Soziologe: Der Mensch ist "ein geldtheoretischer Depp"

Aldo Haesler im Gespräch mit Christopher Ricke · 09.09.2011
Da der Umgang mit Geld fast nur noch indirekt passiere, falle es auch schwer, es zu verdammen, meint der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Aldo Haesler. Er fordert eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Phänomen Geld.
Christopher Ricke: "Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles, ach, wir Armen" – sagt das Gretchen in Goethes "Faust", und tauschen wir das "o" von Gold gegen ein "e", sind wir in der Gegenwart, aus Gold wird Geld, und um das Geld geht es bei der Euro-Rettung, bei der Steuerdiskussion, bei der Angst, das Wachstum könnte ins Stocken geraten. Es gibt das Geld, dem ein Wert entgegensteht, zum Beispiel ein Brot oder ein Auto, und es gibt immer mehr Geld, das einfach ist. Man spricht da von Fiatgeld, Fiat – Lateinisch: es werde, Geld, das einfach geworden ist. Über Geld als Macht sprach ich mit dem Schweizer Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen Aldo Haesler, er hat das Buch "Das letzte Tabu: Ruchlose Gedanken aus der Intimsphäre des Geldes" geschrieben. Herr Haesler, ist denn Geld inzwischen ein Wert an sich?

Aldo Haesler: Ja, das ist es, vermute ich schon seit den Griechen, seit der Geburt der Krematistik, die Aristoteles so verdammte als der Inbegriff der Zersetzung der Polis. Also Geld – von dem Moment an, also ungefähr 700 vor Christus – entsprang aus dem Geist des Menschen, wurde eigentlich ja Geld an sich, ein Wert an sich.

Ricke: Aber eigentlich ist Geld doch ein Hilfsmittel. Geld alleine nützt doch nichts, da kriegt man keine Freundschaft, da findet man kein Glück, schon gar keine Zufriedenheit.

Haesler: Als Öl im Getriebe, wie David Hume sagte, ist natürlich das Geld ganz nützlich. Aber gleichzeitig entsteht natürlich auch dieses Geld als Wert an sich. Es ist niemals nur Mittel, oder um es mit Simmel zu sagen: Es wird dermaßen zum allgemeinen Mittel, zum Mittel von allem, dass es schon eigentlich zu einem Zweck geworden ist.

Ricke: Der Zweck an sich, den kann man vielleicht am besten beschreiben, wenn man sich Spitzenmanager zum Beispiel in der Geldindustrie, bei den Banken ansieht – die verdienen so viel, dass sie das Geld eigentlich in ihrem ganzen Leben nicht mehr sinnvoll ausgeben können. Und doch will man immer mehr. Wie ist das zu erklären?

Haesler: Ja, vielleicht ist das Beispiel des Spitzenmanagers eigentlich nicht so spannend, weil die sind ja in einem Mikrokosmos drin, wo es um die gegenseitige Herausforderung geht. Hier ist eigentlich mehr so ein Rennen: Wer hält mehr Geld, wessen Salaire ist höher? Ich glaube, das hier das Geld als Wert an sich immer wieder gekoppelt ist an die Unendlichkeit menschlicher Bedürfnisse. Das ist eigentlich die Idee, der Mensch, ein Wesen mit endlosen Bedürfnissen, und daher würde er natürlich dieser alten Krankheit, die die Griechen Pleonexie nannten, anheimfallen, dass er also nie genug hat. Und Geld, da es natürlich akkumulierbar ist – Geld nicht verschwindet, nicht fault, nicht rostet –, dieses Geld kann angehäuft werden und somit eigentlich zum Mittel einer endlosen Bedürfnisschlaufe werden. Das ist eigentlich die herkömmliche Auffassung.

Ich würde sagen, Geld wird erst dann zu einem unendlichen Mittel, wenn andere Bedürfnisse nicht mehr befriedigt werden. Ich würde mich gegen diese Vorstellung des Menschen als endlos bedürftiges Wesen stellen, es ist eigentlich eher eine moderne Erscheinung, dass der Mensch solche Bedürfnisse hat und mangels anderer Bedürfnisse, die er nicht befriedigen kann, sich dann auf das Geld konzentriert.

Ricke: Ist Geld eine Ersatzbefriedigung?

Haesler: Das hat ja unser Mr. Bean gezeigt, der ja sehr bekannt geworden ist mit seiner Kreditkarte: Mit Geld kann man eigentlich direkt sehr wenig anfangen. Aber wenn ich Geld habe, habe ich schon die Möglichkeit, Bedürfnisse in der Zukunft zu befriedigen, also es ist eigentlich Leben auf Kredit.

Ricke: Das Geld hat sich physisch noch einmal verändert: Früher gab es den Lohn in der Tüte, heute gibt es automatisierte Hochgeschwindigkeitsrechner an den Börsen, die die Spekulationsblasen immer weiter füllen, bis sie platzen. Ist diese Dematerialisierung des Geldes vielleicht auch ein Problem?

Haesler: Von dem Moment an, wo man es minimal objektivieren kann als ein dreckiger Gegenstand, als ein gefährlicher Gegenstand, kann man sich irgendwie dagegen wehren. Das Problem mit der Dematerialisierung ist, dass es unsichtbar geworden ist, dass man gegen nichts mehr antreten kann. Es ist eigentlich … Alles geschieht hinter unserem Rücken in sehr komplexen Netzwerken, und da ist es natürlich schon so, dass wir keinen Mammon verdammen mehr können, keinen Mammon mehr haben, den wir in den Händen tragen, den wir verdammen können. Also für mich ist also der springende Punkt der Moment seiner Dematerialisierung die Jahre 72, 73 ein ganz maßgeblicher Punkt, wo sehr viel mehr als das Geld dematerialisiert wurde.

Ricke: Hat der Mensch die Macht über das Geld verloren?

Haesler: Man kann sich fragen, ob er überhaupt jemals die Macht über das Geld hatte. Hat er jemals verstanden, was er da in die Welt gesetzt hat? Wenn man sich darüber den Kopf zerbricht, was das Geld eigentlich ist, wenn man sich die Antworten vorlegt, was die Ökonomen darüber zu berichten hatten, dann ist man doch ganz erstaunt darüber eigentlich, wie sehr der Mensch ein geldtheoretischer Depp gewesen ist und immer noch ist. Also diese ganze Thematik, was das Geld eigentlich ist, von seiner Geburt über seine Dynamik bis zu seinem gegenwärtigen Zustand, diese ganze Diskussion wurde ja systematisch ausgeklammert. Mit Ausnahme eines einzigen deutschen Soziologen kann ich praktisch niemanden nennen, der sich da auf die Höhe des Phänomens Geld gewagt hat, das war Georg Simmel.

Also ich glaube, der Mensch war seit Geburt des Geldes geistig überfordert mit dem, was er in die Welt gesetzt hatte. Das Geld ist natürlich nützlich, ja, als Werkzeug kann man es verstehen, das ist das Verständnis der Ökonomen, diese drei üblichen Funktionen: tauschen, messen, Wert aufbewahren. Sobald man sich aber weiter hinauswagt, in gesellschaftliche, soziale, moralische, philosophische Gefilde, wird Geld zu einem unendlich schwierigen Gegenstand. Es gibt zum Beispiel keine Phänomenologie des Geldes. Niemand hat sich daran herangewagt. Man hat alle möglichen Gegenstände phänomenologisch analysiert – das Geld nicht. Also ich muss glaube ich doch sagen: Der Mensch hat am Geld fast nichts verstanden, es sei denn, seine ganz wenigen ökonomischen Funktionen, und das ist ein spärlicher Rest.

Ricke: Gibt es denn einen Weg, aus diesem System auszusteigen, sich vom Geld etwas unabhängiger zu machen, ohne gleich ins Kloster zu gehen?

Haesler: Nein, es ist völlig unmöglich, nur schon diesen Traum zu träumen. Abschaffung des Geldes war ja immer schon so eine utopische Vorstellung seit Beginn des Geldes, man könnte fast sagen, mit dem Geld beginnt das Denken einer Utopie einer möglichen Welt ohne Geld, nur: Dieses Geld ist dermaßen im System drin, befruchtet dermaßen unsere Netzwerke, dass eine Welt zu denken ohne Geld schlicht undenkbar ist. Also ich möchte warnen vor solchen Utopien à la Prodhon und so weiter, die noch dachten, es sei möglich, ohne Geld auszukommen, oder die dachten, dass man das Geld irgendwie zivilisieren kann, dass man es rematerialisieren kann. Das Erste, was wir tun sollten, wäre, vielleicht anständig über das Geld nachzudenken, was ja meines Erachtens niemals, mit Ausnahme Simmels, getan wurde.

Ricke: Der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe Aldo Haesler, sein Buch heißt "Das letzte Tabu: Ruchlose Gedanken aus der Intimsphäre des Geldes". Ich danke Ihnen, Herr Haesler!

Haesler: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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