Spaziergang durch die Filmgeschichte

05.09.2013
In seinem Brevier "Irgendwo in Berlin" führt der Kritiker und Essayist Peter Nau durch die Filmgeschichte der ehemals geteilten Stadt. Mit knappen Nacherzählungen und einfühlsamen Szenenschilderungen möchte er seine Leser verführen, cineastische Schätze neu zu entdecken.
Filme über Berlin und seine Bewohner diesseits und jenseits der Mauer nimmt der Filmkritiker und Essayist Peter Nau wie ein lebendiges Archiv brüchiger Alltagsgeschichten wahr. Nicht die großen historischen Ereignisse interessieren ihn sondern Facetten einer Geschichte "von unten", die er vor allem in Spiel- und Dokumentarfilmen des ehemaligen DDR-Filmstudios DEFA erkundet hat.

Sein handliches Brevier "Irgendwo in Berlin" lässt die Urteile der Filmgeschichtsschreibung selbstbewusst außen vor. Konrad Wolfs Filme "Ich war neunzehn", "Der geteilte Himmel", "Solo Sunny" und andere, etwa von Gerhard Klein, Kurt Maetzig, Egon Günther, Helmut Käutner, Thomas Heise, Jürgen Böttcher und unbekannteren Dokumentarfilmern, sieht er nicht durch die Brille eines Historikers, der zeittypische Meisterwerke rekapituliert. Peter Nau, der einst für die Zeitschrift Filmkritik schrieb und filmhistorische Programme für die Deutsche Kinemathek kuratierte, setzt bei seinen Lesern und Leserinnen einer Miniaturen Grundkenntnisse über den Kanon bedeutender Berlin-Filme voraus.

Sein Taschenbuch wendet sich an Filmkundige, die er mit knappen Nacherzählungen und einfühlsamen Szenenschilderungen - beschrieben in einer Sprache der literarischen Verdichtung - zum Schauen verführen möchte.

Literarische Beschreibungen voll atmosphärischer Details
So sind ihm lyrische Momente und atmosphärische Details wichtig, etwa wenn er eine Szene aus Jürgen Böttchers Film "Jahrgang 45" notiert, in der die unentschiedenen Gefühle des jungen Protagonisten in einer Kreisbewegung der Kamera um einen Baum wie in einem Versteckspiel vor der Freundin erzählt werden. In einem Kapitel über den Schauspieler Erwin Geschonnek schildert er die zwiespältige Vorbildfunktion eines idealtypischen alten Werktätigen, den Geschonnek in Gerhard Kleins von der SED verbotenen Film "Berlin um die Ecke" verkörpert. Nau beschreibt, wie der Regisseur einen jungen Arbeiter inszeniert, der den Heldengeschichten des abgezehrten Alten distanziert lauscht - eine differenzierte, kaum propagandataugliche Inszenierung.

Die Miniaturen reklamieren subjektive Blicke auf die Geschichtsbilder der untergegangenen DDR. Sie verstehen sich als unvoreingenommene Begegnungen mit einem Kino, das ihm, dem zugereisten Westberliner, aus dem historischen Abstand heraus, fremdartige Welten ohne ideologischen Ballast öffnet. Berlin ist nicht immer auch der zentrale Schauplatz seiner Filmbeispiele, so wenn er über Alexander Kluges "Abschied von gestern" schreibt, die Geschichte einer DDR-Flüchtigen, die die Bundesrepublik der 60er-Jahre wie einen grotesken bösen Traum erlebt, oder wenn er Thomas Heises Methode in "Kinder. Wie die Zeit vergeht" feiert, mit der der Dokumentarist die fremdenfeindliche Mentalität einer Familie in Halle-Neustadt fast 20 Jahre nach der Wiedervereinigung protokolliert, ohne sich mit den prekären Verhältnissen gemein zu machen.

Eingestreute Tagebuchnotizen über seine eigenen Stadtausflüge machen deutlich, was Peter Naus Essays im Innersten zusammenhält: Er ist auf der Suche nach wahrhaftigen Wirklichkeitsmomenten, die sich präziser künstlerischer Arbeit verdanken. So sind seine Spaziergänge durch die Stadt und ihre Filme auch ein Stück beiläufige, literarisch verpackte Filmtheorie, die zu eigenen Assoziationen und Ergänzungen anregt.

Besprochen von Claudia Lenssen

Peter Nau: Irgendwo in Berlin - Ostwestlicher Filmdiwan
Verbrecher Verlag, Berlin 2013
96 Seiten, 12 Euro