Später Ruhm für frühe Kunst

Von Ingo Kottkamp · 13.06.2005
Eines der wichtigsten Pionierwerke des Hörspiels war die Toncollage "Weekend" von dem vor allem als Filmemacher bekannten Walter Ruttmann. 1930 wurde das Stück zum ersten Mal im Radio gesendet - doch der Ruhm sollte erst viel später eintreten, als Zufallsfund das Band wieder ans Tageslicht brachte: Es wude als Schlüsselwerk der Hörspielavantgarde gefeiert, und der Bayerische Rundfunk brachte eine CD mit Remixen des alten Stückes heraus.
Die Werkshalle tost, die Schreibmaschine klappert, die Registrierkasse klingelt: eine Stadt wartet auf das Wochenende. In welcher Atmosphäre das vonstatten geht, welchem Rhythmus die Stadt folgt und welche Klänge dabei zu hören sind – das ist zu jeder Zeit und an jedem Ort ein bisschen anders. Walter Ruttmann hat versucht, das Treiben im Berlin von 1930 im Ton festzuhalten – in seinem Radiostück Weekend, der Toncollage eines Filmemachers.

Ein aufgebrachter Mann nennt dem Fräulein vom Amt die Nummer der gewünschten Telefonverbindung. Mit der gleichen Zahl beginnt ein Schüler eine Rechenaufgabe, ein Kaufhausangestellter nennt sie als Nummer seines Stockwerks, und zur Bestätigung der Kaufhaussituation ertönt wieder die Registrierkasse. In einer Serie montierter Töne ergibt ein Glied das nächste: jeder Klang ist dem vorangegangenen entweder ähnlich oder entgegengesetzt. Ohne Erzähler und ohne Hauptfigur entsteht ein Hörspiel, das einer filmischen Logik folgt. Walter Ruttmann hatte sie schon lange Jahre vor Weekend propagiert und erprobt.

Endlich Wochenende – der maschinenartige Rhythmus weicht einem lockeren Divertimento. Walter Ruttmann, der als Maler begann, aber auch Cello spielte, hatte lange nach einer Bildkunst gesucht, in der die Dynamik und Geschwindigkeit seiner Zeit zu sehen war. Er fand sie im jungen Medium Film und begann mit Studien, die nur bewegte geometrische Formen und Hell-Dunkel-Kontraste zeigten.

Später ließ er in "Berlin – die Sinfonie der Großstadt" Passanten, Autos und Straßen an die Stelle der Kreise, Quadrate und Dreiecke treten. Das Prinzip blieb aber gleich – keine Aufnahme durfte die bloße Illustration einer übergeordneten Handlung sein, jede musste ihren Platz innerhalb der bildnerischen Komposition haben. Weekend, Ruttmanns einziger Ausflug ins Hörspiel, übertrug dieses Verfahren einfach vom Bild auf den Ton.

Das Ziel dieser Montagetechnik war aber alles andere als abstrakt. Ruttmann wollte den Alltag porträtieren, und zwar nicht den Alltag von Einzelnen, sondern den der Gesamtheit oder, wie man damals oft und gerne sagte, des Volkes. Das machte ihn, den Avantgardisten, nach 1933 für die an neuen Medien stets interessierten Nationalsozialisten interessant.

Sie suchten nach Bildern, die die Deutschen zur Volksgemeinschaft stilisierten. Seinen Berlinfilm und Weekend lehnten sie ab, aber für Industrie- und Werbefilme wie Henkel – ein deutsches Werk in seiner Arbeit oder Deutsche Waffenschmieden konnten die neuen Machthaber Ruttmanns visuelles Gespür gut gebrauchen. Sein Rang als Innovator des Films ist deswegen nicht zu bestreiten. Die Propagandafilme sind aber ein Beispiel dafür, dass Faschismus und künstlerische Avantgarde keine Gegensätze waren, die man immer sauber trennen konnte.

Die sonntäglichen Kirchenglocken sind in diesem Hörspiel der raschen Schnitte wie eine Insel der Ruhe. Auch Ruttmanns Stück versank nach seiner Erstsendung in einen Dornröschenschlaf – über vierzig Jahre lang galt es als verschollen. Als Weekend in den späten siebziger Jahren wieder auftauchte, wurde klar, dass Ruttmann vielen Erneuerern des Hörspiels und der Soundkunst um Jahrzehnte voraus gewesen war.

Er entpuppte sich als der erste in einer langen Reihe von Pionieren, die von der Musique Concrète über das Neue Hörspiel der End-Sechziger Jahre bis zur Sample- und Remixszene der Gegenwart reicht und damit längst noch nicht am Ende ist. Das Ende von Weekend ist übrigens so unsentimental wie ein Montagmorgen. Der Wecker reißt aus süßen Träumen, und das Getöse des Alltags kann wieder von vorne beginnen.