kaum noch.
Die Konkurrenz der Platzhirsche Sotheby's und Christie's
Einer Studie aus London zufolge werden heute gut drei Viertel der Kunstwerke als Investition gekauft, nicht aus Liebe zum Werk oder Künstler. Vor zwei Jahren lag der Wert demnach noch bei gut 50 Prozent. Das bedeutet auch: das Bild wird abgestoßen, wenn die nächste attraktive Investition lockt – nicht notwendig auf dem Kunstmarkt. Wie sehr der sich verändert habe, sagt David Nash, erkenne man vor allem daran, wie schnell gerade erst verkaufte Werke wieder auftauchen.
"Wenn man durch die Kataloge der jüngsten Kunstverkäufe blickt, dann sieht man, dass auch gerade erst verkaufte Kunstwerke schon wieder zwei- oder dreimal den Besitzer gewechselt haben."
In New York rangeln die Platzhirsche Sotheby’s und Christie’s miteinander. Sie versuchen, sich die prominentesten Bilder abspenstig zu machen. Oft gehen lange Verhandlungen voraus, wie zwischen Christie’s und dem Warhol-Besitzer Westspiel, erklärte Auktionator Jussi Pylkkänen.
"Ich habe nun schon einige Zeit auf diese Bilder hin gearbeitet, mit deren Besitzer, mit Westspiel. Es ist für mich eine Reise, die schon länger dauert."
Auch das treibt die Preise für die Bilder in die Höhe und heizt den Kunstmarkt weiter an. Etwa, in dem die Auktionshäuser dem Verkäufer einen Garantiepreis zusichern, um ein bekanntes Werk unter ihrem Namen anbieten zu können. Dafür geben sie entweder selbst Preisgarantien ab oder – wahrscheinlicher – versuchen die von Dritten zu bekommen. Aber trotz all der Gründe für einen zusehends aufgeheizten Markt, rechnet David Nash absehbar nicht mit einem solchen Absturz wie in den 90er-Jahren. Das auch deshalb, weil nicht mehr Japan allein den Markt dominiert.
Russland, der Nahe Osten, China – und natürlich die USA und Europa. Das Geschäft stützt sich auf eine viel breiter gestreute Kundschaft. Keine Prognose also, ob und wann der Markt einknicken könnte – wenn er das vorhersagen könnte, würde er nicht da sitzen und Interviews geben, schmunzelt David Nash.
Eines aber weiß genau: so sehr er seine Zeit mit Sotheby’s geliebt hat – nun ist froh, nicht mehr dabei zu sein.
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