SPD-Slogan ist "nicht nachvollziehbar"

Moderation: Gabi Wuttke · 12.04.2013
Nicht einmal im "angetrunkenen Zustand" könne er sich vorstellen, dass die SPD mit einem Slogan von Leiharbeitsfirmen in den Wahlkampf ziehe, kritisiert der SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler. Die Partei müsse "eine Kehrtwendung einleiten", Peer Steinbrück solle den Slogan zurückziehen.
Gabi Wuttke: "Peer Steinbrück ist Merkels bester Mann" - eine Schlagzeile, die die Fakten auf den Punkt bringt. Der Kanzlerkandidat der SPD geht mit dem Slogan "Das Wir entscheidet" in die heiße Wahlkampfphase. Ausgerechnet eine Leiharbeitsfirma wirbt schon seit Jahren damit. Pünktlich zu diesem Fauxpas veröffentlicht Forsa die Meinung der Wähler: Erstmals seit drei Jahren liegt Schwarz-Gelb wieder vorn, die SPD nur noch bei 23 Sympathieprozenten.

Rudolf Dreßler ist jetzt am Telefon, seit 44 Jahren Genosse und langjähriger Sozialexperte, seit Langem bestürzt über den Geist, der in seine Partei eingezogen ist, und trotzdem ist er der "Alten Tante SPD" treu geblieben. Schönen guten Morgen, Herr Dreßler.

Rudolf Dreßler: Guten Morgen!

Wuttke: Hat Peer Steinbrück so eine Kampagnenpanne verdient? Oder anders gefragt: Kommt hier eins zum anderen?

Dreßler: Ob er sie verdient hat, steht in dieser Phase überhaupt nicht zur Debatte. Er hat sie jedenfalls durch einige - wie soll ich es mal sagen? - Unfälle, die sich gehäuft haben, losgetreten. Also ich hätte mir nicht einmal im angetrunkenen Zustand vorstellen können, dass meine Partei mit einem Slogan von Leiharbeitsfirmen in einen Bundestagswahlkampf zieht.

Wuttke: Jetzt sagt der, der dafür verantwortlich ist, er hätte noch sechs Wochen vorher gegoogelt und da hätte er das nicht sehen können, von daher sei das doch jetzt einfach ganz, ganz genial, so hielte man sich im Gespräch.

Dreßler: Mal unabhängig davon, dass sich wahrscheinlich ganz wenige unter diesem Slogan was vorstellen können, "Das Wir entscheidet", mal davon ganz abgesehen. Wenn ich nun mich geirrt habe und habe das nicht festgestellt, dass Leiharbeitsfirmen mit diesem Slogan arbeiten, dann kann ich, wenn ich es nun erfahren habe, blitzartig entscheiden und sagen, dieser Slogan kommt in die Tonne, und dann hat man einen Tag noch Theater zum Aufarbeiten und dann ist der Fall erledigt.

Jetzt hat er mit diesem Slogan, den er aufrechterhalten will, noch Wochen - das ist meine Prognose - zu tun, und zwar nicht so zu tun, dass es ihm gefällt. Und das wiederum wirkt sich logischerweise auf den Zustand der SPD aus, auf den Zustand der Wahlkämpfer, und die tun mir am meisten leid, weil sie die Prügel beziehen werden.

Wuttke: Man fragt sich ja, warum hat niemand diesen Slogan dann sofort in die Tonne getreten. Peer Steinbrück hat es nicht getan, Sigmar Gabriel hat es nicht getan. Haben die inzwischen Angst?

Dreßler: Ich kann mir nicht erklären, warum man das nicht getan hat. Der Parteivorsitzende wird es alleine nicht haben machen können. Selbst wenn er das vorgeschlagen hätte, was ich gar nicht weiß, und der Kanzlerkandidat diese Entscheidung nicht fällt, dann passiert sie nicht. Er hat ja in anderen Dingen, wo er, ich sage mal, neben der Spur gelegen hat, auch sofort entschieden.

Wenn ich mich daran erinnere, dass er in einer Phase einen Hedgefonds-Manager für seine Internetarbeit verpflichtet hat; als er erfahren hat, dass dieser Mann aus diesem Lager kommt, hat er sich sofort davon getrennt. Insoweit: Er kann entscheiden, er hat aber in diesem Falle nicht entschieden. Und nun hat er den Slogan einer Leiharbeitsfirma, deren Produkte er politisch bekämpfen will, am Hals und soll damit einen Wahlkampf für die SPD bestreiten. Das ist mir intellektuell, höflich gesprochen, nicht nachvollziehbar.

Wuttke: Dann versuche ich es mal ganz profan: Häschen in der Grube kommt nicht über 23 Prozent.

Dreßler: Dieses Ergebnis war ja noch nicht mal das schlechteste der SPD. Das schlechteste war eineinhalb Jahre vorher bei der Europawahl mit 21,5 Prozent.

Wuttke: Wollen Sie damit schon was sagen?

Dreßler: Ja ich will damit sagen, dass 23 Prozent eine Katastrophe sind. Aber die SPD muss aufpassen, dass sie nicht dem Glauben verfällt, dieses sei nicht mehr unterbietbar. Dieses entscheiden nämlich Wählerinnen und Wähler und entscheidet nicht eine Parteiführung oder ein Kanzlerkandidat.

Und das, was sich zurzeit abspielt, ist für mich eine schlimme Katastrophe. Die SPD kann nur - das lebt die Erfahrung der vergangenen Jahrzehnte - mit dem Thema soziale Gerechtigkeit, mit Identitätsstiftung Wahlen gewinnen, Wahlen entscheiden. Und wenn sie das nicht tut, die Einheit zwischen Programm und Personen herzustellen, also identitätsstiftend wirken in der Programmatik und in dem personellen Angebot, dann hat sie wenig oder gar keine Chance.

Wuttke: Herr Dreßler, sind Sie eigentlich wütend, oder spricht aus Ihnen die pure Verzweiflung?

Dreßler: Beides! Ich bin auf der einen Seite wütend und versuche, dann mein Privileg zu genießen, dass ich das heute alles nicht mehr verstehen muss, und auf der anderen Seite Verzweiflung, weil natürlich, sagen wir mal, meine langjährige Mitgliedschaft in dieser Partei und meine Arbeit über Jahrzehnte in der Partei und für die Partei auch ein Stück Herzblut mit sich bringt. Und wenn ich sehe, wie das alles zwischen den Fingern zerrinnt, dann ist das schon, ich sage mal, nicht lustig.

Wuttke: Dass Sie sagen, dass Sie das alles nicht mehr verstehen müssen, ist aber auch nicht kokett gemeint. Das ist schon ein Ausdruck von Zynismus?

Dreßler: Das ist schon Zynismus, weil man sich manchmal nur damit noch über Wasser hält und helfen kann.

Wuttke: Was hilft denn jetzt Ihrer SPD?

Dreßler: Ich habe Sie akustisch nicht verstanden.

Wuttke: Was Ihrer SPD denn nun hilft?

Dreßler: Ich glaube, dass die Partei, wenn sie noch eine Chance haben will, wirklich jetzt eine Kehrtwendung einleiten muss. Die Kehrtwendung heißt: er muss, wenn er selber Probleme hat mit dem Thema soziale Gerechtigkeit, also der Identität mit dem Begriff soziale Gerechtigkeit, sich ein Team zusammenstellen, das diese Vorbehalte nicht austeilt, dem man diese Vorbehalte nicht nachsagt. Und wenn er dieses Team aufbaut und dann diese Themen in der sozialen Gerechtigkeitsfrage in den Mittelpunkt stellt, wie es ja das Programm ermöglicht, das beschlossen werden soll, ...

Wuttke: Aber, Herr Dreßler, ist der Zug nicht schon abgefahren? Ist das nicht schon viel zu spät?

Dreßler: Nein, ich glaube nicht. In der heutigen Zeit dreht sich so etwas sehr, sehr schnell. Da soll man sich nicht zu sicher sein. Das sagt die CDU übrigens aus guten Gründen auch jeden Tag.

Wuttke: ... , sagt der Sozialdemokrat Rudolf Dreßler im Deutschlandradio Kultur zum Zustand der SPD und zum Wahlkampf von Peer Steinbrück. Wir sind gut fünf Monate vor der Bundestagswahl. Herr Dreßler, ich wünsche Ihnen alles Gute - danke!

Dreßler: Danke schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
SPD-Urgestein und Sozialexperte Rudolf Dreßler
SPD-Urgestein und Sozialexperte Rudolf Dreßler© picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
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