Soziologe zu Belästigungsvorwürfen gegen Trump

Sexuelle Übergriffe als Ausdruck von Männlichkeit

Der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump während eines TV-Duells.
Der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump während eines TV-Duells. © AFP / POOL / RICK WILKING
Rolf Pohl im Gespräch mit Ute Welty · 15.10.2016
In bestimmten Milieus glaube man offenbar immer noch, dass Anmache und sexuelle Übergriffe ein Ausdruck von Männlichkeit seien, meint der Soziologe Rolf Pohl. Die Reaktionen der Republikaner auf die Vorwürfe gegen den US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump findet er "heuchlerisch".
Gleichstellungspolitik hin oder her - es gibt nach wie vor einen "Bodensatz" von Sexismus in der Gesellschaft, meint Rolf Pohl, Professor für Soziologie an der Universität Hannover.
"In bestimmten Milieus gehört das offensichtlich zu der Art, wie Männlichkeit zur Darstellung gebracht wird oder sich zum Ausdruck bringt und sich das Recht herausnimmt und glaubt, sexuelle Anmache bis Übergriffigkeit und so weiter gehört offensichtlich dazu", sagte der Männlichkeitsforscher im Deutschlandradio Kultur.

Sexualität bei Republikanern "offensichtlich tabuisiert"

Man könne natürlich nicht pauschal von "den" Männern reden, räumte Pohl ein. "Aber es ist eine Struktur, die da ist, und die lastet als Druck auch auf den einzelnen Männern oder dem einzelnen Mann in bestimmten Situationen, in bestimmten Milieus, in bestimmten Domänen. Es gibt ja so reine Männlichkeitsdomänen – die Finanzwelt zum Beispiel ist zu über 90 Prozent männlich."
Dass sich Republikaner von Trump mit dem Argument distanzierten, dieser habe jetzt eine rote Linie überschritten, nachdem immer mehr Frauen Trump sexuelle Belästigung vorwarfen, nannte Pohl "heuchlerisch". Bei den Republikanern werde Sexualität "offensichtlich tabuisiert", betonte Pohl. Gleichzeitig verträten die Republikaner ein sehr konservatives Frauen- und Familienprogramm und hätten es am liebsten, wenn Frauen wieder zu Hause blieben.

Das Interview im Wortlaut
Ute Welty: Nichts ist so schlecht, dass es nicht auch für irgendwas gut ist. Dieser Grundsatz gilt sogar für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Dessen verbale Entgleisungen haben dazu geführt, dass Millionen von Frauen per Twitter Fälle von sexueller Belästigung, von Übergriffen, von Vergewaltigung öffentlich gemacht haben. Innerhalb von wenigen Stunden sind da etwa 30 Millionen Tweets aufgelaufen, 30 Millionen Szenen und Erinnerungen, und selbst wenn man Übertreibungen, Falschdarstellungen, gar Erfindungen herausfiltert, bleibt eine gewaltige Zahl, und es bleibt die Frage, warum machen Männer das?
Sprechen möchte ich darüber mit einem Mann, mit Rolf Pohl, Sozialpsychologe mit dem Schwerpunkt Männlichkeitsforschung, der sich schon oft mit Sexismus und Diskriminierung von Frauen beschäftigt hat. Von ihm stammt unter anderem das Buch "Feindbild Frau: Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen". Guten Morgen, Herr Pohl!
Rolf Pohl: Guten Morgen!

Sexismus trotz Gleichstellungspolitik

Welty: Schaut man sich die große Zahl der Tweets an, die ich eben beschrieben habe und der Erfahrungen, die dahinter stehen, dann kann man den Eindruck bekommen, es hat sich nichts geändert – Sexismus ist auch im 21. Jahrhundert salonfähig. Teilen Sie diesen Eindruck?
Pohl: Es sieht so aus, das würde ich so teilen. Also, wir haben ja bei uns in den westlichen Ländern, auch in Deutschland, eine Modernisierung gehabt, was die Geschlechterverhältnisse angeht, viele gleichstellungspolitische Fortschritte, und trotzdem gibt es offensichtlich immer noch diesen Bodensatz.
Aufkleber mit Venus- und Marssymbol als Zeichen für Frauen und Männer
Hilft Gleichstellung gegen Sexismus? Auf dem Landesparteitag der Grünen in Halle (Saale) im Juni 2012 werden Redebeiträge von Männer und Frauen in Sammelkörben gezählt. © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Also, ich rede jetzt nicht nur von diesen Eckdaten, die es ja immer gibt, die immer wieder herangeführt werden – ungleicher Lohn für gleiche Arbeit, die Anzahl der Frauen in Führungspositionen oder die immer noch den Frauen mehr oder weniger überlassene Frage der Regelung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sondern es geht wirklich jetzt um den Kern sozusagen des Geschlechterverhältnisses, und da ist Sexismus ein Ausdruck davon, und was die Anzahl angeht, da hat sich offensichtlich nicht viel geändert.

Männerdomäne Finanzwelt

Welty: Können oder wollen Männer nicht anders?
Pohl: Also man kann natürlich überhaupt nicht pauschal von den Männern reden. Der Großteil der Männer oder die Mehrzahl oder viele, es sind nicht alle, Gott sei Dank, aber es ist eine Struktur, die da ist und lastet sozusagen als Druck auch auf den einzelnen Männern oder einzelnem Mann in bestimmten Situationen, in bestimmten Milieus, in bestimmten Domänen. Es gibt ja so reine Männlichkeitsdomänen – die Finanzwirtschaft ist zum Beispiel über 90 Prozent männlich –, das sind ja so reine Domänen der Aura des Männlichen sozusagen.
Welty: IT und Vertrieb gehören sicherlich auch dazu.
Pohl: Ja, es gibt auch andere Berichte, auch von Redaktionen übrigens auch. Es hat mal eine Chefin vom Dienst beim "Spiegel Online" mal beschrieben als ein sexuelles Jagdrevier, bestimmte Szenen, auch in Redaktionen – manchmal jedenfalls. Also, es gibt so, insbesondere, wenn Männer auf einem Haufen oder im Rudel zusammen sind, dann tritt das noch mal gehäuft auf, und in bestimmten Milieus gehört das offensichtlich zu der Art, wie Männlichkeit zur Darstellung gebracht wird oder sich zum Ausdruck bringt und sich das Recht herausnimmt und glaubt, sexuelle Anmache bis Übergriffigkeiten gehört offensichtlich dazu.

Republikaner haben sehr konservatives Frauenbild

Welty: Inwieweit gibt es Unterschiede zwischen Deutschland, Europa, den USA, vor allen Dingen die USA sind ja in Teilen sehr puritanisch, um nicht zu sagen prüde – ist das dann so eine Wechselwirkung?
Pohl: Also da kommt es ja darauf an, wie man Sexismus sozusagen definiert. Dass in den USA jetzt so viele Millionen Einträge gegeben hat nach diesem Aufruf, etwas ähnliches im kleineren Format gab es ja vor drei Jahren bei uns in der letzten großen Sexismuskampagne, in diesem Hashtag "Aufschrei" von der Frau Wizorek, da sind bis heute ungefähr 100.000, und da ist das Gleiche zu beobachten, was Sie geschildert haben. Wenn man sich das anguckt, bis auf einige Übertreibungen, dann ist das wirklich deprimierend, und da zeigt sich aber, Sexismus ist nicht nur das Sprüche machen, Anzüglichkeiten, es sind auch Angrapschen, es gehören Übergriffe dazu, bis hin zu wirklich manifesteren Formen der sexuellen Gewalt. Deswegen ist das graduell. Das ist schon wirklich sehr, sehr verbreitet, und da gibt es große Ähnlichkeiten.

Heuchlerische Reaktionen

Natürlich gibt es länderspezifische Besonderheiten in den USA, was der Prüderie… wenn man die Reaktionen der Republikaner anguckt auf Trump, da zeigt sich ja irgendwie auf einmal, als würde jetzt endlich, jetzt hat er eine Trennlinie, eine Grenzlinie überschritten, und das ist natürlich heuchlerisch. Also heuchlerisch auch in einer Partei, wo Sexualität so offensichtlich tabuisiert wird, das Ansprechen und das offene Ausleben, gleichzeitig eine Partei, die viele auch frauenverachtende Positionen vertritt, die ganz rigide Abtreibungsgesetze vertritt und Regelungen, die Frau wieder zu Hause und so weiter gerne haben will, also ein ganz konservatives Familien- und Frauenprogramm vor allen Dingen hat, und vor dem Hintergrund wirkt das ein bisschen heuchlerisch, wie oft immer die Aufregung. Bei uns auch, wenn solche Fälle ruchbar werden, wie vor drei Jahren der Fall Brüderle, dann zeigt sich auch diese Heuchelei in den Reaktionen.
Bei einer Demonstration werben Frauen für das Prinzip "Nein heißt Nein" im Sexualstrafrecht.
Bei einer Demonstration werben Frauen für das Prinzip "Nein heißt Nein" im Sexualstrafrecht.© dpa/ Wolfgang Kumm
Welty: Aber den umgekehrten Fall gibt es ja auch, eben dass Frauen ihrerseits Männer unter Druck setzen mit dem Vorwurf von Belästigung und Vergewaltigung, die sich dann im Nachgang als haltlos erweisen. Führt das dazu, dass sich Männer mehr disziplinieren oder ist vielleicht das Gegenteil der Fall, weil der Vorwurf eben gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben muss?
Pohl: Das ist ganz schwer zu sagen. Wir sind ja jetzt alle gespannt, was passiert. Wie sind die Auswirkungen nach der Veränderung des Sexualstrafrechts mit dem Grundsatz 'Nein gleich Nein'. Da wurde ja prognostiziert von einigen Seiten, dass das zu einer Zunahme der Falschbeschuldigungen führt, und jetzt haben die Frauen da freie Bahn, die Männer zu erledigen sozusagen. Statistisch gesehen ist das ein sehr geringer Prozentsatz, das wird aufgebauscht. Also, die Anzahl von Falschbeschuldigungen, wie sich zumindest das hinterher faktisch rausgestellt hat, sind relativ gering, liegen unter zehn Prozent, unter fünf Prozent, gehen seriöse Schätzungen oder Zählungen von aus. Von daher glaube ich nicht, dass die Befürchtung da ist. Die Diskrepanz zwischen den Übergriffen, dem Sexismus von Seiten des Mannes gegenüber den Fällen, die es von weiblicher Seite gibt, ist so krass, dass man das als ein Problem im Machtgefälle zwischen den Geschlechtern, zwischen männlich und weiblich ansehen muss.
Welty: Rolf Pohl, Sozialpsychologe mit dem Schwerpunkt Männlichkeitsforschung, ich danke sehr für dieses Gespräch!
Pohl: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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