"Sozialheld" Raúl Krauthausen

Endlose Analysen von Sonderfällen lähmen Inklusion

Von Svenja Pelzel · 24.02.2015
Mit seinem Verein "Sozialhelden" engagiert sich Raúl Krauthausen seit mittlerweile zehn Jahren für die Belange behinderter Menschen. Er möchte vor allem Berührungsängste abbauen und meint, eine "Analyse Paralyse" bremse die Inklusion in Deutschland.
Musik: Funny van Dannen "Gibt es größere Schurken? Die Antwort lautet nein. Doch auch Lesben, Schwarze, Behinderte können ätzend sein."
Raúl Krauthausen mag Funny van Dannens Song und den schwarzen Humor darin. Er macht selbst regelmäßig Späße, vor allem, wenn er neue Menschen kennen lernt, die oft Angst vor ihm haben. Raúl Krauthausen ist ungewöhnlich klein, redet mit knarzender Stimme, kann wegen seiner Glasknochenkrankheit nicht laufen und sitzt deshalb in einem großen, elektrischen Rollstuhl.
"Die ist jetzt auch nicht kolossal groß die Angst, aber so in den ersten drei Minuten des Kennenlernens gibt es halt Angst und dann versuche ich das schon immer mit Humor zu überbrücken. Was manchmal anstrengend ist, weil es auch Situationen gibt, wo ich keinen Bock habe jetzt der Spaßmensch zu sein und manchmal es die Leute aber auch schon erwarten."
Raúl Aguayano-Krauthausen, so sein vollständiger Name, ist 36, in Peru geboren und mit einem Jahr mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen. Er hat in Berlin Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studiert und viele Jahre im IT-Bereich gearbeitet, trotz seiner Behinderung.
"Aber das ist auch nur eine Eigenschaft von vielen, die mich auszeichnet und darauf lege ich Wert. Ich glaube, ich bin ungeduldig und anspruchsvoll. Ich glaube, ich habe ein ganz gutes Gespür für Stimmungen im Raum von Menschen, aber gleichzeitig auch, ja wie soll ich sagen, manchmal zu witzig."
Außerdem ist Raúl Krauthausen nach eigener Aussage noch ein "verwöhntes Einzelkind" und Medienjunkie. Auch an diesem Morgen hält er sein Smartphone griffbereit in der Hand, während ihn einer seiner Assistenten vom Fahrstuhl zum Büro begleitet und ihm die schweren Glastüren aufhält.
Sechs Assistenten für mehr Eigenständigkeit
Sechs Assistenten begleiten Raúl abwechselnd, helfen ihm ein eigenständiges Leben zu führen. Dadurch kann er in Kreuzberg in einer ganz normalen Fünfer-WG wohnen, öffentliche Verkehrsmittel benutzen, Vorträge in ganz Deutschland halten und jeden Tag für seinen Verein "Sozialhelden" arbeiten. Manches, so erzählt Raúl, ginge auch ohne Hilfe, wie zum Beispiel Anziehen, aber es dauert einfach ewig.
"Das sind natürlich alles Momente, wo man sich arrangieren muss, wo ich manchmal froh wäre, wenn ich keinen Assistenten bräuchte, aber es gibt so einen Mittelweg zwischen wegschicken und dann doch da sein. Es gibt da immer Möglichkeiten."
Vor zehn Jahren hat Raúl den Verein "Sozialhelden" gegründet, und dafür bis heute unzählige Preise und Auszeichnungen erhalten, zuletzt das Bundesverdienstkreuz. Mittlerweile besteht das Team aus zehn festangestellten Mitarbeitern. An diesem Vormittag sitzen einige schon um den großen, runden Holztisch als Raúl mit seinem Assistenten herein kommt.
Alle haben einen Laptop vor sich, auch Rául fängt sofort an, seine Mails zu beantworten. Firmen, Politiker und Pädagogen aus ganz Deutschland fragen an, ob Krauthausen bei ihnen einen Vortrag oder Workshops über Inklusion machen kann. Viele wissen einfach nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen.
"Wir neigen dazu für jeden Sonderfall schon im Vorfeld eine Lösung zu haben, anstatt hinzunehmen, Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch anders ist. Wir werden keinen Masterplan für alle 80 Millionen Menschen haben. Sondern wir sollten einfach damit anfangen und dann gucken, was dann für Herausforderungen wirklich kommen. Und nicht die am Anfang schon theoretisieren. Wir nennen es die Analyse Paralyse."
Autobiografie: "Dachdecker wollte ich eh nicht werden"
Das Team der Sozialhelden schreitet lieber zur Tat. In den letzten Jahren haben sie unter anderem Spendenkästen für Pfandbons in Supermärkten entwickelt, mobile Rampen für Rollstuhlfahrer und die sogenannte Wheelmap.
"Das ist eine Onlinekarte für rollstuhlgerechte Orte, auf der Menschen mit ihren Mobiltelefonen Orte bewerten können, ob sie zugänglich sind, oder nicht. Und das funktioniert sehr gut, hat fast 500.000 Einträge auf der Karte. Dieses Projekt ist letztendlich das, womit wir in der Szene bekannt geworden sind."
An diesem Abend muss er ausnahmsweise mal nicht quer durch Deutschland fahren. Raúl Krauthausen liest aus seiner Autobiografie im Ratskeller in Berlin-Lichtenberg. Bevor er loslegt, bedankt er sich bei den Musikern, die als seine Vorband angekündigt wurden. "Eine Vorband hatte ich noch nie, das gefällt mir gut", sagt er und lacht. Dann erzählt er von seinem Verein und liest aus seinem Buch "Dachdecker wollte ich eh nicht werden".
"Willst Du einen Schluck? Sie bot mir von ihrem Drink. Ich nippte an dem extrem süßen und hochprozentigen Zeug. Danke, aber ich bleibe lieber bei meinem Sekt, sagte ich und reichte die Flasche zurück."
An die 20 Zuhörer sitzen in dem kleinen Saal, für einige Gehörlose wird Raúls Lesung in Gebärdensprache gedolmetscht. Auch Jutta Griep hört konzentriert zu. Sie engagiert sich als Bezirksverordnete der Grünen in Berlin-Lichtenberg ständig für die Belange behinderter Menschen und hat den Abend heute mit organisiert.
"Ich habe ihn auch bei einer Lesung kennen gelernt und kannte ihn aus vielen Talkrunden und auch sein Buch ist richtig lustig, also überhaupt nicht tragend. Und das finde ich so toll, das auch zu zeigen, wie man auch lebt mit der Behinderung, sozusagen diese Berührungsängste auch abzubauen und das ist eigentlich auch mein Ziel."
Berührungsängste abbauen – das ist auch das Ziel von Raúl Krauthausen und seinen Sozialhelden. Dafür wird er auch nächste Woche wieder quer durch Deutschland reisen.
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