Spätes Coming-Out

Von Jörg Taszman · 09.06.2011
Drei Europäer und ein Kanadier in einem amerikanischen Independentfilm. Der Schotte Ewan Mc Gregor, die Französin Mélanie Laurent, der Serbe Goran Visnic und dazu der groß aufspielende Christopher Plummer. Dieses Quartett spielt in "Beginners", einem erfrischend leichten Film, der ebenso Trauerarbeit wie sinnliches Erinnern ist.
"”This is 2003, this is what the sun looks like and the stars. This is the president, and this is the sun in 1955 and the stars and the president …”"

Die Sonne, die Sterne, die amerikanischen Präsidenten. Mit dieser humorvollen Bild- und Ton Collage führt sich der Ich-Erzähler Oliver ein. Es sind seine subjektiven, verspielten Erinnerungsfetzen die 1955 beginnen und 2003 innehalten, immer pendelnd zwischen großer Geschichte und privaten Geschichten. Oliver, der allein im Haus des verstorbenen Vaters in Erinnerungen schwelgt, dabei Teile des Mobiliars in Mülltüten entsorgt, sieht immer wieder den Vater vor sich. Trug der eigentlich einen lila Pullover, als er sich so überraschend outete?

"”My parents got married in 1955. They hat a child and they stayed married for 44 years. When my mother died, six months later my father told me he was gay. I remember him wearing a purple sweater when he told me this but actually he wore a robe: I am gay.”"

Was geschieht, wenn man als erwachsener Sohn plötzlich von seinem 75-jährigen Vater erfährt: Ich bin schwul? Für den sensiblen Oliver ist es ein Schock, aber auch ein Neubeginn in der Vater-Sohn-Beziehung. Plötzlich leuchtet ihm ein, warum die Ehe seiner Eltern so freudlos wirkte. Der von Ewan Mc Gregor hinreißend gespielte Oliver, geht mit der neuen Situation gut um. Er ist ein sehr verständnisvoller auch liebevoller Sohn. Regisseur Mike Mills verarbeitet in diesem Film seine eigene Geschichte. Kurz nach dem Tod seines Vaters begann er mit dem Schreiben des Drehbuchs. Ist dieser Film für ihn eine Form der Schmerzbewältigung?

Mike Mills: "Zu trauern, wenn deine Eltern wirklich sterben, ist schmerzhaft. Aber ein Drehbuch darüber zu schreiben, tat nicht weh. Ich liebe es, zu schreiben, mit Schauspielern zu arbeiten und Filme zu drehen. So hatte ich sehr viel Freude und genoss es richtig, mich an meine Eltern zu erinnern.

Es machte auch Spaß mit ihnen in meinen Gedanken zu spielen, bei ihnen zu sein, oder wenn Christopher Plummer sich Teile meines Vaters aneignete und dann etwas ganz anderes daraus machte. Ich glaube, meinem Vater hätte das sehr gefallen, auch vor einer großen Anzahl von Menschen sein Coming Out zu deklarieren. So hatte ich wirklich eine gute Zeit und die Dreharbeiten waren angenehm und erholsam. Da war keine Schwere."

Im Film wird der Vater von dem im Alter immer besser aufspielenden Christopher Plummer verkörpert, der schon als Tolstoi in "Der letzte Sommer" eine so unglaubliche Leinwandpräsenz bewies. "Beginners" ist auch wegen seiner Darsteller ein schöner, betörender Film, der drei charismatische, faszinierende Protagonisten feiert.

Denn nur wenige Monate nach dem Tod des Vaters als in Oliver die Erinnerungen ausbrechen, lernt der junge Mann die Schauspielerin Anna kennen - eine Französin, die vor einem dominanten Vater flieht. Schnell miteinander vertraut aber ihren Gefühlen lange nicht trauend, fühlen sich Anna und Oliver in ihrer sanften Melancholie zueinander hingezogen. Da sie sich beide ähneln, machen sie es einander nicht leicht. Mélanie Laurent ist Anna und ihre rauchige Stimme mit dem prononcierten, französischen Akzent, muss man einfach im Original hören. Zweifeln oder an einen Zauber glauben, das ist für Anna die Frage.

Mike Mills hat einen wunderbaren, doppelten Liebesfilm gedreht, der den Tod nicht ausklammert und das Leben feiert. Dabei hat der Regisseur für seine lebensnahen Geschichten eine adäquate Erzählform gefunden, denn "Beginners" ist voller Zeitsprünge, Rückblenden, Einschübe, Off Kommentare.

Eine ganz wichtige Rolle spielt ein Hund, der Gedanken lesen kann, aber nicht spricht. Er wird einfach untertitelt. Dieses nicht-lineare, filmische Erzählen ist ein großes Plus von "Beginners" und für den Filmemacher auch eine Hommage an Godard, Fellini, das europäische Kino. Die Form reflektiert darüber hinaus den Seelenzustand von Mike Mills.

Mike Mills: "Es ergab auch emotional einen Sinn. Ich begann mit dem Schreiben sechs Monate nachdem mein Vater von uns ging. Trauer, die nicht gelösten emotionalen Dinge, unbeendete Gespräche und Bilder fluteten immer wieder zurück.

Es fiel schwer in der Gegenwart zu bleiben. So wurde es ein Porträt meines Zustandes. Und ich mag auch diese Art, Geschichten zu erzählen, immer wenn man etwas aufbrechen kann, also den Naturalismus bricht. Ich fühle mich dann freier, ehrlicher und es macht mehr Spaß."

"Beginners" ist die schönste Überraschung mitten im lärmenden, dröhnenden Kinosommer, und der Film gibt einem die Hoffnung an das unabhängige, amerikanische Kino zurück. Und Mike Mills, der sympathische, intellektuelle Regisseur strahlt im Gespräch eine Ruhe und innere Freude über sein Werk aus, die man ihm gönnt. "Beginners" ist einfach ein gelungener Film: in jeder Hinsicht!

USA 2010, Regie: Mike Mills; Hauptdarsteller: Ewan McGregor, Christopher Plummer, Mélanie Laurent, 104 Minuten

Homepage zum Film "Beginners"