Spargelheizung und Ökobilanzen

Von Udo Pollmer · 13.04.2013
Die Spargelsaison hat begonnen. Von Jahr zu Jahr müssen die Anbauflächen ausgeweitet werden. Mittlerweile benötigt Spargel fast viermal so viel Fläche als der Weißkohl, der als Eintopf- und Sauerkrautgrundlage bisher für die deutsche Küche als typisch galt. Das gibt Udo Pollmer sehr zu denken.
Es ist wieder Spargelzeit. Das Gemüse gilt nicht nur als gesund, weil kalorienarm - sondern es entlastet auch den Planeten. Es heißt, je mehr Gemüse auf den Teller käme und je weniger Fleisch wir äßen, desto mehr Menschen würden satt. Dummerweise braucht Spargel reichlich Fläche bei wenig Ertrag. Nicht umsonst ist er sündteuer. In den ersten zwei Anbaujahren erntet man noch nichts. Erst ab dem dritten Jahr kann ein paar Monate lang Spargel gestochen werden. Dazu kommt ein erklecklicher Energieverbrauch: Spargelbeete verfügen heute über eine spezielle Fußbodenheizung, die im Acker verlegt wurde, damit die Pflanze schneller treibt. Die frühen Triebe bringen das meiste Geld.

Stellen wir uns mal vor, der Landwirt würde auf diesem Acker stattdessen profane Futterkartoffeln anbauen. Da winkt schon im ersten Jahr satte Ernte. Statt fünf Tonnen kalorienarmen Spargel pro Hektar sind es bei der Futterkartoffel 60 Tonnen – diesmal aber randvoll mit Nährstoffen. Um den Nährwert von einem Hektar Futterkartoffeln zu erhalten, braucht man 250 Hektar Spargel – wenn‘s reicht. Würde man diese Futterkartoffeln so wie früher üblich an Schweine verfüttern - die Futterverwertung liegt heute bei drei zu eins -, dann erhielte man pro Hektar nicht nur ein Vielfaches an Energie, sondern außerdem ungleich mehr wertvolles Eiweiß. Bei dieser Form der Landnutzung über ein Schwein würden zig mal so viele Menschen satt.

Sollen wir jetzt etwa auf den neuen, frischen Spargel verzichten, nur um wieder mal unser gequältes Umweltgewissen zu entlasten? Bitte nicht! Denn beim Spargel lässt sich die Welt auf ganz einfache Weise retten: Man bringe auch die Freunde des Spargels auf den Tisch. Der Spargel liebt den Schinken und die zerlassene Butter. Und noch viel mehr die echte Sauce Hollandaise – die Soße mit richtig viel Dotter drin! In der Tat verbessert die Kombination mit Fleisch, Eiern und Butter die Ökobilanz des Spargels, weil ihre Erzeugung viel effektiver ist.

Saisonal und regional ist nicht immer resscourcenschonender
Das gilt nicht nur für Futterkartoffeln und Schinken, so bringt beispielsweise ein Hektar Gras in Form von Milch weitaus mehr Nahrung auf den Tisch als ein Hektar Erdbeeren. Ein Rind liefert etwa 15 mal mehr Milchkalorien und 20 mal mehr Eiweiß von der gleichen Fläche wie ein Erdbeerbeet – wohlgemerkt eines Beetes mit einer hochgezüchteten Massenertragssorte.

Natürlich kann man auch nahrhaftes Gemüse anbauen - statt Futterkartoffeln gedeihen auch Speisekartoffeln – doch bei der Speisekartoffel liegen die Erträge schon wesentlich niedriger. Selbst bei klassischen Massengemüsen wie Weißkohl fallen die Bilanzen unterschiedlich aus, je nachdem ob der Verbraucher den Kohl selbst zubereitet, oder ob er von der Industrie verarbeitet wird. Da der Single-Haushalt möglichst kleine Kohlköpfe will, werden sie früher abgeerntet. Die Industrie bevorzugt große reife Köpfe. Nimmt man die tatsächlich geerntete und genutzte Menge als Maßstab, dann ist die Selbstzubereitung pure Verschwendung. Wenn die Industrie Krautsalat schneidet, dann kommt pro Hektar die doppelte Menge auf den Tisch wie beim Schnibbeln in der Küche.

Solche Bilanzen sind voller Fallstricke. Bei Gemüse und Obst hat nicht nur die Sorte sondern auch die Anbauregion Einfluss auf das Ergebnis. In südlichen Ländern gibt’s aufgrund des warmen Klimas mehrere Ernten und dabei auch noch höhere Erträge als in Deutschland. Obst, das gerade nicht saisonal und regional erzeugt wurde, kann deshalb ressourcenschonender sein als heimische Ware.

Doch wie soll der Verbraucher beim Einkauf all die kleinen und großen Tücken der Ökobilanz berücksichtigen? Am besten, er macht sich keinen Kopf drum – einfach deshalb, weil sich die Produktivität der Landwirtschaft auf breiter Front stark verbessert hat. Dank der enormen Ertragssteigerungen ist über die Jahre viel Agrarfläche für Luxus und Vergnügen, für Spiel und Spaß freigeworden. Das ist der Grund, warum es so viele Spargelbeete und Naherholungsgebiete gibt, so viele Erdbeerplantagen und Naturflächen. Das sind doch endlich mal gute Nachrichten aus der Landwirtschaft. Mahlzeit!

Literatur:
Keckl G: Vegetarische Legenden. EU.L.E.N-Spiegel 2012; (4-6): 3-27
Souci SW et al: Die Zusammensetzung der Lebensmittel. WVG, Stuttgart 2008
Vogel G: Handbuch des speziellen Gemüsebaues. Ulmer, Stuttgart 1996