Souverän gestaltete Graphic Novel

22.08.2011
Mit "Asterios Polyp" legt David Mazzucchelli seine erste eigene Graphic Novel vor. US-Kritiker feierten das Buch als "ultimatives Comic-Statement". Die visuelle Gestaltung des Buches ist souverän - einzig die Geschichte vermag nicht zu überzeugen.
David Mazzucchelli hätte ein Schwergewicht des amerikanischen Mainstream-Comics werden können, wenn er denn Lust dazu gehabt hätte. Schon als Student hat er Hefte für die Serie "Daredevil" gezeichnet, in den 80er-Jahren war er einer der Erneuerer des Superhelden-Comics, vor allem durch das Album "Batman. Year One", das er zusammen mit Frank Miller herausgebracht hat. David Mazzucchelli hat diesem Genre aber bald den Rücken gekehrt, um sich mit dem literarischen Comic auseinanderzusetzen. Ein Ergebnis war seine viel gelobte Comic-Adaption des Romans "Stadt aus Glas" von Paul Auster. Schon seit den 90er-Jahren heißt es, David Mazzucchelli würde an einer eigenen Graphic Novel arbeiten, 20 Jahre später liegt dieses Buch nun vor: "Asterios Polyp".

Wortlos setzt es ein: der Kosmos, Wolken über der Erde, ein gewaltiger Blitz formiert sich und schlägt in Manhattan ein. Dieser Blitz sprengt Asterios Polyp an seinem 50. Geburtstag aus seinem bisherigen Leben. Er schaut zu, wie sein Zuhause abbrennt, dann fährt er mit dem Greyhound-Bus so weit weg von New York, wie die Dollars in seiner Hosentasche reichen.

David Mazzucchelli nimmt sich nach diesem hochdramatischen Einstieg alle Freiheiten bei der Entwicklung seiner Geschichte. Asterios Polyp wird Automechaniker in einem Provinzkaff, zwischen diesem neuen Leben und seiner alten Existenz, zwischen Träumen und Diskursen über Ästhetik und Mythologie springt das Buch wild hin und her. Vor dem Blitzschlag war Asterios Polyp Architekturprofessor an einer der edlen Ostküsten-Universitäten der USA, ein Papier-Architekt, der nie etwas gebaut hat, dafür aber umso strikter in seinen Ansichten. Er ist sagenhaft unsympathisch, zu allen Themen hat er unbeirrbare Meinungen, und das sieht man schon seiner äußeren Erscheinung an: ein fast kreisrundes Profil, kaum eine Öffnung, durch die etwas von außen Zugang in sein abgeriegeltes Selbst finden könnte. Ein Wunder, dass die weiche, unsichere Bildhauerin Hana und er sich ineinander verlieben. Ihre Annäherung und die folgende Entfremdung, die emotionale Versteinerung von Asterios Polyp und eine sehr behutsame Aufweichung seines Panzers werden zum Zentrum dieser Geschichte.

Deutlich aufregender als die wenig überraschende Story ist die visuelle Gestaltung dieses Buches. David Mazzucchelli überträgt die Themen und Stimmungen des Geschehens ganz konsequent in Farben und Formen. Sein nüchterner Held wird im Streit zu einem mit knappen blauen Strichen skizzierten Androiden. Jede Figur hat ihre eigenen charakteristischen Schrifttypen, sogar die Form der Sprechblasen ist individualisiert. Alle Kapitel beginnen mit einer Vignette, die ein Leitmotiv des Geschehens in eindringlicher poetischer Stille vorwegnimmt.

"Asterios Polyp", das erste eigene Werk von David Mazzucchelli als Zeichner und Szenarist, ist in den USA mit Preisen nur so überschüttet worden, Kritiker haben das Buch als "ultimatives Comic-Statement" gefeiert, auch bei uns ist es schon als "Meisterwerk" ausgerufen worden. Diese Graphic Novel ist tatsächlich ungemein souverän gestaltet, was dieses Genre in der Verbindung von Bild, Text und Buchgestaltung leisten kann, das wird hier auf allerhöchstem Niveau demonstriert. Das Glück wäre aber erst perfekt, wenn "Asterios Polyp" eine überzeugendere Geschichte erzählen würde.

Besprochen von Frank Meyer

David Mazzucchelli: Asterios Polyp
Deutsch von Thomas Pletzinger
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2011
344 Seiten, 29,95 Euro