Sozialistische Gebäude als Weltkulturerbe?

Narzissen blühen am 30.03.2014 auf dem Mittelstreifen der Karl-Marx-Allee in Berlin. Im Hintergrund stehen die Wohntürme am Frankfurter Tor.
Die Karl-Marx-Allee in Berlin - vielleicht schafft sie es sogar auf die Weltkulturerbeliste. © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Von Carsten Probst · 15.04.2014
Die Berliner Karl-Marx-Allee, früher Stalinallee genannt, ist mit Bars, Cafés und Galerien wieder hip geworden. Der kilometerlange Komplex sozialistischen Städtebaus hat es zu einer Bewerbung für die Welterbeliste geschafft.
"Das Erbe der Moderne ist auf der Welterbeliste unterrepräsentiert, ebenso das industrielle Erbe. Und wenn die Welterbeliste den Anspruch erfüllen soll, repräsentativ für die Menschheitsgeschichte zu sein, dann müssen diese Lücken abgebaut und sukzessive geschlossen werden ..."
… sagt Jörg Haspel, Präsident der deutschen Sektion des ICOMOS, und sieht darin eine große Chance für Bauten und ganze Städte, die bisher eher noch nicht unter dem Aspekt ihrer Welterbe-Würde betrachtet wurden. Dass gerade in Berlin eine Bewerbung für die Welterbeliste vorbereitet wird, die mit der Karl-Marx-Allee ein kilometerlanges Gebäudeensemble sozialistischen Städtebaus umfasst, mag überraschen. Hat doch die Stadt gemeinsam mit der Bundesregierung vor noch nicht wirklich langer Zeit einmütig den Abriss des Palastes der Republik gegen internationale Proteste durchgedrückt, um Platz für die Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses zu schaffen. Und nun plötzlich diese Kehrwende? ICOMOS-Präsident Jörg Haspel, der zugleich auch Landeskonservator Berlins ist:
"Ich glaube, dass der Antrag vor 20 Jahren überhaupt nicht denkbar gewesen wäre. (…) Und ich denke, das ist ein guter Hinweis darauf, dass die Stadt erkannt hat, dass die Stadt zum Beispiel die Zeichen erkannt hat, dass sie damit aus dieser Teilung nach 1945 über eine einmalige Konstellation verfügt, die viele Menschen in der Welt berührt und interessiert und die es lohnt, diesen Weg oder diesen Versuch zunächst einmal zu starten."
Grenzüberschreitende Städtepartnerschaften
Eine größere Akzeptanz und eine unbefangenere Sicht auf das sozialistische Architekturerbe ist auch in anderen Ländern zu beobachten. In Russland, speziell in Moskau, ist der sogenannte sozialistische Klassizismus, schon länger wieder im Gespräch. Aber etwa auch der monumentale Kulturpalast in der Innenstadt Warschaus gilt schon länger wieder als denkmalwürdig. Ein Sammelband umfasst nun erstmals Vorschläge aus der sozialistischen Periode für die Welterbeliste aus zwölf verschiedenen Ländern, darunter auch Weißrussland, Tschechien oder die Slowakei bis hin zu Bauten auf Kuba und in Armenien. Andere Beispiele dagegen fehlen offenkundig, in Deutschland die Industriestadt Eisenhüttenstadt oder das georgische Gori, Stalins Geburtsstadt.
"Das schließt aber nicht aus, dass zum Beispiel die Stalin-Städte, um das mal so zu nennen, oder die sozialistischen Stadtgründungen sich zusammenschließen, ebenfalls zu einem Städtenetzwerk und einen Versuch wenigstens der Kooperation und des Erfahrungsaustauschs zu unternehmen. Ich sag mal, Nova Huta ist sicher daran interessiert, mit Eisenhüttenstadt in den Kontakt zu treten, und ich kann mir das auch für andere Städte vorstellen, dass es sich lohnt, diese Diskussion fortzusetzen, dass alle Beteiligten dann davon profitieren."
Den Sozialismus nicht mit der Abrissbirne bekämpfen
Grenzüberschreitende Städtepartnerschaften, das klingt gut, das gibt es ja auch schon. Fragen bleiben dennoch: Will man wirklich Kultstätten und Aufmarschplätze diktatorischer Regime für immer bewahren und sie gegebenenfalls immer weiter in Stand halten? Baut man sich da nicht eine Art Horror-Disneyland? Jörg Haspel hält dagegen:
"Man wird den Sozialismus oder den Stalinismus nicht mit der Abrissbirne bekämpfen können. Insofern haben wir versucht, (…) mit diesem dreijährigen Workshop (…) einen Stein ins Wasser zu werfen (…): Das Totschweigen oder das Ausblenden wie auch das Vernichten sind kein Beitrag, um sich kritisch mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen und schon gar kein Beitrag, um einer möglichen Gefahr der Wiederholung zu entgehen."
Wenn heute sozialistische Moderne wieder ins Blickfeld rückt, scheinen damit gleichwohl nicht alle Bauten gemeint zu sein: Nicht die großen Satellitenstädte Berlin, nicht Halle-Neustadt, die bereits teilweise abgerissen ist, nicht Neubrandenburg. Die Karl-Marx-Allee ist, wie man in Berlin sagt, inzwischen wieder hip, hier gibt es Bars, Galerien, Kunstsammlungen:
"Dazu gehört sicher auch, dass sie Veränderungen erfahren haben in den letzten 20 oder 25 Jahren. Bei manchen kann man aber auch sagen, diese Veränderungen waren Voraussetzungen dafür, dass sie heute noch in Nutzung sind, und es ist gleichzeitig, glaube ich, auch eine Voraussetzung dafür gewesen, dass so eine Art ästhetische Rehabilitierung der Ost-Moderne in der Stadt stattgefunden hat."
Andererseits gilt auch: Hätte die Karl-Marx-Allee den Welterbestatus schon vor zehn Jahren erhalten, dann hätte es womöglich gerade diese aktualisierenden Veränderungen eben nicht gegeben. Wenn solch riesige Stadtareale wie in Berlin oder in Moskau für immer konserviert werden, wird dadurch stets der lebendige Organismus einer Großstadt punktuell zum Stillstand gebracht. Vielleicht würde es doch ausreichen, wenn die regionalen Denkmalschützer wie bisher vor Ort von Fall zu Fall entscheiden? So geschieht es ja auch schon in der Karl-Marx-Allee. Dort wurden einige Häuser abgerissen und danach grundrissgetreu wiederaufgebaut, die verrotteten Kandelaber wurden vor acht Jahren originalgetreu erneuert. Was sich bei vielen Jahrhunderte alten Stätten bewährt haben mag, könnte für manches Erbe des 20. Jahrhunderts, das noch in Gebrauch ist, da und dort zu früh kommen.
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