Soylent

Das Ende vom Essen

Der Firmenchef von Soylent, Rob Rhinehart, füllt am 9.9.2013 in einem Lagerhaus seines Unternehmens in Oakland, USA, Maltodextrin in eine Tüte.
Der Firmenchef von Soylent, Rob Rhinehart, füllt in einem Lagerhaus seines Unternehmens Maltodextrin in eine Tüte. © AFP / Josh Edelson
Von Udo Pollmer · 19.09.2014
Eine Pille, die alle Nährstoffe enthält - und uns ohne Essen gesund hält. Diese Idee geistert immer wieder mal durch die Medien. Schlagzeilen macht derzeit ein Start-up-Unternehmen aus den USA, das Pulver statt Mahlzeiten verkauft.
Ein neues, synthetisches "Fertiggericht" macht im Internet Furore: eine Tüte mit Pulver namens Soylent. Das Pulver soll, wie es allerorten heißt, das "Ende vom Essen" einläuten. Angeblich enthält es alle Substanzen, die der Mensch zum Leben braucht. Die Idee stammt von einem Start-up-Unternehmen in den USA, das mit seinem ursprünglichen Plan, Mobilfunktürme zu bauen, gescheitert war. Was lag nach dieser Bruchlandung näher, als sich mit Ernährung zu befassen?
Durch Crowdfunding bekamen die Ingenieure in Windeseile 3,5 Millionen Dollar für das Projekt zusammen. Und durch Googeln entdeckten sie 35 Nährstoffe, die sie nun im Chemikalienhandel einkaufen. Das fertige Pulver muss der Kunde nur noch mit Wasser anrühren und auch trinken, was natürlich viel zeitsparender sei als das Kauen von Fastfood. Denn das sei der Trend der Zeit.
Nährstoffmixturen gibt es längst
Das Googeln und Geldsammeln hätten sich die Herren ruhig sparen können, denn solche Produkte gibt's längst in jedem Drogeriemarkt - als Diätpülverchen. Daneben existieren auch intelligent zusammengestellte Sondennahrungen für Patienten, die nicht mehr schlucken können. Auch Hilfsorganisationen und das Militär verfügen über platzsparende Nährstoff-Mixturen, die haltbar sind und unter schwierigen Bedingungen das Überleben sichern. Die Begeisterung dafür hält sich seit jeher in Grenzen, wer das Zeug nicht konsumieren muss, verzichtet leichten Herzens darauf.
Warum funktionieren diese Pulver nur in Notsituationen und nicht dauerhaft im Alltag? Ganz einfach: weil unser Körper mit Sinnesorganen ausgestattet ist. Und die wollen beim Essen etwas erleben. Fehlen diese Reize, ist die Wirkung die gleiche, wie wenn Menschen immer denselben Ton hören, sie werden davon schier wahnsinnig. Man nennt das sensorische Deprivation. Eine reizarme Umwelt ist eine bewährte Foltermethode. In diese Kategorie fallen viele Formuladiäten.
Die meisten Sinne sind nicht umsonst im Mund oder in der Nähe des Mundes, also an der Eintrittspforte der Nahrung. Augen, Ohren, Nase, Lippen, Zunge und Gaumen liefern detaillierte Informationen über die Speisen. Diese Daten speichert unser Gehirn. Dazu kommen die Daten jener Sinne, die nach innen gerichtet sind, die sogenannten metabolischen Sinne. Sie werden vom Darmhirn ausgewertet, das ist ein spezielles Nervengewebe, das fast den gesamten Magen-Darmtrakt durchzieht. Das Darmhirn wird fachsprachlich auch als "second brain" bezeichnet, als zweites Gehirn. Da das Darmhirn evolutionsbiologisch älter ist, kann es deshalb dem nachrangigen Gehirn sagen, wo es in Sachen Appetit langgeht. Deshalb ist es so schwer, Diäten durchzuhalten.
Das Darmhirn spielt nicht mit
Der Appetit orientiert sich an sogenannten somatischen Markern. So nennt man in der Neurologie das Abspeichern körperlicher Erfahrungen, beispielsweise von biochemischen Effekten unserer Nahrungsmittel in Verbindung mit ihrem Geschmack. Das Darmhirn erfährt über seine metabolischen Sinne, welche Stoffe sein Körper gerade benötigt. Um diese zu bekommen, sucht er über die somatischen Marker die passenden Gerichte. Darüber entsteht der Appetit auf bestimmte Speisen.
Unsere moderne Vorstellung über die körpereigene Regulation des Appetits ist alles andere als neu. Schon der olle Paracelsus glaubte, dass sämtliche Körpervorgänge von einer Art innerem Alchimisten gesteuert würden, dem archaeus. Er säße im Magen und habe hier die Aufgabe eines Schmiedes und Koches übernommen, um die Nahrung in Körpersubstanzen umzuwandeln. Der archaeus sei nicht dem freien Willen des Menschen unterworfen. Wird das Wohlbefinden dieses freundlichen Geistes gestört, entstehen Magenerkrankungen. Paracelsus war also einer der ersten, die die Existenz des autonomen Nervensystems und des Darmhirns vorausahnten.
Eine solche innere Steuerung ist unabdingbar, da jeder Mensch anders ist und sein Körper andere Bedürfnisse hat. Genau deshalb gehört die Zukunft immer dem schmackhaften Essen und niemals einem Essensersatzpulver. Denn auch das Auge isst mit. Mahlzeit!
Literatur:
Eiddicombe L: Das Ende vom Essen. Effilee Herbst 2014: 42-49
Scott TR: Taste: the neural basis of body wisdom. World Review on Nutrition and Dietetics 1992; 167: 1-39
Adam G: Visceral perception - understanding internal cognition. Plenum, New York 1998
Hoff F: Instinktive Nahrungswahl als Regulationsfaktor bei Krankheiten. Münchener Medizinische Wochenschrift 1966; 108: 85-92
Breuer G: Woher wissen Tiere, was sie fressen sollen? Naturwissenschaftliche Rundschau 1982; 35: 123-124
Davis CM: Self selection of diet by newly weaned infants. American Journal of Diseases of Children 1928; 36: 651-679
Brookes S, Costa M: Innervation of the gastrointestinal tract. Taylor & Francis, London 2002
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