Soziologe Hartmut Rosa

"Sich genügend Zeit lassen"

Stoppuhr
Das richtige Zeitmanagement ist der Schlüssel zur Lebensqualität, sagt Hartmut Rosa. © Bild: picture alliance / dpa / Hans Wiedl
Hartmut Rosa im Gespräch mit Ute Welty · 02.01.2016
Was lässt sich tun gegen eine zunehmende Beschleunigung und Entfremdung im eigenen Dasein? Der Soziologe Hartmut Rosa plädiert für ein besseres Nachdenken über die richtige Geschwindigkeit - um so ein gutes Leben zu erreichen.
Der Soziologe und Zeittheoretiker Hartmut Rosa plädiert dafür, die beschleunigte Weltbeziehung als Maßstab für Lebensqualität zu überdenken:
"Ich will sagen, dass beschleunigte Prozesse dort problematisch werden, wo sie unser Weltverhältnis so verändern, dass es zu Entfremdung führt", sagte Rosa im Deutschlandradio Kultur. Gleichzeitig betonte er, dass Langsamkeit an sich kein Selbstzweck sei. Seinen Schlüsselbegriff der "Resonanz" habe er vor allem eingeführt, da seine Beschleunigungskritik fälschlicherweise als Plädoyer für ein Verlangsamen per se gelesen werde.
Resonanz als Gegenbegriff zu Entfremdung
Auf den Begriff der Resonanz sei er durch seine Suche nach einem Gegenbegriff zu Entfremdung gestoßen: "Resonanz, das heißt, ein Verhältnis zu Menschen oder zu Dingen, zu Natur, zur Kunst vielleicht oder sogar zu unserem Körper oder unseren eigenen Gefühlen, so etwas wie eine Antwortbeziehung, wo wir das Gefühl haben, wir sind wirklich verbunden mit der anderen Seite, die geht uns etwas an, die können wir auch erreichen", so der Professor für Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
"Was führt zu einem erfüllten und guten Leben?"
Eine resonante Weltbeziehung sperre sich gegen Optimierung und sei nicht instrumentell herstellbar, erklärte Rosa weiter. Eine der Voraussetzungen, die eine Empathiebereitschaft fördere, sei aber "genügend Zeit zu haben und sich Zeit zu lassen." Er plädierte dafür, die eigene Grundhaltung zu verändern und mittels des Begriffs der Resonanz einen neuen Maßstab für Lebensqualität zu finden: "Wir sollten nicht fragen, wie können wir uns an die hohe Geschwindigkeit anpassen, sondern wir sollten fragen, welche Geschwindigkeit ist eigentlich gut für uns Menschen. Was führt zu einem erfüllten und guten Leben?"
Die Angst, dass ein zu hohes Tempo zu Überforderung führe, sei historisch fast zeitgleich mit dem Hunger nach Zeitersparnis bereits im 18. Jahrhundert entstanden: "Spätestens zum Beispiel mit der Einführung der Eisenbahn", erklärte der Autor des im März im Suhrkamp Verlag erscheinenden Buches: "Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung."
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Mit diesem Wochenende geht sie zu Ende, die vielbeschworene Zeit zwischen den Jahren. Die hat nach wie vor das Image von Innehalten und Zur-Ruhe-Kommen, aber in Wirklichkeit ist man dann doch zu nichts gekommen zwischen Weihnachtsgeschenken und Silvesterböllern. Und was für die Zeit zwischen den Jahren gilt, scheint auch für die Zeit zwischen den Zeiten, zwischen den Jahren, zu gelten: Sie rast einfach dahin. Neue Pläne und Vorsätze werden nicht nur nicht umgesetzt, sie werden manchmal gar nicht erst gefasst. Was also tun gegen diese Beschleunigung im eigenen Leben? Damit beschäftigt sich der Soziologe Hartmut Rosa seit Jahren intensiv, auch in seinem neuen Buch, das im März erscheinen wird: "Resonanz einer Soziologie der Weltbeziehung". Guten Morgen, Herr Rosa!
Hartmut Rosa: Guten Morgen!
Welty: Hatten Sie denn Zeit zwischen den Jahren oder steht alles im Zeichen der Vorbereitung auf den Erscheinungstermin?
Rosa: Nein, ich habe mir diese Zeit wirklich genommen, das ist bei mir ein bisschen Tradition, zwischen Weihnachten und Neujahr mal wirklich was anderes zu machen. Das heißt nicht unbedingt, nichts zu tun, das kann gelegentlich auch stressig werden, aber einfach mich hier dem Nahbereich im Schwarzwald zu widmen.
Welty: Die Diskussion um Be- und Entschleunigung ist ja nicht neu, auch vor allem für Sie nicht neu. Warum führen Sie jetzt den Begriff der Resonanz ein, und warum könnte darin so etwas wie ein Schlüssel liegen?
Resonanz als Gegenbegriff zum Entfremdung
Rosa: Die Ursache, warum ich da ein bisschen auch die Begriffe auch gewechselt habe, liegt einfach darin, dass mir vielfach die Rolle eines Entschleunigungspapstes oder eines Entschleunigungsgurus zugeschrieben wurde, weil man meine Beschleunigungskritik gelesen hat, dass ich für Verlangsamung per se plädiere. Und ich habe immer gedacht, das will ich eigentlich gar nicht, weil Langsamkeit erstens kein Selbstzweck ist – ein langsamer Notarzt oder eine langsame Internetverbindung sind einfach entweder gefährlich oder nervig. Und es würde aber auch nicht gehen: Wir können nicht einfach langsam machen und alles andere so lassen, wie es ist. Also wollte ich weg von der Idee, dass Beschleunigung böse und Entschleunigung gut ist, sondern ich wollte sagen oder ich will sagen, dass Beschleunigungsprozesse dort problematisch werden, wo sie unser Weltverhältnis so verändern, dass es zu Entfremdung führt, dass wir uns Welt nicht mehr aneignen, nicht mehr anverwandeln können. Und dann habe ich nach dem Gegenbegriff für Entfremdung gesucht, und so bin ich auf den Resonanzbegriff gekommen.
Welty: Wie kommen wir denn dazu, wieder mehr Resonanz aufzubauen und auch mehr Resonanz zu erhalten?
Rosa: Resonanz, das heißt, ein Verhältnis zu Menschen oder zu Dingen, zur Natur, zur Kunst vielleicht oder sogar zu unserem eigenen Körper und unseren eigenen Gefühlen, ist so was wie eine Antwortbeziehung, wo wir das Gefühl haben, wir sind wirklich verbunden mit der anderen Seite. Die geht uns was an, und wir können die auch erreichen. Und eine Besonderheit von Resonanzbeziehungen ist, dass sie immer ein Moment der Unverfügbarkeit haben, das heißt, man kann die nicht einfach instrumentell herstellen, also sagen, ich mache jetzt die und die drei Kniffe oder nehme die und die Pillen, und dann wird mein Leben resonant, sondern da ist immer auch etwas, was sich entzieht und was sich vor allen Dingen gegen Optimierung sperrt. Deshalb ist eine Voraussetzung dafür, dass wir wirklich in Resonanz zur Welt treten können, eben genügend Zeit zu haben. Uns selber Zeit zu lassen und auch der Weltseite Zeit zu lassen, eine Beziehung wirklich aufzubauen und dann auch auf eine gewisse Stabilität zu gründen.
Welty: Heißt das im Umkehrschluss, ich kann gar nichts wirklich machen, sondern ich muss im Prinzip abwarten?
Die Bereitschaft in uns fördern oder Bedingungen schaffen, die Resonanz ermöglichen
Rosa: Jain. Ich glaube, es ist wirklich so, dass ich nicht einfach beschließen kann, ich trete jetzt mit einem Buch in Resonanz oder mit einem Freund in Resonanz oder mit jemand anderem. Aber wir können so etwas wie unsere Grundhaltung beeinflussen. Ich nenne das "dispositionale Resonanz", das heißt, wir können die Bereitschaft in uns fördern oder Bedingungen schaffen, die es uns möglich machen, in Resonanz zu treten. Und wenn wir Angst haben, ist es schwierig, ein Resonanzverhältnis aufzubauen, und auch, wenn wir in extremem Zeitdruck sind, Wettbewerb zum Beispiel oder Stress sind Faktoren, von denen man richtig zeigen kann, dass sie auch die Empathie-Bereitschaft oder die Empathie-Fähigkeit senken. Das heißt, wir können schon versuchen, Bedingungen zu schaffen und auch eine Haltung zu entwickeln, die den Aufbau von Resonanzbeziehungen möglich macht oder die Voraussetzungen dafür schafft.
Welty: Wenn wir noch mal auf die Grundhaltungen gucken – wann hat das überhaupt angefangen, dass wir Entschleunigung für wertvoller gehalten haben als Beschleunigung. Denn Sie haben eben vom WLAN und vom Notarzt gesprochen, aber auch, dass der Abwasch heute schneller geht als vor hundert Jahren, das hat ja grundsätzlich was Positives.
Der Hunger nach Zeiteinsparung entsteht im 18. Jahrhundert im Wesentlichen
Rosa: Man kann eigentlich sehr genau sehen, dass der Hunger nach Zeiteinsparung im 18. Jahrhundert entsteht im Wesentlichen. Sogar vor den ganzen technischen Revolutionen haben Leute versucht, sich schneller fortzubewegen, Arbeitsprozesse zu beschleunigen, und die industrielle Revolution, auch die Dampfmaschine, die sich dann entwickelt haben, die waren schon Antworten auf den Zeithunger.
Welty: Und gleichzeitig gab es auch immer eine starke Kritik daran.
Rosa: Ganz genau. Die ist praktisch genauso alt. Die Angst davor, dass uns da die Dinge weglaufen, dass uns das Tempo überfordert, dass wir gar unter die Räder geraten können, das ist durchaus nichts, was wir erst im 21. Jahrhundert erleben, sondern das beginnt spätestens zum Beispiel mit der Einführung der Eisenbahn.
Welty: Warum fällt das Menschen so schwer, sich auf das Tempo ihrer Zeit einzulassen und auch richtig damit umzugehen?
"Wir sollten auch fragen, welche Geschwindigkeit ist eigentlich gut für uns Menschen?"
Rosa: Ich glaube, das ist vielleicht nicht ganz überraschend, weil die Art des In-der-Zeit-Seins sozusagen, die beschreibt auch unsere Art des In-der-Welt-Seins, des Uns-zur-Welt-Verhaltens, und zu beschleunigen, sich auch an höhere Geschwindigkeiten anzupassen, bedeutet wirklich, nicht nur unsere Grundhaltung, unsere Disposition zu ändern, sondern auch unsere Praktiken und Eigenschaften. Und deshalb finde ich eigentlich, dass es vielleicht schon die falsche Frage ist. Wir sollten nicht fragen, wie können wir uns an immer höhere Geschwindigkeiten anpassen, sondern wir sollten auch fragen, welche Geschwindigkeit ist eigentlich gut für uns Menschen? Was führt zu einem erfüllten oder einem guten Leben?
Welty: Wenn das die falsche Frage war, dann stelle ich auch keine weitere mehr. Der Soziologe Hartmut Rosa über Be- und Entschleunigung, und warum mehr Resonanz helfen kann, mit beidem besser fertig zu werden. Ich danke für dieses Gespräch, das wir aufgezeichnet haben.
Rosa: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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