Sozialwohnungen in Berlin

Rot-rot-grün im Baufieber

"Bezahlbare Mieten" steht auf einem Wandbild nahe dem Kottbusser Tor in Berlin im Bezirk Kreuzberg.
Der politische Wille, Geld in den sozialen Wohnungsbau zu stecken, ist in Berlin zweifelsfrei vorhanden. © picture alliance / Wolfram Steinberg
Von Thomas Weinert · 15.09.2017
Noch sind Sozialwohnungen in Berlin Mangelware. Aber der rot-rot-grüne Senat legt sich ins Zeug, um das zu ändern. 100.000 neue Wohnungen sollen in den nächsten fünf Jahren gebaut werden - ein ambitioniertes Ziel.
Berlin macht Tempo beim Thema Sozialer Wohnungsbau. Für den rot-rot-grünen Senat ist bezahlbarer Wohnraum so etwas wie ein Markenkern. Gerade, und das gibt man auch im Roten Rathaus zu, gerade, weil in den letzten Jahren auf diesem Gebiet wenig getan worden ist. Von "Nachholbedarf" ist die Rede. Und es ist Wahlkampf. Was in der Stadt Berlin als linkes Vorzeigeobjekt Gestalt annimmt – nämlich viele staatlich angestoßene Neubauvorhaben – das soll auch auf Bundesebene sichtbar werden. Denn die Opposition - in der Stadt Berlin wie in der Hauptstadt - wetzt schon die Messer. Nicola Beer, die Generalsekretärin der FDP, unlängst im ZDF:
"Wir brauchen eine Zweckbindung für die Bundesmittel, die in den sozialen Wohnungsbau führen sollen, diese Gelder sind häufig bei Ländern und Kommunen versackt. Hier muss klargestellt werden: Wenn das ausgewiesen ist für den Sozialen Wohnungsbau, dann muss es auch im Sozialen Wohnungsbau ankommen."
Der politische Wille, Geld in den sozialen Wohnungsbau zu stecken, ist in Berlin zweifelsfrei da. Andre Holm ist Stadtsoziologe, Mitglied der Linkspartei und war bei den Koalitionsverhandlungen dabei. Derzeit berät er beim Thema Wohnungsbau die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus:
"Na, das, was die sozusagen rot-rot-grünen Verheißungen betrifft, die ja auch im Koalitionsvertrag festgehalten sind oder Verabredungen, die da auch getroffen wurden, was die unterscheidet von vorherigen wohnungspolitischen Konzepten ist, dass das das erste Mal ist, dass Forderungen, die von den vielen kleinen Mieterinitiativen in den letzten fünf, sechs Jahren in Permanenz produziert wurden und weiterentwickelt wurden, Eingang in diese Koalitionsverhandlungen gefunden haben."
"Die Stadtgesellschaft mitnehmen" - diesen politischen Anspruch hört man aus vielen Ressorts des noch jungen Senats, beim Thema Wohnungsbau hat Andre Holm tatsächlich die jahrelange Erfahrung aus Mieter- und Bürgerinitiativen.
"Reformideen für den sozialen Wohnungsbau, Auflagen im Bereich der Zweckentfremdung und Umwandlungsverordnung, Vorkaufsrechte der Bezirke, also all diese Instrumente und die Art und Weise, wie sie jetzt formuliert sind, das sind Forderungen, die formuliert wurden und das gibt mir eigentlich am meisten Hoffnung, dass dieses Versprochene 'Wir wollen mit der Stadtgesellschaft gemeinsam die Stadt gestalten' an der Stelle ernst genommen wurde, und was jetzt in der aktuellen Phase spannend sein wird zu beobachten, wie das bei der Umsetzung dann auch geht."

Wohnungsbaugesellschaften schreiben Brandbrief an Bausenatorin

Für diese Umsetzung zuständig sind vor allem die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Denn zwar müssen private Bauträger in ausgewiesenen Gebieten seit Februar dieses Jahres 30 Prozent der neuen Wohnungen mit günstigen Mieten anbieten statt wie bisher 25 Prozent. Viele private Investoren lassen sich darauf jedoch nicht ein – und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften müssen einspringen.
Die wiederum haben just einen Brandbrief an Ihre Chefin Bausenatorin Katrin Lompscher von der Linkspartei geschrieben. Tenor: Die Senatsverwaltung arbeite nicht schnell genug, das Zuständigkeits-Gerangel zwischen Senat und Bezirken erschwere die Bauplanung und die Bürgerbeteiligung verlangsame die Fertigstellung von Neubauten beträchtlich. Für Katrin Lompscher ist es nicht leicht, Anspruch und Wirklichkeit in Einklang zu bringen:
"Also, es ist ganz klar, die Landeseigenen sind unsere Partner, sie sind nicht meine Feinde, so nehme ich sie auch zu keiner Sekunde wahr. Aber, was ich sehe: Es gibt bestimmte Ängste, dass sie zu große Erwartungen und Aufgaben aufgebürdet bekommen. Diese Ängste kann ich gut nachvollziehen. Auch ich denke manchmal, dass die Erwartungen an das, was wir zu leisten haben, sehr hoch sind und das bereitet einem dann wirklich zuweilen eine unruhige Nacht."
Katrin Lompscher (Die Linke), Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, besucht die erste Berliner Flüchtlingsunterkunft in modularer Bauweise am 27.01.2017 in Berlin.
Katrin Lompscher: Bausenatorin, gelernte Stadtentwicklerin, Linkspartei.© picture alliance / Jörg Carstensen / dpa
Lars Holborn sieht nicht danach aus, als schlafe er zu wenig. Für den Leiter der Immobilienbewirtschaftung einer großen Wohnungsbaugesellschaft ist er nachgerade jungenhaft frisch.
"Guten Tag, mein Name ist Lars Holborn, ich bin Prokurist der Gesobau AG. (...) Gut, dann machen wir uns auf den Weg zu neuen Sozialbauwohnungen in Berlin."

Anspruch der Senats: Qualität im sozialen Wohnungsbau

119 Wohnungen baut die Gesobau in der Kopenhagener Straße in Pankow, anderthalb bis vier Zimmer Wohnungen von 44 bis 112 qm für 6,50 Euro kalt.
"Hallo. Ich bin Dirk Böttcher, ich arbeite bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen und bin dort im Bereich Wohnungspolitik, Wohnraumförderung, Sozialer Wohnungsbau tätig."
Auch Dirk Böttcher entspricht so gar nicht dem Typ eines Beamten in einer Senatsbauverwaltung, lässig und freundlich auch er. Gegen Ende des Jahres sollen die Wohnungen hier fertig sein. Das Projekt wurde noch in der Planungsphase einem privaten Investor abgekauft, mit der Auflage, später dort Sozialwohnungen anzubieten. 50 Prozent Sozialwohnungen pro Neubau sollen es bald sein.
"Das ist dann die neue Richtschnur ab Jahresanfang."
Die geräumige Drei-Zimmer-Erdgeschosswohnung ist behindertengerecht und hat Fußbodenheizung, die Raumaufteilung ist großzügig und modern. Der Anspruch der Berliner Regierung: Nicht nur Quantität, auch Qualität im sozialen Wohnungsbau. Nach energetischen Vorgaben und – hier funktioniert es – auch gefördert vom Bund.
Böttcher: "Grundsätzlich haben die kommunalen Gesellschaften einen nachhaltigen Auftrag im Rahmen des Neubaus. Wir haben die Bestimmungen der ENEV und wir nutzen natürlich auch gerne KfW-Mittel, das heißt – ja, wir haben einen hohen energetischen Standard."
Holborn: "Und da sieht man auch das Energetische, denn die Tür ist wirklich mächtig!"
Böttcher: "Ja, wir haben diese Stärken in den Fenstern durch die Dreifachverglasung, und da es auch noch Holzfenster sind auf Grund der Nachhaltigkeit, bauen wir lieber Holzfenster ein nach Möglichkeit. Ist das natürlich auch ein Gewicht, das man merkt, wenn man es öffnet."
Nach 6 Euro 50 kalt sieht diese Wohnung jedenfalls nicht aus.

CDU nennt Ziele des Senats "utopisch"

So wie hier in Pankow, so geht es auch in Lichtenberg voran mit 117 neuen Wohnungen oder 139 in Mitte. Die Pressemitteilungen der Senatsverwaltung nennen stolz die Zahlen des Fortschritts und formulieren den Anspruch, in fünf Jahren 100.000 neue Wohnungen hochzuziehen. Als das Lokalfernsehen vom rbb über diese wohnungsbaupolitischen Ziele des Senats berichtet, nennt Christian Gräff das "utopisch" - bei den derzeitigen Preisen für Bauland und Material. Er ist der wohnungspolitische Sprecher der oppositionellen CDU im Abgeordnetenhaus. Dirk Böttcher dagegen ist zufrieden mit der bisher geleisteten Arbeit.
Gräff: "Ich glaube, dass das Bundestagswahlkampf ist. Die Linke ist in Berlin in Verantwortung. Sie muss dafür sorgen, dass wir in Berlin mehr Wohnungen bekommen und sie muss mit den Vermietern an einen Tisch kommen und darüber reden, wie wir mehr bauen und wie wir günstigere Mieten bekommen."
Reporter Weinert: "Würden Sie hier einziehen?"
Böttcher: "Ja, aber ich wohne schon!"
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