SPD-Politiker

Mit Zivilcourage gegen Rechtsextremismus

Patrick Dahlemann (SPD), Landtagsabgeordneter in Mecklenburg-Vorpommern, zu Gast bei Deutschlandradio Kultur
Patrick Dahlemann (SPD), Landtagsabgeordneter in Mecklenburg-Vorpommern, zu Gast bei Deutschlandradio Kultur © Deutschlandradio - Cornelia Sachse
Patrick Dahlemann im Gespräch mit Martin Steinhage und Andre Zantow · 12.07.2014
Ein mutiger Auftritt machte den Sozialdemokraten Patrick Dahlemann aus Mecklenburg-Vorpommern bekannt: Der 25-Jährige las NPD-Aktivisten an deren Mikrofon gründlich die Leviten. Was ist zu tun, um den Neo-Nazis Einhalt zu gebieten, im Alltag, aber auch politisch?
Deutschlandradio Kultur: Unser Gast heute heißt Patrick Dahlemann. Tag, Herr Dahlemann.
Patrick Dahlemann: Hallo.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind 25 Jahre jung, damit jüngster Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern für die SPD. Bundesweit wurden Sie bekannt durch eine beherzte Rede in Ihrer Heimatstadt Torgelow auf einer NPD-Veranstaltung.
Die Rechtsextremen haben damals Stimmung gegen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge gemacht. Sie sind ans Mikrophon getreten und haben zur aufgebrachten Menge gesprochen. Ihre Rede, Herr Dahlemann, die ist dann auch im Internet gelandet auf der Plattform YouTube. Hunderttausende Menschen haben sie gesehen. Und wir hören jetzt mal einen kleinen Ausschnitt. Die Tonqualität bitten wir zu entschuldigen.
Patrick Dahlemann in Torgelow-Drögeheide, 21.7.2013:
"Bitte fallen Sie nicht rein auf diese Plattitüden, die die NPD hier vor uns drischt. Bitte fallen Sie nicht darauf rein, dass menschenverachtende Parolen bei uns in Torgelow verbreitet werden. Liebe Drögeheider, ich bin Stadtvertreter dieser Stadt Torgelow. Bitte vergessen Sie nicht: Das sind Menschen, die freiwillig bereit sind, ihre Heimat zu verlassen, weil sie Angst um ihr Leben haben, weil sie sich fürchten müssen, ihre politische Meinung zu vertreten oder weil sie aufgrund einer anderen Hautfarbe und ihrer Religion verfolgt werden. Stellen Sie sich vor, wir wären in dieser Situation und müssten unsere Heimat dafür verlassen!"
Deutschlandradio Kultur: Herr Dahlemann, wie kam es zu Ihrem etwa fünfminütigen Redebeitrag als Sozialdemokrat auf einer Veranstaltung der NPD? Geschah das geplant oder war das rein zufällig?
Patrick Dahlemann: Nee, da konnte man an dem Tag gar nichts planen. Das Einzige, was geplant war, dass wir gegen diese Asyl-Tour der NPD demonstrieren und es nicht unkommentiert stehen lassen wollen, was die Rechtsextremen da bei uns, in meiner Stadt verbreiten. Ich bin selber Torgelower, war der Versammlungsleiter der friedlichen Gegendemonstration. Und irgendwann hat sich dann der Köster da auf mich eingeschossen und fing dann immer wieder an: „Und Sie, Herr Dahlemann, mit ihrem Multikulti und..." sie sind dann in ihren Sprachgebrauch da verfallen.
Und irgendwann bot er mir dann zehn Prozent seiner Redezeit an. Und ich stand weitab von meinen Mitdemonstranten und dachte, ja, jetzt hast du gar keine andere Wahl. Du musst dich an deine Bürger wenden. Das musst du jetzt annehmen und sprechen.
Deutschlandradio Kultur: Welche Leute standen denn vor Ihnen dort? Waren das Rechtsextreme? Waren das Leute, die Sie kannten? Wer war das?
Patrick Dahlemann: Es waren Leute, die ich kannte. Das waren meine Mitdemonstranten aus dem Aktionsbündnis, Vertreter der Kirche, der Gewerkschaften, anderer Parteien, also Leute, die ich seit vielen Jahren auch politisch schätze in der Zusammenarbeit. Es waren aber auch deutlich eine größere Anzahl von Anhängern der rechtsextremen NPD, die aus dem ganzen Land angekarrt werden und dann ihre Asyl-Tour da machen durchs Land und da versuchen, Stimmung zu machen.
Und es wurden dann auch zunehmend mit meiner Rede mehr Leute, die an den Balkon herangetreten sind, und Leute, die aus den Neubaubauten – man muss sich das vorstellen in so einem U – dann Leute auf die Straße gekommen sind und natürlich ihren Dahlemann erkannt haben und was sagen wollten.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben danach gesagt, nach der Rede, dass Sie sich gefühlt haben, als ob Sie teilweise vor einer Horde Gorillas gesprochen haben. Wie schwer war es, sich zu überwinden, eben an dieses Mikrophon zu treten?
Patrick Dahlemann: Na, ich stand im wahrsten Sinne des Wortes vor diesen Gorillas, weil, die standen mir links und rechts im Nacken, deutlich Bepacktere als ich es bin. Und man hat den deutlichen Unmut gespürt mit jedem Satz, den ich gesagt habe. Und das war schon Überwindung. Da ist man ja nicht alle Tage in der Situation, vor allem, weil man ja auch so unvorbereitet ist. Wobei ich nach wie vor fest davon überzeugt bin, dass das das Gute in der Situation war, weil ich glaube, planen könnte man das nicht.
Deutschlandradio Kultur: Springen wir mal ganz kurz in die Gegenwart. Die Rede ist knapp ein Jahr alt. Und da interessiert uns natürlich auch: Wie hat sich denn die konkrete Situation mit den Flüchtlingen inzwischen in und um Torgelow entwickelt?
Patrick Dahlemann: Wie schnell die Zeit vergeht, ja. Also, die Situation hat sich wirklich gut entwickelt. Wir haben jetzt seit Dezember die Gemeinschaftsunterkunft in Torgelow, ein ganz, ganz breites Aktionsbündnis hat sich darum gebildet. Menschen wollen helfen. Es finden Spendenaktionen statt. Es finden gemeinsame Weihnachtsfeiern statt. Es finden ehrenamtliche Sprachkurse statt. Die Asylbewerber sind in unserem städtischen Leben angekommen. Die ersten Verfahren sind durch. Die Leute haben ihren Status erhalten und dürfen in Deutschland bleiben, haben ihre Wohnung gesucht.
Dadurch entstehen Freundschaften. Unsere Sportvereine gehen auf die Asylbewerber zu. Also, alle Ängste, die in diesem Sommer von den Menschen dort artikuliert wurden, sind nicht eingetroffen. Und ganz, ganz viele sagen mir heute, "Mann, Herr Dahlemann, was haben wir da damals auch gesagt."
Deutschlandradio Kultur: Und die NPD, lässt die die Leute in Ruhe?
Patrick Dahlemann: Die NPD hat zumindest in Drögeheide nicht wirklich einen Fuß auf den Boden gekriegt, aber eine Hetze gegen Asylbewerber findet nach wie vor statt. Bei jeder kleinen Auseinandersetzung, die überall wie in jeder normalen Nachbarschaft, auch im deutschen Häuserblock stattfindet, da versucht die NPD das Thema aufzugreifen und da auch Hetze gegen die Asylbewerber zu machen. Und deswegen ist es da auch unsere Aufgabe, auch an dieser Stelle immer wieder dagegen zu halten.
Es werden Lügen verbreitet. Es werden Gerüchte gestreut. Und mit einer intensiven Arbeit dazu können wir diese dann auch immer aufklären und entlarven.
Deutschlandradio Kultur: Der NPD-Landeschef, den haben Sie ja hier indirekt auch schon angesprochen, von Mecklenburg-Vorpommern, der hat Ihnen ja an diesem 31. Juli, da war diese Rede 2013, das Mikrophon überlassen, offenbar in der Hoffnung, dass Sie sich vielleicht auch ein bisschen blamieren. Sie haben dann Ihren Mut gezeigt, dem NPD-Mann Stefan Köster. Der hat Ihnen dann auch nach der Rede so halbwegs ein Kompliment sogar gemacht. Und wir hören jetzt auch nochmal da herein in diese Aussage, die dann Stefan Köster gemacht hat nach Ihrer Rede.
Stefan Köster in Torgelow-Drögeheide, 21.7.2013:
"Liebe Landsleute. Herr Dahlemann, Sie haben wenigstens Rückgrat, im Gegensatz zu Ihren anderen Genossen. Aber jetzt kommen wir mal von Ihren eigentlich leeren Worthülsen mal wieder zur Realität. Sie sagen, man muss den Fremden, die in ihrer Heimat verfolgt werden, hier ein Bleiberecht geben. Von den vielen, vielen tausend auch hier nach Mecklenburg-Vorpommern kommenden Asylbewerbern werden lediglich 0,6 Prozent anerkannt. Die Realität heißt also, dass 99,4 Prozent nicht das Anrecht auf Asyl haben. Und diese 99,4 Prozent haben schleunigst in ihre Heimatländer wieder zurückgeführt zu werden."
Deutschlandradio Kultur: Diese Argumentation der NPD, die ist ja hinreichend bekannt. Was geht Ihnen da durch den Kopf, wenn Sie das jetzt nochmal hören?
Patrick Dahlemann: Ja, es verdeutlicht, wie wenig es mit der eigentlich menschlichen Situation zu tun hat. Da nüchtern diese Fakten aufzustellen, zum Teil ja auch die Wahrheit ganz klar zu verdrehen, das entlarven wir ja in dem Video später auch noch mit den Aussagen des Polizeibeamten, ne Ablehnung, auch ein völliges Unverständnis... Und manchmal frage ich mich auch, ob die nicht mal einen Funken Verständnis dafür haben, in welcher Situation diese Menschen eigentlich sind. Und auch gerade im persönlichen Kontakt auch mit denen, die hierher kommen und zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder ein bisschen Ruhe finden... Ja, und ein Stück weit schämt man sich auch dafür.
Deutschlandradio Kultur: Herr Dahlemann, wenn man dieses kurze Statement da eben gehört hat, dann fällt einem ja auch auf, der Tonfall ist nicht unbedingt aggressiv, sondern – sagen wir mal – verhalten aggressiv.
Dass die Rechtsextremen aber auch anders können oder offenbar anders können, das hat sich ja kürzlich gezeigt, als ein Anschlag auf Ihr Büro verübt wurde. Was war da los und waren es definitiv die Rechten?
Patrick Dahlemann: Na ja, sie haben keine Visitenkarte hinterlassen. Also ich kann nicht sagen, wer es war. Die Polizei hat mit Hochdruck ermittelt oder ermittelt zum Teil noch heute. Aber es gab zumindest eine politische Gruppe, die in den letzten Monaten vielleicht nicht unbedingt erfreut darüber war, wie ich mit denen umgegangen bin, und auch, wie meine MitbürgerInnen damit umgehen.
Deutschlandradio Kultur: Welche?
Patrick Dahlemann: Na ja, das sind natürlich die Neonazis bei uns. Ich hab immer ganz flapsig formuliert: Ich bin denen auf dem Schlips rumgetreten, die keinen tragen. Und ich glaub, da ist schon bisschen was dran.
Es war natürlich eine ärgerliche Situation an dem Morgen des Besuchs von Sigmar Gabriel, der Vizekanzler und Parteivorsitzende hat mich in meinem Wahlkreis besucht. Wir hatten eine tolle Veranstaltung. Und die ersten Dinge, die ich morgens zu tun hatte, hatten eben damit zu tun, Scherben wegzufegen, Polizei zu rufen, Versicherung zu informieren, herauszukriegen, dass die Versicherung nicht zahlt, weil sie noch nicht durch war und solche netten Dinge.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja gegen Sie durchaus auf Ihrer Homepage, das kann man ja auch nachlesen, da kann man Ihnen Fragen stellen, ja so eine Art – neudeutsch – Shitstorm. Da werden Sie beleidigt auf Ihrer eigenen Seite. Sie lassen das sogar stehen. Man kann das da anonym tun. Wie gehen Sie damit um?
Patrick Dahlemann: Die Funktion Sie fragen, ich antworte steht für meine Transparenz. Die Leute sollen wissen, welche Haltung der Dahlemann vertritt. Alle seriösen Fragen beantworte ich da relativ schnell. Ich muss zugeben, dass natürlich mit dem Einzug in den Landtag sich mein Zeitfenster an der einen oder anderen Stelle auch ein bisschen verschoben hat.
Deutschlandradio Kultur: Seit April jetzt, 2014.
Patrick Dahlemann: Seit April 2014, genau, relativ frisch noch. Am 16. Juli ist das 100-Tage-Programm rum. Aber diese Funktion werde ich weiterhin nach wie vor da auch aufrechterhalten. Und ich will den Leuten natürlich auch zeigen: Guckt euch mal an, mit welchen plumpen Mitteln, mit welcher Art von Beleidigungen die da zum Teil auch umgehen. Und wir werden da jetzt nochmal einmal sortieren, dass jeder Bürger, der dann tatsächlich Interesse hat, auch nur die Fragen liest, die politischen Inhalt haben, und jeder, der sich mal angucken will, was da sonst so für Mist kommt, welche Emails ein Politiker oder welche SMS ein Politiker jeden Tag kriegt, auch das sollen die Leute ruhig sehen. Und dazu stehe ich auch. Und ich antworte ja durchaus etwas pampig auch auf die eine oder andere Frage. Humoristisch ist noch, wenn man mich zum zehnten Mal fragt, welche Schuhgröße ich habe. Da sind schon andere Sachen dabei, die zum Teil auch unter die Gürtellinie gehen. Aber na ja, darüber steht man.
Deutschlandradio Kultur: Was ist denn möglicherweise passiert außer den zerschlagenen Fensterscheiben? Sind Sie schon mal konkret bedroht oder bedrängt worden in den letzten Monaten?
Patrick Dahlemann: Na ja, man kriegt schon Emails, die den Wortlaut enthalten, dass man einen schon finden würde und einem auflauern würde, wo ich dann immer ganz lapidar sage, mich zu finden, ist nicht sonderlich schwer. Alle meine Kontaktdaten stehen auf meiner Homepage. Da muss man nicht Sherlock Holmes spielen. Ja, das sind Einschüchterungsversuche, die immer wieder stattfinden, von denen man sich aber einfach nicht einschüchtern lassen darf. Und das ist natürlich auch eine ganz wichtige Sache, dass man da den Mut, den wir auch haben, wenn ihn die Politiker nicht haben, wer denn sonst, und wir müssen doch den Leuten zeigen, dass wir da ganz offensiv mit umgehen, um andere auch eben mitzunehmen im Engagement gegen Rechtsextremismus. Denn ganz wichtig ist: nicht wegschauen.
Deutschlandradio Kultur: Sie sollen jetzt auch juristisch belangt werden. Was ist da los?
Patrick Dahlemann: Ja. Wir haben bei uns in Torgelow so eine Wählergemeinschaft, wo die Vertreter, die bei der Kommunalwahl angetreten sind, bei einer Demonstration der rechtsextremen NPD mitgelaufen sind, sogar ein Banner gehalten haben „Gegen Asylmissbrauch" – O-Ton – „mobil machen". Und ich hab in den letzten Wochen da eine intensive Aufklärungsarbeit gemacht mit meiner Stadtpräsidentin zusammen, habe gesagt, liebe Wähler, lasst euch nicht täuschen. „Alternative für Torgelow" klingt ja bisschen anlehnend an die Alternative für Deutschland, die sich darüber übrigens auch drüber beschwert hat.
Und jetzt konnte ich aus der Zeitung erfahren, dass man da eine Verleumdungsklage vorhat. Ich sehe dem ganz gelassen entgegen und sage: Wer auf einer Demo der Nazis marschiert, der muss auch damit leben, dass man rechten Parolen sympathisiert. Und das muss man ihnen sagen und den Spiegel ins Gesicht halten.
Deutschlandradio Kultur: Ein anderer Aspekt: Wir haben jetzt ja schon erwähnt, dass die Rede vor knapp einem Jahr gehalten wurde. Das Video selbst, das Video zur Rede und dann auch noch ein anderes Video, wo sie sozusagen gegeneinander schneiden die Positionen der NPD und die Position der Demokraten, das Ganze steht erst seit Januar im Internet. Warum so spät und nicht gleich nach dem Ereignis?
Patrick Dahlemann: Na ja, wenn man sich mal anschaut, in welchem Zusammenhang diese Rede entstanden ist, wir waren mitten im Bundestagswahlkampf. Die NPD hat diese Asyl-Tour für ihren Wahlkampf genutzt und versucht, daraus politisches Kapital zu schlagen.
Mir war es eben wichtig, auf diese Art und Weise nicht daraus politisches Kapital zu machen, weil, schnell haben solche Aktionen dann den Eindruck, ach, jetzt ist Wahlkampf, jetzt holen die das raus. Und dafür war mir das einfach zu ernst und zu wichtig.
Wir haben natürlich auch innerparteiliche Gremienberatungen dazu gehabt, wie ich damit umgehe. Ich habe am Ende grünes Licht von meinem Ministerpräsidenten bekommen, Erwin Sellering, der gesagt hat: Pass auf, die Reaktion war Klasse, ihr könntet daraus was machen. Und dann war klassisch die Zeit der toten Augen im Januar vorbei. Das Jahr fing wieder an. Und ich dachte mir einfach mal am 6. Januar, ersten Arbeitstag, poste es doch mal bei Facebook. Aber ich hätte niemals damit gerechnet, dass ich dann auch deswegen heute noch hier sitze.
Deutschlandradio Kultur: Im Osten Deutschlands, da hat die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten im vergangenen Jahr deutlich zugenommen, muss man sagen. Die Beratungsstelle für Opfer rassistischer Gewalt, die zählte 737 Angriffe und knapp über 1000 Betroffene. Das entspricht einer Zunahme von ungefähr 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Kann man sagen, dass der Rechtsextremismus ein größeres Problem vor allen Dingen in den so genannten neuen Bundesländern ist?
Patrick Dahlemann: Ach, ich würde das nicht auf die alten und neuen Bundesländer da differenzieren. Ich glaube, wir haben generell ein Problem mit Rechtsextremismus und müssen ihn auch erkennen, ja, auch in der Breite. Und natürlich sind die Neonazis da stark, wo wir gesellschaftliche Verwerfungen haben, wo die Löhne vielleicht nicht hoch sind, wo nach wie vor Arbeitslosigkeit ein Thema ist. Und ich glaube, diese Strukturprobleme haben wir sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern.
Umso wichtiger ist, dass die Erfahrungen, die wir machen, gerade in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, dass wir die auch an unsere Kollegen weitergeben. Und ich würde mich freuen, wenn deswegen auch alle Vertreter der demokratischen Parteien zu dem Entschluss kommen, wie wichtig ein NPD-Verbotsverfahren ist.
Deutschlandradio Kultur: Brechen wir mal die Thematik runter, sozusagen auf den Mikrokosmos, auf Ihre Heimatstadt Torgelow. Die liegt, für alle, die es nicht wissen, im landschaftlich schönen, aber doch sehr strukturschwachen Vorpommern rund 150 Kilometer nördlich von Berlin und nicht weit weg von der polnischen Grenze. Das Städtchen hat weniger als 10.000 Einwohner. Jeder Fünfte im erwerbsfähigen Alter ist ohne Job.
Bei der letzten Bundestagswahl holte die NPD in dem Wahlkreis, in dem Torgelow liegt, 4,6 Prozent. Das ist wirklich nicht schrecklich viel. Gleichwohl die Frage: Wie anfällig für rechtes Gedankengut ist Torgelow?
Patrick Dahlemann: Also, Torgelow ist eine der Städte, die sich wirklich gut entwickelt haben in den letzten Jahren. Und deswegen waren wir auch immer die Stadt, die noch den geringsten Anteil an Zuspruch der NPD dort finden konnte. Das ist – jede Stimme, ohne Frage, ist dort zu viel – aber das ist auf jeden Fall eine Errungenschaft, die auch in der Tat mit städtischem Klima zu tun hat, mit gutem Miteinander der demokratischen Kräfte dort, mit einer guten Stadtentwicklung und einem vernünftigen Miteinander von Bürgermeister, Verwaltung und Politik.
Bei der Landtagswahl, bei meiner Landtagswahl 2011 sah es beim Stimmenanteil der NPD schon anders aus. Da lagen die bei 13 Komma Prozent. Das war natürlich erschreckend hoch und verdeutlichte auch, wie stark unser Problem mit Rechtsextremismus ist. Und da darf man auch kein Blatt vor den Mund nehmen.
Ich weiß, dass es dem einen oder anderen auch weh tut, wenn man es so verdeutlicht bekommt, aber wir müssen da schon geschlossen als Demokraten auch gegen ankämpfen. Es ist in anderen Städten noch schlimmer. Das ist noch erschreckender, heißt aber nicht, dass wir kein Problem damit haben.
Deutschlandradio Kultur: Es geht teilweise bis 30 Prozent.
Patrick Dahlemann: Das geht in manchen Wahlbereichen, in manchen Wahllokalen, klar, ich meine, mir tun da auch manchmal die Bürgermeister leid, die in Dörfern von 300 Einwohnern, und dann gehen 100 zur Wahl und davon wählen dann 30 die NPD und schon kommen 30 Prozent raus. Traurig ist natürlich, dass viele da nicht wählen gehen, aber umso deutlicher müssen wir denen auch aufzeigen: Leute, wenn ihr diese Schlagzeile nicht haben wollt und wenn ihr tatsächlich politische Rahmenbedingungen verändern wollt, dann kriegt euren Arsch hoch und geht wählen.
Deutschlandradio Kultur: Was sagen denn die Leute, mit denen Sie sich da unterhalten, die ganz normalen Leute? Warum wählen die denn NPD und warum schimpfen die gegen Ausländer?
Patrick Dahlemann: Na ja, also, tatsächlich den Klassiker, der sich bekennt zur NPD und mir das sagt, das ist dann doch eher sehr gering. Wir haben da die gewisse Truppe, die das nach wie vor auf ihren T-Shirts tragen und in ihrem Modestil auch gerne nach außen kundtun. Aber ich würde sagen, das ist echt die Minderheit.
Der klassische Protestwähler, der da sein Kreuz macht, weil er mit der aktuellen Situation unzufrieden ist, sagt mir das natürlich nicht. Er sagt mir vielleicht, welche Dinge ihm nicht passen. Und ich kann ihm eine Antwort darauf geben, kriege ihn vielleicht auch umgestimmt, aber ich habe eher weniger den überzeugten NPD-Wähler, der es nicht nach außen zeigt.
Deutschlandradio Kultur: Was passt ihm denn nicht?
Patrick Dahlemann: Ja, das Thema Löhne ist definitiv eins, worüber lange gestritten wurde. Und ich sage immer, es gibt keine Region in Deutschland, die so massiv davon profitieren wird, dass wir jetzt den Mindestlohn einführen. Und das war für mich ganz persönlich auch der Grund, warum ich in die SPD eingetreten bin. Und ich glaube, dass das auch ein großer Schritt sein wird, der zu einer viel höheren Zufriedenheit und Lebensqualität der Menschen dort führen wird. Und diese Dinge nehmen auch den Nazis den Nährboden.
Deutschlandradio Kultur: Mindestlohn hilft natürlich auch nur dann, wenn man erstmal Arbeit hat – das nur am Rande. Der Ausländeranteil liegt in Mecklenburg-Vorpommern mit 1,9 Prozent so niedrig wie fast nirgends in Deutschland. Wie ist das zu erklären? Was meinen Sie? Es gibt kaum Ausländer, aber eine große Ausländerfeindlichkeit.
Patrick Dahlemann: Ich glaube, es ist die Angst vor dem Unbekannten. Ich habe viele Veranstaltungen gehabt, auch im Vorfeld des Asylbewerberheims. Und wir haben Bürgerinformationsrunden dazu gemacht. Und ich habe immer ein Beispiel gebracht: Wenn eine ältere Damen im Alter von 70 zum ersten Mal jemandem die Hand geben muss, der dunkelhäutig ist, dann hat sie dabei ein komisches Gefühl. – Da fühlten sich meine Bürger schnell auf den Schlips getreten: „Aber Herr Dahlemann, wir leben doch nicht hinterm Mond." Aber eigentlich ist es das. Es ist die Angst vor dem Unbekannten.
Und sobald die erste menschliche Freundschaft entstanden ist, ich kann mich genau erinnern an die erste Ankunft der Asylbewerber, und ein kleines dunkelhäutiges Mädchen mit dabei war mit zwei rosa Zopfgummis und ihren großen Kulleraugen, und die Frauen einfach helfen wollten, weil sie total emotionale Bindung zu diesem kleinen süßen Kind hatten.
Jetzt habe ich letzte Woche als Landtagsabgeordneter bei mir die Knirps-Olympiade gemacht mit allen Kita-Kindern. Und die Kita-Kinder ganz vorbehaltlos, Hand an Hand aneinander laufen, alle Freunde sind, sich genauso schubsen wie jeder andere und die Herkunft da keine Rolle spielt.
Das heißt, je früher die Menschen Berührungspunkte mit Menschen anderer Herkunft, anderer Kultur, anderer Religion haben, desto sicherer und auch desto stärker sind sie im Umgang mit der Demokratie ganz generell und desto unanfälliger sind sie auch vor Tendenzen von rechten Seiten.
Deutschlandradio Kultur: Was wurde denn bisher versäumt? Wenn wir mal auf die Geschichte gucken von Mecklenburg-Vorpommern und dem Landtag, dann sehen wir, dass seit 2006 erst die NPD im Landtag sitzt, vorher nicht. Was hat sich denn in den letzten Jahren da verändert, dass auf einmal die Menschen eben rechtsextreme Parteien wählen?
Patrick Dahlemann: Na ja, die Rechten haben natürlich ihre Strategien auch umgestellt. Während wir ja in den 90-ern noch den klassischen Fall hatten, dass DVU, Republikaner, NPD, alle so diese zersplitterten rechten Truppen versucht haben, ihre Stimmen zu holen, haben sie sich ja dann ab Mitte der 2005-, 2006er-Jahre dann in dem Bereich zusammengetan und sich abgesprochen, wer wo antritt. Und diese Strategie ist ja leider aufgegangen. Das heißt, sie konnten ihr rechtes Wählerspektrum bündeln.
Man muss ganz klar dazu sagen: Die NPD hat von Wahl zu Wahl jetzt bei uns an Zustimmung verloren. Sie ist beim letzten Mal nur noch knapp in den Landtag gekommen. Das war natürlich total ärgerlich. Unser großes Ziel war, dass sie draußen bleiben. Aber auch bei der Kommunalwahl jetzt 2014 haben sie verloren. Sie haben in allen Kreistagen an Zustimmung verloren. Sie haben deutlich Sitze verloren. Die Tendenz ist schon mal die richtige, aber wir dürfen noch lange nicht den Atem da an der Stelle aufgeben und aufhalten und müssen da immer weiter an einem Strang dran ziehen.
Deutschlandradio Kultur: Und macht vor diesem Hintergrund tatsächlich ein Antrag auf Verbot der NPD Sinn, der ja auch immer die Gefahr birgt, dass man erneut vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert?
Patrick Dahlemann: Ein Verbotsantrag muss ganz, ganz genau und ganz akkurat vorbereitet sein, ohne Frage. Aber für uns als Leute, die auch – und ich hab das ja bis vor wenigen Wochen auch ehrenamtlich gemacht – gegen Rechtsextremisten ankämpfen, die in Aktionsbündnissen, in zivilgesellschaftlichen Bündnissen sich engagieren, für die ist das eine ganz, ganz wichtige Sache.
Denn solange die NPD immer als etwas Normales abgetan wird und viele Bürger es verwechseln: „Die sind ja eine zugelassene Partei." In Deutschland wird keine Partei zugelassen, in Deutschland kann eine Partei allerhöchstenfalls, wenn sie sich mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren lässt, verboten werden.
Und um diese Unsicherheit da aufzuklären und um diese Hemmschwelle, die ja heutzutage so niedrig ist, da sein Kreuz zu machen und auch die zu nehmen, und natürlich auch den Parteien-Finanzierungssumpf, den die NPD da auftut, während bei jeder anderen Partei so genau geguckt wird, an welcher Stelle wofür Geld ausgegeben wird, die in einer Größenordnung in Mecklenburg-Vorpommern ihre Leute durchs Land schicken, um ihre Hetzblätter zu verteilen, wo sie eigentlich als Fraktionsreferenten beschäftigt sind. All das sind Dinge, die deutlich für ein Verbotsverfahren stimmen. Und deswegen bin ich auch fest davon überzeugt.
Die politische Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, die hört da nicht auf, ohne Frage. Und die wird die Politik auch weiter führen. Aber es wäre ein richtiger Schritt, um auch aufzuzeigen, was da eigentlich im Argen ist.
Deutschlandradio Kultur: Herr Dahlemann, für Ihr Engagement gegen Rechtsextremismus und für Toleranz da haben Sie vor ein paar Wochen in Berlin den Gustav-Heinemann-Preis erhalten. Die Laudatio hielt SPD-Chef Sigmar Gabriel. Zuvor hatte auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier Sie via Twitter gelobt und das Video weiterempfohlen von Ihrer Rede.
Wie sind Sie damit umgegangen? Wie haben Sie das empfunden? War das Stolz? Oder war das auch vielleicht ein etwas unangenehmer Moment, weil Sie natürlich jetzt auch im Fokus stehen?
Patrick Dahlemann: Na ja, also, ich bin ja jetzt schon im zehnten Jahr meiner Mitgliedschaft in der Partei. Und in der Laudatio sind die schon sehr detailliert, die Worte von Sigmar waren da auch sehr, sehr berührend...
Deutschlandradio Kultur: Sie duzen sich.
Patrick Dahlemann: Wir duzen uns, klar. Wir sind in der SPD, genau, da duzt man sich, wobei man da bei manch Älteren auch Probleme hat. Henning Scherf war der Vorsitzende des Kuratoriums des Heinemann-Preises. Den habe ich am Anfang auch gesiezt. Der hat dann mal erklärt...
Deutschlandradio Kultur: Der ehemalige baumlange Bremer Bürgermeister.
Patrick Dahlemann: Richtig. Er ist der lange Henning aus Bremen, so hat er sich vorgestellt. Und dann hat er mir schnell gesagt: Pass auf, du muss Du sagen. Nein, aber es waren sehr berührende Worte in der Rede. Und ja, ich musste mir schon meine Tränen verkneifen, als meine Eltern, die in der Reihe hinter mir saßen, dann doch sich ihre Tränen nicht verkneifen konnten. Es war schon sehr berührend.
Und es ist auch ungewohnt, wenn man für politisches Engagement einen Dank erhält. In der Regel macht man Politik aus der Überzeugung, man verbessert die Welt. Und mit dem Idealismus sollte jeder Politik machen. Es ist trotzdem ungewöhnlich, wenn man dafür ein Danke erhält. Das einzige Dankeschön, was man ansonsten bekommt, ist natürlich ein tolles Wahlergebnis. Das war bei mir jetzt bei der Kommunalwahl der Fall. Eine Woche später der Heinemann-Preis, das waren schon tolle Tage.
Deutschlandradio Kultur: Herr Dahlemann, in diesem Monat werden Sie dann doch schon 26.
Patrick Dahlemann: Ja, ich werde alt.
Deutschlandradio Kultur: Sie sitzen in der Stadtvertretung von Torgelow, Sie sind im Kreistag Vorpommern-Greifswald und – wir haben es erwähnt oder Sie haben es erwähnt – seit April sind Sie auch als Nachrücker Landtagsabgeordneter für die SPD.
Gab es oder gibt es hier und da auch mal den Vorwurf, da will sich einer in den Vordergrund drängen, will Karriere machen, ohne schon die notwendige Reife zu haben? Dahlemann, der Karrierist, gibt's die Vorwürfe auch?
Patrick Dahlemann: Ach na ja, wenn man jung ist und vorankommt, gibt's immer den einen oder anderen, der damit nicht so umgehen kann oder vielleicht auch Probleme hat, vielleicht auch selber da gern wäre. So ist das eben mit Neid und manchmal auch Anerkennung.
Mir ist wichtig, dass wir gesellschaftlich breit vertreten sind in unseren Gremien. Und in Mecklenburg-Vorpommern leben nach wie vor viele junge Menschen. Nun bin ich ja schon 26. Das heißt, von dem klassischen Jugendlichen bis zum Schüler, zum Abiturienten, bis zum Studenten ist das eine riesige Bevölkerungsgruppe, unsere Auszubildenden, die jungen Arbeitnehmer. Und ich glaube, da ist es schon ganz gut, wenn wir da einen guten Schnitt im Parlament haben. Der nächste Abgeordnete ist dann 35, also, da ist schon eine ganz schön klaffende Lücke dazwischen. Ich würde gut finden, wenn wir vom 20-Jährigen bis zum 80-Jährigen oder älter da im Parlament breit vertreten sind. Und dann können auch alle damit gut umgehen.
Denn machen wir uns nix vor: Wenn man im Landesparlament einzieht, da wird, egal welchen politischen und welchen fachlichen Background man hat oder wo man auch beruflich herkommt, jeder wird ins kalte Wasser geworfen. Und es kommt eben drauf an, wie schnell man Schwimmen lernt und wie schnell man die ersten Gegebenheiten des neuen Jobs kennt. Und, ja, je fixer man da ist in der Auffassungsgabe, desto hilfreicher ist es dann auch für den Job.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben die Auszubildenden schon angesprochen. Als Kommunalpolitiker haben Sie ja auch viel zu tun mit Azubis. Sie haben neulich eine Ausbildungsmesse in Ihrer Stadt Torgelow eröffnet in der Stadthalle. Was hören Sie denn von den Altersgenossen da über ihre Zukunft und Sorgen und Wünsche?
Patrick Dahlemann: Sie sind gut vorbereitet. Die Ausbildungsmesse war eine ganz wichtige Veranstaltung. Die macht meine Stadt jetzt schon seit vielen Jahren. Und wir kommen in Mecklenburg-Vorpommern natürlich in eine ganz andere Situation als noch vor Kurzem. Vor Kurzem war es noch so, dass wir unwahrscheinlich viele Ausbildungsplätze uns gewünscht hätten und wir mit Unternehmen darüber gesprochen haben, Ausbildungsplatzgarantien war das Stichwort, und einfach viele junge Leute keinen Ausbildungsplatz in Mecklenburg-Vorpommern finden konnten.
Jetzt ist die Situation ganz anders. Jetzt suchen unsere Unternehmen händeringend Fachkräfte. Und ich kann zu jedem Jugendlichen in meinem Wahlkreis immer nur sagen: Bleibt hier, bleibt in der Region. Die Lohnspirale wird sich anpassen. Die Ausbildungsbedingungen werden besser. Die Berufsschulstandards verbessern sich deutlich, weil das Land den Wettbewerbsfaktor in der beruflichen Ausbildung der jungen Menschen deutlich erkannt hat und fördert und stärkt.
Das heißt, für die jungen Menschen stehen jetzt alle Türen offen. Und auch da spielt natürlich eine gesetzliche Lohnuntergrenze erneut eine wichtige Rolle, auch zu der Situation, in der wir sind gegenüber dem polnischen Arbeitsmarkt. All das sind nur Chancen für junge Leute.
Mein Hintergrund war immer, mir haben die Lehrer immer gesagt: Komm Junge, geh, mach dein Abitur, hol gute Noten und dann gehe in den Westen, da, wo du Geld verdienen kannst. Ich glaube, das war der falscheste Rat, den man jungen Menschen massenhaft nur geben konnte. Man muss allen jungen Leuten sagen: Bleibt hier, bleibt bei uns. Junge Lehrer haben da jetzt gute Chancen. Die werden bei uns jetzt seit diesem Schuljahr dann auch verbeamtet. Das sind die Sachen, die auch die Politik ja deutlich voranbringen und für das Land eine ganz wichtige Zukunftschance ist.
Deutschlandradio Kultur: Wie hat sich dann aber dann der Alltag verändert, wenn man so eine massive Abwanderung da beobachtet hat in den letzten Jahren in Mecklenburg, vor allen Dingen auch die jungen Frauen – die Jungs, die Männer bleiben da – wie hat sich da der Alltag verändert?
Patrick Dahlemann: Wenn ich nach Hause fahre, um mich mit Freunden zu treffen, dann muss ich das, wenn ich meine ehemaligen Schulfreunde sehen will, planen, weil, von denen ist kaum einer da. Das ist so. Wobei ich mittlerweile erlebe, dass die ersten meiner Freunde zurückkommen. Die sind mit der Ausbildung fertig. Die fangen ihren Beruf jetzt tatsächlich auch wieder bei uns in Torgelow, in Ueckermünde an und haben da berufliche Perspektiven. Aber es muss natürlich noch mehr werden. Und das spürt man natürlich im Alltag.
Wenn ich mir ein Stadtbild von Greifswald angucke, dann ist das unwahrscheinlich jung durch die große Universität, durch die vielen Studierenden. Wenn ich mir das Stadtbild von Torgelow angucke, dann ist das Stadtbild schön, aber junge Leute sieht man da eher wenig. Das ist so.
Deutschlandradio Kultur: Sind Sie denn optimistisch, dass sich an dieser Situation, sagen wir mal, in den nächsten zehn Jahren wirklich etwas ändert? Denn wenn wir jetzt nochmal auf Mecklenburg-Vorpommern insgesamt gucken, der Exodus ist dramatisch. Mecklenburg-Vorpommern hatte mal eine sehr hohe Geburtenrate, Anfang der 90-er die höchste im wiedervereinten Deutschland. Jetzt sind die Ältesten in Mecklenburg-Vorpommern und das Land schrumpft immer weiter. Wie lange kann man das noch durchhalten, dass das Land wirklich noch lebens- und liebenswert ist?
Patrick Dahlemann: Na, erstmal gibt's eine ganz gute Statistik. Die Statistik sagt, wir haben zum allerersten Mal mehr Zuwanderer als Abwanderer. Wir haben natürlich ein Problem, dass unsere Sterberate höher ist als unsere Geburtenrate. Dadurch haben wir nach wie vor einen Bevölkerungsverlust. Aber allein der Fakt, dass mehr Menschen sich bereiterklären und sagen, wir wollen in Mecklenburg-Vorpommern leben, das ist ein guter.
Und damit müssen wir werben. Wir müssen mit den Stärken, die wir haben, ohne Frage, und ich glaube, die Lage, die Natur und der Charme unseres Bundeslandes ist ja nicht umsonst der Grund, warum die meisten Menschen in Deutschland sagen, wenn sie in Deutschland Urlaub machen, sie wollen das gerne in Mecklenburg-Vorpommern tun.
Da müssen wir aber auch eben dafür werben, dass die politischen Rahmenbedingungen so passen, dass die Leute sagen, wir wollen da auch gerne leben. Und da, glaub ich, kann man an der Stelle auch nochmal einen Bogen ganz gut zum Rechtsextremismus schlagen, dass wir natürlich als Land auch alles daran tun, und deswegen machen wir es auch mit so viel Herzblut und mit so viel Kraft, dafür zu werben, nicht dieses braune Image zu haben und dieses verarmte Bundesland zu sein, sondern mit den Dingen zu werben, in denen wir wirklich gut sind.
Und an anderen Stellen sind wir Vorreiter. Wir waren das erste Bundesland mit einem Vergabegesetz, die gesagt haben, wir machen, vergeben unsere Aufträge nur an Unternehmen, die mindestens 8,50 zahlen. Das sind Gründe, warum natürlich auch Unternehmen gute Arbeitsbedingungen schaffen und junge Leute ins Land holen und junge Leute halten.
Deutschlandradio Kultur: Und wie war das bei Ihnen konkret? Sie haben ja gesagt, ich bleibe in Mecklenburg. Sie haben studiert in Greifswald, Politik und Öffentliches Recht. Warum sind Sie denn nicht wie Ihre Altersgenossen, wie die Eltern oder die Lehrer zu Ihnen gesagt haben, in den Westen gegangen?
Patrick Dahlemann: Weil ich mir immer gesagt habe, ich kann doch nicht massenhaft allen jungen Leuten sagen, sie sollen gehen. Wenn politische Rahmenbedingungen einfach nicht stimmen, dann nutzt es mir doch nix, wenn ich darüber jammere, sondern dann muss ich sie verändern und dann muss ich tatsächlich mich dafür engagieren.
Deswegen fiel die Wahl auf Greifswald. Ich wollte Politik machen. Ich wollte in meiner Heimatstadt Dinge anpacken und die Missstände, die da sind, verändern und hab mich für den kürzesten Weg entschieden. Greifswald ist die dichteste Uni vor meiner Haustür. Im Übrigen ist Greifswald eine wunderschöne Stadt. Ich habe mich da sehr wohl gefühlt – bis heute. Und ich will da natürlich auch ein Stück weit meinen jungen Leuten sagen: Leute, das kann jeder genauso machen wie ich das gemacht habe. Also, macht's auch.
Deutschlandradio Kultur: Herr Dahlemann, zum guten Schluss, noch in aller Kürze haben wir noch zwei Sätze, die Sie bitte für uns vervollständigen. Sie kennen das Spiel vielleicht aus dem Fernsehen.
Der erste Satz lautet: In zehn Jahren fahre ich nach Berlin nicht nur für ein Interview mit dem Deutschlandradio Kultur, sondern...
Patrick Dahlemann: .. besuche nach wie vor gerne die Museumsinsel, gehe gut Essen und genieße es, mal einen Tag Großstadt zu haben und zu wissen, abends wieder nach Hause fahren zu können, wo alles etwas ruhiger ist.
Deutschlandradio Kultur: Also haben Sie keine Ambitionen in die Bundespolitik?
Patrick Dahlemann: Nein, ich bin jetzt total gerne Landtagsabgeordneter, hab dafür lange gekämpft. Wir haben in zweieinhalb Jahren die Landtagswahl. Da werde ich alles dafür tun, meinen Wahlkreis direkt zu holen. Das ist beim letzten Mal knapp gescheitert. Und ich glaube, man sollte nicht so schnell und so eilig da die Sprossen nach oben klimmen, sondern sich auf die Dinge konzentrieren, die man gerade macht. Und das, was ich jetzt mache, macht mir sehr viel Spaß. Im Übrigen hat Mecklenburg-Vorpommern den schönsten Landtagssitz. Also, mein Büro wird sich wahrscheinlich nicht verbessern können.
Deutschlandradio Kultur: Und er zweite Satz beginnt wie folgt: In zwanzig Jahren sind meine Kinder in Mecklenburg-Vorpommern geblieben, weil...
Patrick Dahlemann: ... weil Papa an der Stelle ein Vorbild war und gezeigt hat, dass es geht, und die politischen Rahmenbedingungen so sind, dass ich gut sagen kann, sie können hier ein gutes Leben führen.
Deutschlandradio Kultur: ... sagt Patrick Dahlemann, mit 25 jüngster Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern für die SPD und Gustav-Heinemann-Bürgerpreisträger für sein Engagement gegen Rechtsextremismus. Vielen Dank für Ihren Besuch heute in Tacheles.
Patrick Dahlemann: Vielen Dank.
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