''SOS von PAMIR. Kapitän''

Von Claus Stephan Rehfeld · 21.09.2007
Die Überlebenden des Untergangs der Viermastbark PAMIR am 21.September 1957 haben sich zurückgezogen. So auch der damals 25-jährige Kochsmaat Karl-Otto Dummer, einer der sechs jungen Leute, die aus den Fluten des Atlantiks gerettet werden konnten.
Der jetzt 75jährige wohnt heute am Stadtrand von Lüdjenburg in Schleswig-Holstein. Es ist nicht weit bis nach Lübeck, wo in der St. Jakobikirche das Rettungsboot "PAMIR 2" an die Katastrophe erinnert. Karl-Otto Dummer suchte für diese Sendung diesen Ort der Erinnerung wieder auf und berichtet.

Eingebrannt

"Ich habe also nach wie vor ein-, zwei mal im Jahr meine drolligen Fünf-Minuten. Wenn mich da einer auf die PAMIR anspricht, der ... na ja, man kann so etwas nicht untern Tisch kehren, das ist eingebrannt."

Nüchterne Kurzfassung

Am 21.September 1957 sinkt das deutsche Segelschulschiff PAMIR im Atlantik. Die Viermastbark ist etwa 600 Seemeilen westsüdwestlich der Azoren in den Hurrikan "Carrie" geraten und funkt SOS.

78 Schiffe nehmen Kurs auf die angegebene Position – 35 Grad 57 Minuten nördlicher Breite 40 Grad 20 Minuten westlicher Länge. Die größte Suchaktion in der Geschichte der christlichen Seefahrt.

Zwei Tage später, gegen Abend, wird ein leckgeschlagenes Rettungsboot gesichtet. In ihm fünf Überlebende. Weitere 18 Stunden später wird ein weiteres Boot geborgen mit einem Schiffbrüchigen.

80 der 86 Mann Besatzung, darunter 51 junge Kadetten, bleiben für immer auf See.

Aufarbeitung

"Das hängt einem bis zum bitteren Ende an."

Schreckensszenen, Wortfetzen. Verzweiflung und Hoffnung mit jeder Pore aufgenommen.

"54 Stunden. Ach, 54 Stunden zu viel."

Erinnerungen können trügen. Karl-Otto Dummer zeigt auf dicke Ordner und zig Bücher, hat jahrzehntelang eigene Erinnerungen überprüft und anderer Erfahrungen recherchiert.

Dummer war Kochsmaat auf der PAMIR, gehörte nicht zur Decksmannschaft. Er war der Älteste im Rettungsboot, riss das Kommando an sich.

Die erste Reise

Hamburg, 29.Juli 1905, 15 Uhr, Stapellauf auf der Werft von Blohm und Voß. Das Schiff wird auf den Namen PAMIR getauft. Die Tageszeitungen notieren "prachtvolles Wetter", "zahlreiches Publikum", die "üblichen Zeremonien" und "lebhafte Hurrarufe".

Erbaut wurde die PAMIR im Auftrag der Reederei F. Laeisz. Die Viermastbark ist wie die PADUA, die PASSAT und die PREUSSEN einer der legendären Flying-P-Liner der renommierten Reederei mit Sitz in Hamburg.

Nach dem Untergang der PAMIR gab es immer wieder Versuche, sie als ein Unglücksschiff darzustellen. Die Viermastbark habe unter einem Unglücksstern gestanden.

Glückhaft

"Bis zum Untergang konnte man ja sagen, das ist ja eine übliche Redewendung in der Seefahrt, sie war ein glückhaftes Schiff. War sie ja eigentlich, denn sie ist ja immer mit einem blauen Auge davongekommen."

Kein Wort der Verdammnis über die PAMIR, kein Fluch über Kapitän Diebitsch, kein Klugspruch über die Gründe des Untergangs. Seefahrt ist Seefahrt und die PAMIR ein "glückhaftes Schiff" gewesen.

"Ja, Hundert Prozent."

Totenschiffe sehen anders aus. Dummer hat sie noch kennen gelernt, war vor der PAMIR zweimal schiffbrüchig. Der hat er jetzt sein Denkmal gesetzt. Jahrzehntelange Vorarbeit, ein Lebensprojekt.

"Viermastbark PAMIR – Die Geschichte eines legendären P-Liners. Geschildert von einem Überlebenden des Untergangs." Autor: Karl-Otto Dummer.

"Die Geschichte eines Schiffes mit diesem Lebenslauf - in Anführungszeichen - gibt es kein zweites."

Aus dem Logbuch

Mit ihren schnellen Salpeterreisen zur Westküste Südamerikas schreibt die PAMIR Geschichte. Als der Kunstdünger das Ende der Salpeterfahrten einläutet, lädt die Viermastbark Getreide.

Die längste Fahrt der PAMIR dauert sechs Jahre – von 1914 bis 1920. Es ist ihre zehnte Reise. Kap Horn ist gerundet, da signalisiert am 2. September 1914 ein französisches Schiff: "Kriegszustand". Die PAMIR macht im neutralen La Palma fest.

Die einzige Weltumseglung des Schiffes ist die letzte Fahrt unter neuseeländischer Flagge. Nach 363 Tagen macht die PAMIR am 1. Oktober 1948 im Hafen von Wellington fest.

Als letzter Tiefwassersegler rundet die PAMIR unter finnischer Flagge am 11. Juli 1949 Kap Horn. Während einer Wettfahrt ist sie langsamer als die PASSAT. So geht die PAMIR in die Geschichte der frachttragenden Segelschifffahrt als letzter Kap Horner ein.

Bordalltag

"Und die schönste Zeit war 100-prozentig die bis zum Ersten Weltkrieg, wenn man von einem Schiff als Mensch redet, dann war das wirklich die schönste Zeit. Obwohl das war auch eine harte Zeit, das darf man ja auch nicht vergessen."

An Deck regierte der Wind, an Bord der Kapitän, an Land der Reeder.

"Sie sind selber zur See gefahren. Kennen Sie einen Seemann, der nicht schimpft und meckert und meutert? Ich kenne keinen - motzen, motzen ..."

Knochenarbeit. Frachtraten statt Romantik. Kommandos können genauso antreiben wie der Wind.

Erste Rettung der PAMIR

1951 wird die PAMIR an eine belgische Abwrackfirma veräußert und nach Antwerpen geschleppt. Die Viermastbark aus Stahl machte nur noch Schulden. Frachttragende Segelschiffe waren schön, motorgetriebene Frachter billiger.

Der deutsche Kapitän Grubbe, 1929 als Matrose auf der PAMIR gefahren, drängt darauf, das Schiff aufzukaufen. Mit Unterstützung des Hamburger Reeders Schliewen wird die PAMIR in letzter Sekunde vor der Verschrottung gerettet.

Am 10.Juni 1951 laufen die PAMIR und die gleichfalls gerettete PASSAT in Lübeck-Travemünde ein. Die Stadt feiert die wiedergeborene Segelschifffahrt unter deutscher Flagge.

Am 15.Dezember sticht die PAMIR als frachttragendes Segelschulschiff zu einer Probefahrt in See.

Leben mit dem Schiff

"Und, ja, wenn wir dann in den ersten europäischen Hafen kamen, dann haben wir eine Straße gekauft von dem Geld. Das gab's auf der PAMIR nicht."

Dummer macht die letzten beiden Reisen der PAMIR mit. Der Kochsmaat und Proviantmeister ist bei der Mannschaft beliebt.

"Und sonst die Stimmung war phantastisch an Bord, da gibt’s gar nichts. Auch unter Diebitsch."

Der Hurrikan

Die letzte Fahrt der PAMIR. Buenos Aires. Die Stauer im Hafen streiken. Die Besatzung muss das Getreide an Bord verladen. Gerste. Es hat die höchste Fließgeschwindigkeit, kann bei Seegang am leichtesten verrutschen.

Im Ladebericht vermerkt die Schiffsleitung, die Schüttladung sei "seefest verstaut" und die Getreideschotten seien nach Vorschrift gesetzt worden. Dennoch moniert Ladungsoffizier Buschmann die Reaktion des Schiffes auf die Last. Ein Dampfer würde "so nicht auslaufen".

Am 10.August 1957 teilt die PAMIR der Reederei mit, dass sie mit 3780 Tonnen Gerste ausgelaufen ist. Kurs Heimat.

Seit Tagen warnen die Wetterstationen entlang der amerikanischen Ostküste vor einem Hurrikan.

Am 20. September kündigen zwei Bordoffiziere ihren Familien telegraphisch die Heimkehr in "lächerlichen 14 Tagen" an. Auffrischende Südwinde.

Am nächsten Morgen macht die Nachricht an Bord die Runde, dass mit einem starken Sturm gerechnet werden müsste.

Mittendrin

"Erst war Wind angesagt, dann war Sturm angesagt und dann brauchte man nichts mehr ansagen, dann war man mittendrin."

21. September 1957. Gegen 8 Uhr Bordzeit hat der Hurrikan "Carrie" die PAMIR eingeholt.

"Das waren ja bloß vier Stunden, dann war das ja alles vorbei."

Der 96 Meter lange Frachtsegler ist manövrierunfähig. Die PAMIR mit 3780 Tonnen Gerste an Bord bekommt starke Backbordseite, Wasser dringt in die Aufbauten.

"Ich schätze, als ich an Deck kam wir so 40 Grad hatten. Und die stärkere Kränkung bis 45 oder mehr, die hat man gar nicht gespürt, das hat sich eben langsam vollzogen."

Die PAMIR hat schwere Schlagseite, richtet sich nicht mehr auf. Die Getreideladung ist verrutscht. Dummer verschwindet noch einmal unter Deck, holt Brot, Schnaps und Zigaretten.

"Also kurz vor dem Kentern bin ich noch mal runter. Das habe ich ja auch im Seeamt (gesagt) und das ist bis heute in keinster Weise berücksichtigt worden, dass der Proviantraum bis zu dem Türgriff, also die Kühlräume bis zu den Türgriffen im Wasser lagen."

Das Seeamt Lübeck geht im Januar 1958 dennoch davon aus, dass "der Erhaltungszustand des Schiffskörpers bei dem Untergang" keine nachteilige Rolle gespielt habe. Hatten die Eigner, die Reeder der PAMIR-Stiftung dem Seeamt wichtige Unterlagen vorenthalten?

"Das heißt, es muss irgendwie eine Beschädigung am Schiffskörper gegeben haben auf der Seite, dass da Wasser eindringen konnte."

An Deck werden Rettungswesten angelegt. Rettungsboote können nicht mehr zu Wasser gelassen werden.

Der Untergang

Der Hurrikan "Carrie" wütet mit 130 Stundenkilometer. Tobende Gischt hüllt die Viermastbark ein, 12 bis 14 Meter hohe Wellen, schwere Brecher erschüttern den Schiffskörper.

36 Mal hat die PAMIR die Hölle von Kap Horn durchfahren, noch mag niemand an Bord an ein Unglück denken. An Deck werden noch Fotos gemacht.

Drei aufeinander folgende schwere Brecher besiegeln das Schicksal der legendären Viermastbark und ihrer Besatzung. Sie kentert und sinkt.

Monate vor der letzten Fahrt der PAMIR wies die Rederei Zerssen in einem Brief an die Stiftung PAMIR darauf hin, dass die Laderäume dringend entrostet werden müssen und das Stahldeck "sehr stark korridiert" ist.

Am gleichen Tag wies die Reederei Zerssen den Kapitän der PAMIR an, "Funkabkürzungen in Sonderfällen" zu verwenden, also in "besonderen Fällen" den Klartext zu verschleiern. So wenn Ladung übergegangen ist, bei starker Schlagseite und wenn das "Schiff leck ist".

Im Rettungsboot

"Wir sind ja am ersten Tag und in der ersten Nacht, über den Daumen gepeilt, ein Dutzend mal gekentert."

Mit dem Rettungsboot. Von 18 Mann, die in der aufgewühlten See auf das schwer beschädigte Rettungsboot zu schwimmen, erreichen nur zehn das Boot. Kurz darauf sehen sie Schiffe, werden aber nicht entdeckt.

Ein Flugzeug fotografiert das leck geschlagene Boot.

"Ich habe das Foto. Und das ist eindeutig unser Boot: der Tag stimmt, die Uhrzeit stimmt und man erkennt den Mast. Aber weil ringsum alles weiß ist und ja nur unsere Köpfe rausguckten, hat man das als Trümmer angesehen und nicht als Rettungsboot."

Die Stimmung an Bord schwankt wie das kaputte Rettungsboot in der See.

Die Nachricht

"Deutsches Segelschulschiff funkt SOS" – "Schiffskatastrophe auf dem Atlantik?" – "Die PAMIR droht zu sinken". In der Heimat sorgen die Schlagzeilen der Sonntagszeitungen für große Unruhe.

Im Atlantik läuft die größte Rettungsaktion in der Geschichte der christlichen Seefahrt. Schiffe aus 13 Ländern beteiligen sich.

Doch die PAMIR liegt längst auf dem Grund des Meeres. 35 Grad 57 Minuten Nord, 40 Grad 20 Minuten West.

Die Kräfte schwinden

"Mit jedem der starb, sank meine Chance, gerettet zu werden."

Die das Rettungsboot erreicht haben, sie frieren und drohen zu verdursten – im Atlantik. Das Salzwasser steht ihnen buchstäblich bis zum Hals.

Mit den Stunden schwinden die Kräfte, Kameraden gehen über Bord.

"Und wenn wir noch ne Nacht länger drin gewesen wären, hätten die keinen rausgeholt. Wäre ich auch weggewesen. Ich hätte nicht so lange ausgehalten wie der Haselbach ausgehalten hat."

Rettungsboot PAMIR 2

Nach 54 Stunden werden fünf Überlebende aus dem kaputten Rettungsboot Nummer 5 geborgen. 18 Stunden später wird der Leichtmatrose Günther Haselbach im überfluteten Rettungsboot PAMIR 2 von einem Schiff entdeckt. In diesen 18 Stunden gehen noch zehn Mann still über die Seite in die See.

"Was hat er gesagt? Als wir gerettet wurden, da waren in seinem Boot noch zehn Mann am Leben. Also wenn sie ihn gefunden hätten, dann hätten zehn Mann überlebt. Und die waren fast 20 Mann in dem Boot, nich."

Karl-Otto Dummer steht in der Sankt Jakobi Kirche zu Lübeck vor dem PAMIR-Rettungsboot Nummer 2. Dem, in dem Günther Haselbach als einziger überlebte. 72 Stunden Grauen.

"Deshalb sage ich ja, der Günther Haselbach, wenn der von der Mentalität nicht so ein sturer Bock wäre, dann hätte er auch nicht als Einziger überlebt, nicht. Der war ja noch eine ganze Nacht länger im Boot. Uns haben sie abends rausgeholt und ihn am nächsten Mittag rausgeholt, nicht. Ja, das ist schon ..."

PAMIR gelöscht

Am 17.Mai 1958 wurde die Viermastbark PAMIR aus dem Schiffsregister Lübeck gelöscht.

In der alten Lübecker Seefahrerkirche St. Jakobi liegt das zerbrochene Rettungsboot PAMIR 2, in dem der Leichtmatrose Günther Haselbach überlebte.

Das Rettungsboot PAMIR 5 der fünf Überlebenden um Karl-Otto Dummer blieb bis heute verschwunden.

Die Tragödie der PAMIR leitet das Ende frachttragender Großsegler in Deutschland ein.

Die letzten Eigner und Reeder der PAMIR wurden nicht zur Verantwortung gezogen. Jetzt aufgetauchte Dokumente belasten Eigner und Reeder der PAMIR schwer.

Alle Kadetten wurden, was sie werden wollten: Kapitän zur See.

Ein Teil der Aufnahmen dieser Sendung wurde in der Seefahrerkirche St. Jakobi zu Lübeck und an Bord der Viermastbark PASSAT in Lübeck-Travemünde gemacht.

Karl-Otto Dummer, der unweit von Lübeck lebt, war nach Jahren das erste mal wieder dort.

"Das hängt einem bis zum bitteren Ende an."
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