Soweto, so vielfältig wie Afrika selbst

Von Andreas Herrler · 18.06.2013
Viele Jahre war Soweto der Inbegriff von Elend und Gewalt, nur die Ärmsten lebten hier. Das ändert sich allmählich, der Ort wandelt sich. Wer heute nach Soweto kommt, sieht immer noch Wellblechhütten ohne Strom und Wasser - doch er findet auch Hoffnung. Denn manche haben es geschafft.
Es gibt viele Möglichkeiten, Soweto zu erkunden. Als Fußgänger, als Radfahrer, als Autofahrer, als Buspassagier. Die bequemste und für 170 Quadratkilometer mit vielen Feldwegen am besten geeignete – aber auch lauteste Möglichkeit - ist das Quad-Bike.

Kgomoto Pooe hat mehr als ein Dutzend solcher Gefährte. Er hat sein Unternehmen 2010 gegründet.

"Warum ich die Touren per Quad Bike anbiete, ist einfach, weil man auf dem Fahrrad müde wird. Man kann also nur so weit strampeln, wie man kommt. Auf dem Quad Bike hat man einen Motor, sitzt bequem auf vier Rädern und kommt durch Gegenden, die man sonst nicht sehen würde. Wir fahren durch Hüttenviertel, über Bürgersteige, durch Wasserkanäle … man sieht also das echte Soweto. Diese Tour führt einen dorthin, wo die Menschen leben."

Und so beginnt die Reise durch einen aufregenden Teil Johannesburgs, der nicht nur ganz unterschiedliche Menschen beheimatet, sondern auch sehr unterschiedliches und zum Teil gewöhnungsbedürftiges Essen. Am ersten Stopp, einem kleinen Imbiss, der in einem ausrangierten Frachtcontainer untergebracht ist, gibt es sogenannte Fat Cakes, also Fettkuchen.

"In den Townships heißen sie 'Magwenya'. Das sind Donuts, gefüllt mit Hähnchenleber, Käse, Knoblauchwurst und so weiter."

King, ein junger Mann aus Soweto, der bei den Quad-Bike-Touren vorneweg fährt, isst sie jeden Morgen.

"Ja, das ist typisches Soweto-Essen. Wenn man morgens aufwacht, gibt es schon eine lange Schlange vor dem Laden. Sie stehen an für Fettkuchen, Käse, Würste, Pommes - das essen wir jeden Morgen hier in Soweto. Manche kaufen 20 Fettkuchen, manche 10, manche 30."

Querfeldein führt der Weg zum nächsten Stopp. Vorbei an Feuerplätzen, die Obdachlosen in der vergangenen Nacht Wärme gespendet haben, ein letzter Rest Glut glimmt immer noch. Fast unwirklich erhebt sich auf einmal das moderne Fußballstadion von Orlando. King, der Quad-Bike-Führer, ist oft hier.

"Das hier ist die Heimat meines Teams - der Orlando Pirates. Es war früher ein ganz normales Fußballstadion, das jeder nutzen konnte. Zur Fußball-WM haben sie es in ein großes Stadion umgebaut. Aber sie haben nicht an uns gedacht: Wo sollen wir jetzt Fußball spielen?"

Zur WM selbst fand in dem teuer umgebauten Stadion übrigens kein Fußballspiel statt – dafür war es zu klein. Einige Kilometer weiter erklärt King, dass das alte Stadion, das zuvor dort stand, 1976 Ziel eines Demonstrationszuges sein sollte, über den später die ganze Welt berichtet hat. Es war der 16. Juni, als Hunderte Schüler auf die Straße gingen, um dagegen zu protestieren, dass sie künftig auf Afrikaans statt auf Englisch unterrichtet werden sollten.

"Sie haben diesen Weg genommen, um zum Orlando-Stadion zu marschieren. Aber dort kamen sie nie an. Der Weg endete dort unten an der Ampel - da hat die Polizei auf sie gewartet und auf sie geschossen."

Bei den Ausschreitungen kamen mindestens 575 Menschen ums Leben. Eines der ersten Todesopfer war Hector Pieterson, damals zwölf Jahre alt. Das Bild des sterbenden Jungen ging um die ganze Welt. Seit elf Jahren erinnert das Hector-Pieterson-Museum an diese Ereignisse.

Ein anderes Haus ist auch ein Museum: das Haus von Nelson Mandela. Eine Mitarbeiterin führt durchs Haus, in dem Mandela von 1946 bis 61 lebte.

"Der Raum war eigentlich das Wohnzimmer, aber später Kinderzimmer. Das Sofa steht hier, weil Mister Mandela immer hier sitzt, wenn er das Haus besucht. Das letzte Mal hat er 2006 hier gesessen."

Originale Einrichtungsgegenstände gibt es kaum noch, seit das Haus vor einigen Jahren bei einem Feuer schwer beschädigt wurde. Dafür viele Fotos, Dokumente, auch ein Boxergürtel ist ausgestellt.

"Er war ein Boxer. Deshalb hat er 27 Jahre Gefängnis überlebt. Weil er geistig und körperlich stark war."

Die Führung durch das Haus dauert keine 20 Minuten – es ist zu klein, um viel auszustellen. Und es ist voll. Viele Touristen sind hier. Ein gefundenes Fressen für Souvenirverkäufer. Sandman, wie er sich selbst nennt, ist einer von ihnen. Er verkauft Glasflaschen, in denen er kunstvoll Sand so aufgeschichtet hat, dass Muster oder Bilder von Tieren entstehen.

"Wenn man zum Beispiel einen Elefanten macht, dann schütte ich den roten Sand hinein, dann den weißen drauf, eine Schicht wie diese hier. Dann wieder eine rote Schicht. Und dann drücke ich den roten Sand mit einer Nadel nach unten, so entstehen die Beine. Ich mache den Sand nass, dann kann er sich nicht mischen. So bleiben die Muster über Jahre erhalten."

Daneben gibt es Kunsthandwerk, Mandela-T-Shirts, Tiere aus Holz und aus Stein – und die Touristen kaufen, wenn sie nicht gerade essen sind. Ein Restaurant neben dem anderen lädt in dieser Straße zum Mittagessen ein. Typisch für Soweto, sagt Kgomoto Pooe, der Inhaber der Quad-Bike-Firma, sei allerdings etwas anderes: der Soweto-Burger.

"Ein Kota, das ist ein Township-Burger, gefüllt mit Pommes, Mayonnaise, Ketchup, Wurst und Gurken."

Den gibt es in einem Supermarkt mit angeschlossenem Gastraum. Ein einziger Tisch steht darin, Plastikstühle rundherum, Cola-Werbung hängt an der Wand. Der Burger schmeckt und ist für europäische Gaumen gar nicht ungewohnt – ganz im Gegensatz zu einer weiteren Spezialität aus Soweto, die einige Straßen weiter an einem Stand mit offenem Feuer angeboten wird.

"Skop, das sind Kuh- oder Schafsköpfe, die gehäutet werden, das Fleisch wird dann gekocht und mit Chili- und anderer scharfer Soße serviert - ein sehr typisches Essen aus Soweto."

Und ein sehr untypisches für Europäer – vor allem dann, wenn man den abgetrennten Kuhkopf sieht, der neben dem Stand liegt, umschwärmt von Fliegen. Doch die Kuh, der dieser Kopf mal gehörte, ist tot. Die Menschen dagegen, die einige Kilometer weiter im Armenviertel von Kliptown zu Hause sind, und die ebenfalls von Fliegen umschwärmt werden, leben - und zwar unter unmenschlichen Bedingungen. Ntokozo Dube, oder kurz TK, wie er sich selbst nennt, zeigt von der anderen Seite der Eisenbahn auf seine Siedlung.

"Wir haben Bewohner, die sehr reich sind, Bewohner, die es sich leisten können, in Stadtteilen wir Orlando zu leben - und wo wir jetzt sind, das ist Kliptown, einer der ärmsten Teile von Soweto. Hier gibt es keine Schule, keine ordentlichen Häuser, keine Kanalisation, kein Strom. Einfach nichts."

Es ist ein Ort, an dem man nicht leben möchte. Ein Ort, an dem es keine asphaltierten Straßen gibt. Nur Schlamm und Abwasser.

"Das Wasser, das wir sehen, kommt aus dem Geschäftsviertel und läuft hier rein. Schon am Geruch merkt man, dass es hier mehr Krankheiten gibt als woanders. Ich glaube, unsere Besucher sollten die Realität sehen. Und diese Spaziergänge geben einem eine klare Vorstellung davon, wie die Menschen hier leben."

Die Menschen hier wohnen in Wellblechhütten. Sie schneiden keine Fenster in das Blech, weil sie kein Glas haben, um das Loch mit einem Fenster zu füllen.

"Ich nenne diese Häuser 'Wetterhäuser'. Denn wenn es draußen heiß ist, ist es innen heiß, wenn es kalt ist, ist es kalt, und wenn es regnet, dann leckt es."

In einem dieser Häuser wohnt Bessy. Verheiratet, ein Kind. Wenn man ihr zuhört, meint man, sie führe durch eine Mehrzimmerwohnung.

"Hier haben wir das Schlafzimmer, hier das Wohnzimmer, dort die kleine Küche und da die Fernsehecke."

Doch all diese Räume befinden sich in einem einzigen Zimmer.

"Diese Bedingungen sind sehr schlecht. Es gibt keinen Strom, kein Wasser, keine funktionierenden Toiletten … es ist schon kritisch."

Numbhwula: "Das hier ist unser kleiner Lebensmittelladen. Solche Läden waren während der Apartheid verboten. Erst seit 1994 sind sie legal."

Numbhwula ist die Inhaberin des Marktes. Sie ist stolz darauf, ihr Geschäft seit dem Jahr 2000 aufgebaut zu haben.

"Hier drin sind kalte Getränke und Huhn. Von 2000 bis 2013 habe ich immer mehr Kühlschränke gekauft. Der hier zum Beispiel ist für Erfrischungen, der für noch mehr Huhn - und hier ist die Sauermilch, die ich direkt von der Kuh verkaufe."

Ein paar Schlammwege weiter zeigt TK auf einen Garten.

"Hier haben wir Tomaten, ich sehe Salat, Zwiebeln, Karotten … und das hier sind die Pfirsichbäume."

Einige Bewohner haben den Garten gemeinsam angelegt, um sich selbst zu helfen.
Auch TK bietet seine Touren an, um der Gemeinschaft zu helfen: Mehr als die Hälfte seiner Einnahmen fließt in eine von ihm gegründete Stiftung.

"Jedes Jahr geben wir Schuluniformen an die Kinder aus unserer Siedlung aus. Denn wir glauben: Ja, in dieser Siedlung gibt es zwar nichts. Aber draußen gibt es ein besseres Leben. Und an das kommt man nur mit Bildung ran."

Der Kontrast könnte größer nicht sein: Nur eine Brücke entfernt über die Eisenbahnschienen liegt das einzige 4-Sterne-Hotel von Soweto. Wer ein Zimmer zur Seite gebucht hat, blickt direkt aufs Elend. Betrieben wird das Hotel von Lindiwe Sangweni-Siddo – eine der Bewohnerinnen Sowetos, die es geschafft haben.

"Es war eine Chance, von der ich vor sechs, sieben Jahren gelesen habe. Damals hat die Stadt Johannesburg erklärt, dass sie an dem Ort, wo die Freiheitscharta unterzeichnet wurde, einen neuen Platz mit Einkaufszentrum eingeweiht hat, den Walter-Sisulu-Platz. Und nun suchten sie nach Händlern, nach Unternehmern, die daran interessiert sind, sich an diesem Platz zu engagieren. Und ich hatte lange genug für internationale Hotelketten gearbeitet und dachte, das wäre doch eine tolle Möglichkeit. Und so machte ich ein Angebot - und bekam den Zuschlag, das Sowetohotel zu eröffnen."

Ihre Gäste sind nicht nur Mitarbeiter von Firmen, die hier Konferenzen abhalten, sondern auch Touristen, denen das Hotel maßgeschneiderte 24- und 48-Stunden-Erlebnispakete anbietet.

"Beim 24-Stunden-Paket zum Beispiel wird man am Flughafen abgeholt, checkt im Hotel ein, und dann haben wir je nach Ankunftszeit einen ganzen Plan arrangiert. Wir bringen Sie zum Beispiel zur Vogelbeobachtung - einer Sache, von der keiner glauben würde, dass es so was in Soweto gibt - wir können Sie zum Quadbiken bringen, abends bringen wir Sie in Restaurants, am nächsten Tag zu einem Spaziergang durch Kliptown … Es hängt davon ab, wie viel Zeit man hat."

Zweimal im Monat lädt das Hotel zu Livemusik von lokalen Künstlern ein – diesmal ist die junge Sängerin Brenda Mtambo aus Soweto zu Gast – eine kleine, stämmige, energiegeladene Frau.

"In Afrika, vor allem in Südafrika, lieben wir die Musik, wir singen, wir unterhalten - das ist einfach unsere Art."

Einige Schritte neben dem Hotel befindet sich ein kleines Museum.

"Das ist das Kliptown-Museum, eröffnet am 26. Juni 2007, 52 Jahre nach der Unterzeichnung der Freiheitscharta am 25. und 26. Juni 1955."

"Im Museum erfährt man, wie das alles geschah, wie die südafrikanische Untergrundbewegung aus allen Bereichen des Lebens zusammenkam, um öffentlich zu sagen, wie ungerecht die Apartheid war. Und das ist es, was Menschen wie Nelson Mandela, Walter Sisulu und viele andere, die einen Großteil ihres Lebens hinter Gittern verbracht haben, dazu brachte, dafür zu kämpfen, was wie heute genießen können."

Der Volkskongress, eine selbst ernannte Gruppe von rund 3.000 Menschen aus verschiedenen politischen Lagern, hatte das Dokument damals unterzeichnet und darin zehn Forderungen formuliert, unter anderem Demokratie, Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit. 156 Anführer des Volkskongresses wurden später angeklagt, unter ihnen Nelson Mandela, aber freigesprochen. Das Museum dazu ist heute kaum bekannt.

"Es ist ein bisschen schade. Das Museum gehört der Stadt Johannesburg. Wir verhandeln gerade mit der Stadt, ob wir das Museum nicht betreiben dürfen. Denn es ist so ein wichtiger Teil unserer Geschichte, wie sich Apartheid in Demokratie verwandelt hat."

Soweto ist zu groß, um ein pauschales Urteil darüber zu fällen. Über 3,5 Millionen Menschen leben hier – so viele wie in Berlin, aber nur auf einem Siebtel der Berliner Fläche. Es gibt die modernen, angenehmen Viertel, es gibt das Hotel, den Tourismus, das größte Krankenhaus Afrikas – und es gibt eben auch die Armut. Soweto ist so vielfältig wie Südafrika selbst. Für Laura Vercueil, die beim städtischen Tourismusbüro von Johannesburg arbeitet, ist es gerade diese Mischung, die Soweto ausmacht:

"Soweto hat seine ganz eigene Atmosphäre. Es gibt so viele Menschen, die aus Soweto kommen, aber dann irgendwann weggezogen sind, die am Wochenende immer wieder zurückkommen, um diese Stimmung zu spüren, die sie als Jugendliche erlebt haben. Soweto wird immer anders sein als andere Vororte. Es ist ein Ort, der ständig wächst, der sehr lebhaft ist, mit einem ganz eigenen Stil und eigener Persönlichkeit - und das ist es, was die Menschen an Soweto lieben."

Und so ist Soweto die Stadt der Gegensätze – dazu gehört auch, dass Soweto de facto die bevölkerungsreichste Stadt im südlichen Afrika ist – tatsächlich aber nur ein Stadtteil von Johannesburg.
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