SPD-Parteitag

Lob für Abschied von den Worthülsen

Das Logo der SPD beim Bundesparteitag am 07.12.2017 in Berlin.
Die SPD sucht noch ihre Rolle im 21. Jahrhundert © dpa / Michael Kappeler
Ursula Münch im Gespräch mit Ute Welty  · 08.12.2017
Vor der Leblosigkeit der Worthülsen aus Politik, Medien und auch Wissenschaft hat die Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, Ursula Münch gewarnt. Die politische Kommunikation müsse wieder lebendiger werden. Auch die SPD solle sich mehr den Grundsatzdebatten widmen
"Es geht ja nicht nur um diese Frage 'beteiligt man sich jetzt eventuell an der nächsten Bundesregierung oder nicht', sondern es geht ja für die Sozialdemokraten so um Grundsatzthemen", sagte die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch, im Deutschlandfunk Kultur mit Blick auf den SPD-Parteitag. Es gehe um die Frage, wofür man die Sozialdemokratie heute noch brauche. Das beschäftige auch Sozialdemokraten in anderen Ländern. "Wie geht man mit dieser sozialdemokratischen Programmatik in Zeiten um, in denen wir in einer globalisierten Wirtschaft leben, in denen das Kapital mobil ist und man die Frage stellen muss, wie hält man eigentlich sich auch wettbewerbsfähig." Dafür benötige die Partei noch einige Grundsatzdebatten.

Neuer Kontrast durch Online-Debatten

Münch sagte, Politik, Medien und Wissenschaft verstreckten sich zu stark in Worthülsen, die nicht gut ankämen. "Jetzt hören wir diese Worthülsen durch die verschiedenen Nachrichtenkanäle so oft am Tag, und wir merken, wie leblos die sind", sagte sie. Die lebendigere Onlinekommunikation habe diesen Eindruck verstärkt, weil die Kommunikation in den sozialen Medien sehr unverblümt, teilweise extrem zuspitzend und verletzend daherkomme. Das wirke oft lebensnaher. Münch lobte, dass Schulz auf dem SPD-Parteitag eigene Fehler eingeräumt habe.

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Erst wird die Große Koalition ausgeschlossen, und dann ist so doch wieder möglich oder sogar notwendig. Die SPD sucht auf ihrem Parteitag nach Auswegen und hat mit knapp 82 Prozent ihren Vorsitzenden Martin Schulz bestätigt. Ob das der Sache dienlich ist, darüber denkt auch Ursula Münch nach, die Rektorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing. Einen guten Morgen wünsche ich Ihnen!
Ursula Münch: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Welches Zeichen hat die SPD denn mit diesem Wahlergebnis jetzt gesetzt?
Münch: Aus der Sicht von Martin Schulz sicherlich ein recht gutes Zeichen, ein beruhigendes Zeichen. Es ist eigentlich auch ein Zeichen, dass man jetzt auch wieder in einer relativen Normalität ist. Also 100 Prozent waren nicht normal und haben einen viel zu hohen Erwartungsdruck auch auf den Vorsitzenden damals im Frühjahr ausgelöst. Das ist jetzt eigentlich für ihn ja ein sehr beruhigendes Ergebnis und gleichzeitig natürlich schon auch wieder so ein Vertrauensvorschuss, den er natürlich einlösen muss. Also er steht weiterhin unter enormen Druck.
Welty: Direkt nach der Bundestagswahl hat die SPD sich ja für die Opposition entschieden – sehr kurz nach der Bundestagswahl, muss man schon sagen. Jetzt gibt es dann doch eben wieder die Möglichkeit oder die Verantwortung, sich an der Regierungsbildung zu beteiligen. Was bedeutet das an Herausforderungen für die Sozialdemokratie?
Münch: Die Herausforderung ist immens und zwar einfach deshalb, es geht ja jetzt nicht nur um diese Frage, beteiligt man sich jetzt eventuell an der nächsten Bundesregierung oder nicht, sondern es geht ja für die Sozialdemokraten um Grundsatzthemen, nämlich um die Frage, wofür braucht man eigentlich die Sozialdemokratie insgesamt noch. Das ist ja nicht nur ein bundesdeutsches Thema, das ist auch ein Thema der Sozialdemokraten in anderen Ländern. Die Frage also, wie geht man mit dieser sozialdemokratischen Programmatik in Zeiten um, in denen wir in einer globalisierten Wirtschaft leben, in denen das Kapital mobil ist und man die Frage stellen muss, wie hält man eigentlich sich auch wettbewerbsfähig, und das ist natürlich auch für sozialdemokratische Klientelen ein wichtiges Thema.
Dann eben auch die Frage, na ja, braucht man diese Programmpartei. Die SPD ist ja eine ganz stark programmatisch orientierte Partei mit tiefen Grundüberzeugungen – das unterscheidet sie zum Beispiel auch von der Union –, und das mit diesen Grundüberzeugungen ist natürlich dann für eine Parteiführung, die ja auch immer wieder flexibel sein muss, das ist unheimlich schwierig, das dann gegenüber den eigenen Mitgliedern dann auch immer wieder deutlich zu machen, dass die Überzeugung das eine sind, aber die Frage der Umsetzung und der Gestaltung dann zum Teil auch wieder eine andere Frage ist.
Schulz bei seiner Rede auf dem Parteitag: Daumen hoch - für die GroKo?
Schulz räumte auf dem SPD-Parteitag eigene Fehler ein und zeigte neue Perspektiven auf. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld

Grundsatzdebatten zulassen

Welty: CDU und CSU würden Ihnen jetzt heftig widersprechen, wenn Sie sagen, die haben keine tiefen Überzeugungen, aber wenn jetzt nicht ich Sie anrufe, sondern Martin Schulz und sagt, Ursula, was soll ich denn machen, was sagen Sie ihm?
Münch: Im Grunde ist es die Herausforderung, natürlich auch diese Grundsatzdebatten durchaus zuzulassen. Also die SPD im Grunde will ja diese Debatte darüber führen, wozu braucht man uns, was ist eigentlich das tiefe Sozialdemokratische zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wie gehen wir mit dieser alten Agenda 2010 um, die gar nicht so alt ist, die ja für die Partei eine ganz, ganz enorme Herausforderung war. Er hat der Partei versprochen, er hat den Mitgliedern versprochen, dass er diese Agenda 2010, die Zugeständnisse an den sogenannten Neoliberalismus, dass er die wieder zurückfährt, und gleichzeitig weiß man, das ist so unheimlich schwierig, das wieder zurückzufahren.
Also im Grunde die SPD hat sich, wie auch die anderen Parteien in den letzten Jahren, wie auch die anderen Volksparteien, immer wieder da rum herum gemogelt um diese Diskussion, woran hat es denn gelegen, dass wir nicht mehr so erfolgreich sind. Es liegt ja jetzt nicht nur an einer einzelnen Person, es liegt zum Teil auch insgesamt an der Herausforderung der Volksparteien, es liegt an der Frage, wie beweglich muss man sein gegenüber globalen Veränderungen. Aber, wie gesagt, für die Sozialdemokraten mit ihren tiefen Überzeugungssätzen ist diese Diskussion noch mal schwieriger zu führen. Nur man kann sich auch nicht ständig an ihr vorbeidrücken.
Welty: Muss sich auch die Kommunikation über diese Diskussion ändern? Muss man da anders drüber reden, damit sich das auch nach außen hin vermittelt?
Münch: Bestimmt. Also natürlich spielt es eine Rolle. Ludwig Stiegler hat gestern gesagt, früherer Vorsitzender der Bayern-SPD, hat gesagt, wir brauchen nicht mehr nur eine Verlautbarungspolitik, wir müssen auch mehr so eine Dialogpolitik führen, aber nicht nur gegenüber den eigenen Mitgliedern, sondern natürlich auch gegenüber der Öffentlichkeit, zum Beispiel zum Thema Europäische Union und Zukunft der Europäischen Union.
Das ist ein Thema, das nun gerade für junge Leute ein enorm wichtiges Thema ist, und ich meine, Martin Schulz hat dieses Thema ja gestern beim Parteitag eingeführt mit einem sehr, sehr ehrgeizigen Ziel, mit einem extrem umstrittenen Ziel, aber sowas darf man jetzt natürlich nicht nur einmal mal kurz beim Parteitag loslassen, sondern das ist ja eigentlich sein Thema, und es ist sicherlich ein Thema, wo sich auch innerhalb der Bundesrepublik die Geister extrem scheiden, aber da könnte man daran deutlich machen, wie wollen wir eigentlich, wie stellen wir uns vor, dass Deutschland in 50 Jahren sich positioniert innerhalb der Europäischen Union und auch eben mit Blick auf die anderen Staaten der Welt. Das sind die großen Themen, und damit könnte man sicherlich auch viele junge Leute wieder für politische Themen ganz neu interessieren.

Nicht in Worthülsen verstecken

Welty: Was sind bislang die Faktoren, die politische Kommunikation bestimmen, und was werden in Zukunft die Faktoren sein beziehungsweise welche Faktoren sollten eine Rolle spielen?
Münch: Wir haben in den letzten paar Jahren alle den Eindruck, dass sich die Politik, aber natürlich auch die Medien und sicherlich auch die Wissenschaft in Worthülsen verstecken und diese Worthülsen bei den Leuten überhaupt nicht mehr ankommen, aber wahrscheinlich noch nie angekommen sind, aber jetzt hören wir diese Worthülsen durch die verschiedenen Nachrichtenkanäle so oft am Tag, und wir merken, wie leblos die sind, und diese Leblosigkeit der Worthülsen aus Politik, Medien und auch Wissenschaft, der ganzen öffentlichen Kommunikation, diesen Worthülsen steht auf einmal etwas anderes gegenüber, etwas vermeintlich Lebendigeres, nämlich die Onlinekommunikation, die Kommunikation über die sogenannten sozialen Medien, die sehr unverblümt, zum Teil extrem zuspitzend und verletzend daherkommt, aber irgendwie ein bisschen lebensnaher wirkt.
Uns wird jetzt erst deutlich, wie leblos eigentlich uns Politik inzwischen begegnet, und es wird uns durch diese Konfrontation mit der Kommunikation über die sozialen Netzwerke noch viel augenfälliger. Jetzt meine ich damit nicht, dass sich offizielle politische Kommunikation und die öffentlich-rechtlichen Medien jetzt den Hasstiraden aus den sozialen Netzwerken anschließen sollten, ganz im Gegenteil. Aber das aufzubrechen und nicht mehr nur in diesen Worthülsen zu sprechen, die so austauschbar sind, also das sollte ganz, ganz dringend jeder einzelne, das kann man nicht an einem Parteitag verordnen, das muss jeder einzelne beginnen.
Welty: Was ist die Worthülse, wo Sie gesagt haben, da ist es besonders auffällig?
Münch: Das sind nur so Kleinigkeiten. Aber wenn man immer wieder erzählt, ja, wir haben verstanden, und da frage ich mich immer … Das haben wir nach dem Wahlergebnis September gehört. Da haben alle gesagt, wir haben verstanden, und ich frage mich, ja, was hat man denn verstanden. Vielleicht könnte man diesen Satz ausführen, vielleicht könnte man mal ganz allgemein erklären, was man denn eigentlich selbst wahrgenommen hat, was man falsch macht.
Und vielleicht auch mal gelegentlich das Wort in den Mund nehmen, wir haben, ich habe anscheinend einen Fehler gemacht. Das hat Martin Schulz angefangen gestern. Das fand ich bemerkenswert, aber das betrifft natürlich auch andere, sich darzustellen, was genau ist denn jetzt eigentlich schiefgelaufen, wo sind eventuell aber auch wiederum Erwartungen an Parteiführungen gerichtet, die man schlicht und ergreifend nicht einlösen kann. Also die Partei, die SPD, kann nicht mit 20,5 Prozent Stimmergebnis bundesweit 100 Prozent Koalition prägen. Das wird nicht gehen, und auch das muss man natürlich immer wieder klarmachen, aber in Worten und in einer Sprache, die nachvollziehbar ist und die den Eindruck erweckt, dass da Menschen an der Tat sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema