Spediteure fordern weitergehende Bahn-Privatisierung

Moderation: Leonie March · 15.04.2008
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV), Heiner Rogge, hat sich für eine 100-prozentige Privatisierung des Güterverkehrs bei der Bahn ausgesprochen. Nur so könne man die Qualität verbessern und mehr Transporte auf die Schiene verlagern, sagte Rogge.
Leonie March: Über die Aussichten für den Börsengang der Bahn und die Konsequenzen für den Güterverkehr spreche ich jetzt mit Heiner Rogge. Er ist der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes. Guten Morgen Herr Rogge!

Heiner Rogge: Guten Morgen!

March: Die CDU sieht also in dem SPD-Kompromiss einen Einstieg in die Teilprivatisierung der Bahn, eine erste Tranche. Sehen Sie das auch so?

Rogge: Ja, wir sehen das auch so, weil dieses Modell auch auf der Grundlage Trennung von Netz und Betrieb liegt, was wir immer gefordert haben. Das heißt, das Netz gehört zum Staat, weil es ja auch weitgehend vom Steuerzahler finanziert wird, während unsere Vorstellung natürlich ist, dass die Betriebsgesellschaften auch zu 100 Prozent privatisiert werden könnten, weil es sich um Unternehmen handelt, die letztendlich ihr Geld am Markt bei den Kunden zu verdienen haben.

March: Ist ein Anteil von 24,9 Prozent denn überhaupt interessant für Investoren?

Rogge: Das kann interessant sein, wenn es sich um einen Einstieg handelt, den man künftig ausbaut, denn es ist ja zwingend, dass hier auch nachgelegt werden muss. Ich glaube nicht, dass der Staat bei Kapitalerhöhungen ohne weiteres zusätzliches Geld nachschießt, schon gar nicht, wenn die Kapitalerhöhung damit begründet ist, dass ausländische Unternehmen gekauft werden, weil die Wachstumsraten im Verkehr im Wesentlichen auch auf Auslandsmärkten liegen.

March: Ihr Verband, die Spediteure und Logistiker also, hoffen nun auf eine weitreichendere Privatisierung der Bahn?

Rogge: Das ist richtig. Wie ich eben schon sagte: wir stellen uns eigentlich vor, dass vor allem im Güterverkehr eine 100-prozentige Privatisierung erfolgen sollte, denn wenn man sich heute die Zahlen der Deutschen Bahn AG ansieht, dann wird im Güterverkehr vor allem über die Tochter Schenker Geld verdient und Schenker verdient sein Geld vor allem auch auf Auslandsmärkten (in der Seefracht, in der Luftfracht, in Märkten wie in China) und es ist sicherlich nicht Aufgabe des Steuerzahlers, diese Risiken mit abzudecken.

March: Warum ist die Straße für den Güterverkehr immer noch so dominant?

Rogge: Die erste Begründung liegt darin, dass die meisten Güter, die heute transportiert werden, im Bereich von 150 Kilometern transportiert werden. Das ist Regionalverkehr. Das sind zirka 80 Prozent der gesamten Güter, die transportiert werden. Zum zweiten ist es so, dass die Schiene natürlich auch von der Ware her in den letzten 30 Jahren einen gewaltigen Umbruch zu erleben hatte. Die Schiene war sehr dominant im Montanverkehr, also Eisen, Stahl und Kohle, und diese Produkte werden in diesem Umfang nicht mehr transportiert, während Investitionsgüter, Konsumgüter immer schon auf der Straße aus Qualitätsgründen transportiert wurden, weil es sich um kleinere Ladungseinheiten handelte. Da hat die Straße einfach qualitativ deutliche Vorteile.

March: Was würde sich denn daran ändern durch eine Privatisierung der Bahn?

Rogge: Wir sehen heute schon da, wo es Wettbewerb auf der Schiene gibt – und wir haben im Güterverkehr ja heute bei den Transportleistungen schon einen Anteil von 20 Prozent durch andere Anbieter -, dass dort deutliche Qualitätsverbesserungen stattgefunden haben - und zwar von allen Akteuren. Auch die alten Staatsbahnen haben in ihrer Qualität unter Wettbewerbsdruck deutlich zugelegt. Und wir sehen ja in bestimmten Märkten, dass die Schiene hier deutlich zugelegt hat. Beispielsweise lag das Wachstum des Container-Verkehrs im letzten Jahr auf der Schiene bei 20 Prozent. Das Wachstum des kombinierten Verkehrs, an dem die Spediteure stark beteiligt sind, steigt seit vielen, vielen Jahren jährlich um zehn Prozent. Neuwagentransporte finden immer mehr auf der Schiene statt. Hier gibt es deutliche Chancen, die von der Schiene auch unter Wettbewerbsdruck realisiert worden sind.

March: Aber nun gibt es ja die Befürchtungen angesichts einer Privatisierung, dass zum Beispiel Strecken stillgelegt werden. Das wäre ja auch nicht im Sinne des Güterverkehrs.

Rogge: Das ist sicherlich richtig, aber die Bahn weiß ganz genau, dass sie zirka 50 Prozent ihres Verkehrs auch im Einzelwagenverkehr macht. Da wird gerade ein neues System getestet – auch unter Wettbewerbsdruck. Ich sehe da durchaus Möglichkeiten, dass die Bahn begreift, dass ihre Kunden nicht nur die 300 größten Industriekonzerne in Deutschland sind, sondern die gesamte Wirtschaft, dass man hier auch Organisationsmodelle vor allem im kombinierten Verkehr finden muss und zum Teil auch gefunden hat, die es ermöglichen, verkehrsfernere Gebiete, die weniger Aufkommen haben, an den Schienenverkehr anzuschließen – und zwar durch kombinierte Lösungen Schiene/Straße.

March: Und bislang ist dieses Bewusstsein bei der Bahn nicht da?

Rogge: Dieses ist schon da, aber hier muss natürlich auch investiert werden und wir hatten schon den Eindruck, dass in den letzten 10, 15 Jahren zu wenig in den Güterverkehr investiert worden ist, dass die Bahn sich zu sehr auf spektakuläre, prestigeträchtige Personenverkehrsinvestitionen im Fernverkehr konzentriert hat, das Geld einfach nicht da war und nicht in die Ertüchtigung des Güterverkehrs investiert worden ist, denn wir leben als Spediteure von der Qualität. Da ist deutlich zu wenig geschehen und da muss nachgelegt werden – und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland, denn wir haben natürlich das größte Wachstum im internationalen Verkehr von der Nachfrageseite her.

March: Ursprünglich war ja genau das ein Ziel der Bahnreform, nämlich mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Wenn Sie sich jetzt die Vorschläge anschauen, haben Sie dann das Gefühl, dass die Politik im Laufe der langen kontroversen Debatte über den Börsengang das aus den Augen verloren hat?

Rogge: Nein, das glaube ich nicht. Das ist immer noch Ziel auch der Politik. Das wird von uns in der Wirtschaft, in der Spedition auch unterstützt – schon aus ganz uneigennützigen Gründen, weil die Spedition Kapazität benötigt. Wir wollen und können auch nicht alles auf der Straße transportieren. Wir brauchen auch mehr qualitativ hochwertige Leistungen auf der Schiene. Dort wo Marktchancen sind, werden sie auch ergriffen und da muss einfach stärker investiert werden. Beispielsweise die Umschlagsknoten im kombinierten Verkehr müssen deutlich ausgebaut werden. Da kracht es an allen Ecken und Kannten. Da stehen wir eigentlich auch voll dahinter!

March: Sie haben ja eben auch die Nachbarländer angesprochen. Die EU fordert ja von den Mitgliedsländern eine Renaissance der Schiene. Glauben Sie daran?

Rogge: Es gibt Länder, die hier schon gut mitgezogen haben, die auch starke Interessen haben, wie die Niederlande, Belgien – schon wegen der starken Stellung ihrer Seehäfen im internationalen Wettbewerb. Wo es noch schwach ausgebildet ist, ist Frankreich. Sehr stark dominant ist dort der Personenschnellverkehr. Alles andere hat man sehr, sehr vernachlässigt. Aber das sind auch die großen Achsen. Auch in Italien gibt es – in Norditalien zumindest – gute Ansätze, auch im Wettbewerb mit der Schweiz und Österreich. Vor allen Dingen auch die osteuropäischen Staaten sind sehr stark am Schienenverkehr interessiert, wollen ihn auch ausbauen, weil dort der Schienenverkehr traditionell eine starke Stellung hat und dort das Straßennetz nicht so gut ausgebaut ist, dass es wirklich so ohne weiteres gut möglich wäre, unter vernünftigen Bedingungen dort logistische Leistungen zu produzieren.