Sozialer Wohnungsbau als Weltkulturerbe

Von Adolf Stock · 24.07.2007
Sechs Kandidaten für den Olymp. Kein Schloss und keine Burg hat die Bundesrepublik Deutschland für die Weltkulturerbeliste vorgeschlagen, sondern sechs Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus, die zwischen 1913 und 1934 in Berlin entstanden sind.
Die Berliner Ausstellung lehrt, was sozialer Mut zu leisten vermag. Der genossenschaftliche Siedlungsbau gehört zu den großen Leistungen der Weimarer Republik, die per Gesetz jedem Bürger eine menschenwürdige Wohnung versprach. Nicht nur in Berlin, auch in Karlsruhe, Magdeburg oder Frankfurt am Main profitierten die Menschen von einer sozialen Idee, die sich im Siedlungsbau manifestierte. Genau genommen war es eine europäische Idee, die auch in Wien, Amsterdam oder Prag zu achtbaren Ergebnissen führte, ganz zu schweigen von England, wo die Idee der Gartenstadt ihren Ursprung hat. Warum also Berlin? Jörg Haspel, oberster Denkmalpfleger der Stadt, nennt Gründe:

"Wir wollen niemanden, keine Siedlung oder Stadt, ich sag auch mal Amsterdam oder andere jetzt da raushalten, sondern wir haben gesagt, Berlin hat einen besonderen, speziellen Beitrag geleistet, und es ist vielleicht wie bei mittelalterlichen Kirchen oder bei barocken Schlössern oder ähnlichem, natürlich hat jede Region und teilweise mehrere zusammen haben ihre spezifischen Beiträge gebracht. Aber ich glaube, dass in Berlin dieser Schritt oder dieser Abschied von der historischen Stadt, von der Blockstadt, von der Korridorstraße über die Gartenstadt, die Auflösung und die Durchgrünung, dieser enge Zusammenhang mit der Gartenarchitektur, dass der hier in einer seltenen Konsequenz zu Ende geführt wurde und dass natürlich auch sehr viele sehr namhaft gewordene Architekten dran beteiligt sind."

Es sind die berühmten Akteure des neuen Bauens, wie Otto Bartning, Walter Gropius, Hugo Häring, oder Hans Scharoun. Doch der wichtigste Name ist Bruno Taut. Annemarie Jaeggi, Leiterin des Berliner Bauhaus Archivs.

"Er ist in der Tat der absolute Star und mit vollem Recht. Er ist derjenige, der sich aus einem starken sozialen Gewissen heraus und als Architekt eingebracht hat, der menschenwürdige Wohnumstände für unterprivilegierte Schichten schaffen wollte. Da steckt also ein ganz persönliches Anliegen dahinter, und dann hat er alleine 10.000 Wohnungen in Berlin errichtet zwischen 1924 und 1930. Eine phänomenale Leistung, und sie sind hervorragend architektonisch, städtebaulich - und was bei ihm dazukommt, ist die starke Farbigkeit."

Die Gartenvorstadt Falkenberg wurde noch vor dem Ersten Weltkrieg gebaut. Die englische Gartenstadt war das ideelle Vorbild. Wegen der bunt gestrichenen Fassaden hieß sie bald Tuschkasten-Siedlung. Taut verschmähte "Erbsensuppentöne", stattdessen Rot, Blau und Gelb. Die Farben seiner Bauten sollten einem orientalischen Teppich gleichen, der, wenn er matter wird, noch seine Qualität behält.

Zwar sind die Wohnungen in ihrem Ausmaß bescheiden, aber mit ihren ausgewogenen Proportionen verbreiten sie die Aura großzügiger Noblesse. Ein Wohlbehagen, das erstaunlicherweise bei vielen Mietern mit den Jahren wächst. Einbauschränke, breite Türen mit Oberlichtscheiben, großzügige Balkons und ein gut durchdachter Grundriss mit funktionsneutralen Zimmern sind Tauts Markenzeichen. Am Modell und auf dem Papier hat er seine Wohnblocks so lange hin und her geschoben, bis er zu einer subtilen Raumfolge fand, die ihm bis heute keiner nachmacht. Minimalismus pur. Auch innen. Taut führte einen beständigen Kampf gegen Kitsch und Nippes. Die Leute sollten nicht nur bessere Wohnungen haben, sie sollten auch durch bessere Wohnungen bessere Menschen werden. Ein solider Optimismus, den heute keiner mehr teilt.

Annemarie Jaeggi: "Er schlägt innerhalb dieser wenigen Jahre einen Bogen, der nachgerade mustergültig für die unterschiedlichen Entwicklungen des Wohnungsbaus sind. Angefangen von der Gartenstadt in Falkenberg, kleine Einfamilienreihen- und -doppelhäuser und dann übergehend zum geöffneten Block und dann am Ende bei Carl Legien im Grunde genommen ein Anspielen an die großen Zeilenbausiedlungen, wobei er dort wiederum seine ganz eigene Handschrift hinterlässt. Taut ist jemand, der immer einen ganz besonderen eigenen Weg gegangen ist und vor allem die eher dogmatischen, funktionalistischen Wege seiner Mitstreiter stark kritisiert hat."

Die "Weiße Stadt" in Reinickendorf demonstriert einen anderen Stil. Die Architekten Salvisberg, Ahrends und Brüning haben ihren Bauten kühle und harte Formen gegeben, während in Siemensstadt die Architektur von Hans Scharoun schon auf die Nachkriegszeit verweist.

Sechs Kandidaten für die Welterbeliste. Was zeigt man in einer Ausstellung, bei der die eigentlichen Exponate draußen vor der Haustür stehen?

Annemarie Jaeggi: "Es gibt Modelle, es gibt Fotos, jetzt hier in dieser Ausstellung sind das natürlich Fotos, die kurz nach Fertigstellung hergestellt wurden, wunderbare Schwarzweiß-Aufnahmen, dann gibt es natürlich Zeichnungen der Architekten, es gibt gedruckte Broschüren, Unterlagen, wir haben ein paar wunderbare Exponate, die das Leben in diesen Siedlungen anbelangen, also ich denke, das ist kein Problem."

Es macht Spaß, die Modelle anzuschauen oder Fotografien, die vom Alltag in den Siedlungen erzählen. Man stößt auf Exponate, die von dankbaren Mietern künden, wie die imposante "Tautfahne" von 1919, ein rotes Tuch mit farbigen Textilapplikationen. Mit dem bunten Tuch wollten die Bewohner der Siedlung Falkenberg ihren Baumeister ehren.

Wer mehr als eine Ausstellung will, sollte zu Fuß durch die Siedlungen gehen. Annemarie Jaeggi und Jörg Haspel haben einen entsprechenden Führer geschrieben, der in jede Jackentasche passt. Auf der Straße trifft man auf zufriedene Mieter, die stolz auf ihre Siedlung sind. Die brauchen das Label Weltkulturerbe eigentlich nicht. Sie haben eine Wohnung im Grünen, die ihren Bedürfnissen entspricht. Eine Herde Touristen stört da nur.

Links
Bauhaus Archiv Berlin
Initiative Welterbe

Literatur:
Deutscher Werkbund Berlin e.V. Winfried Brenne: Bruno Taut. Meister des farbigen Bauens. Berlin (Verlagshaus Braun) 2005

Landesdenkmalamt Berlin: Siedlungen der Berliner Moderne. Nominierung für die Weltkulturerbeliste der UNESCO. Berlin (Verlagshaus Braun) 2007

Jörg Haspel und Annemarie Jaeggi: Siedlungen der Berliner Moderne. München, Berlin (Deutscher Kunstverlag) 2007