Songs als weltanschauliche Attacken

Von Jutta Petermann · 21.09.2011
Heinz Ratz kann nicht einfach nur mit seiner Band "Strom und Wasser" auf Tour gehen oder seine Lesungen halten. Zurzeit besucht er parallel zu den Auftritten in ganz Deutschland Flüchtlingswohnheime. Den moralischen Triathlon nennt er das.
Ein Fleckchen Anarchie: "Die Bühne ist die Freiheit das zu sagen, was man sich sonst nicht sagen traut. Hier kanns geschehen, dass ein leerer Magen, nen vollen in die Pfanne haut. Lass mich ein Lied nur für die Bühne singen, die Bühne ist ein Fleckchen Anarchie. Die Bühne ist vor allen Dingen die Armbrust der Poesie.

"Ich fand immer schlimm als Kind, dass man nie ernst genommen wurde, man hatte keine Möglichkeit wirklich zu helfen. Deshalb habe ich den Schluss gezogen, in dem Moment, in dem Leute kamen, um mir zuzuhören, als ich auf der Bühne stand, auch für die mitzusprechen, die gesellschaftlich keine Stimme haben."

Solchen Menschen begegnet Heinz Ratz früh, vor allem im Ausland, wo die Familie viele Jahre lebt. Der Vater hat ein cholerisches Naturell und überwirft sich regelmäßig mit seinen Chefs. Da er Arzt ist, findet er aber immer neue Anstellungen. Für Heinz und seine jüngere Schwester gehört das Kofferpacken deshalb zur Kindheit. Sie leben in Peru, Saudi-Arabien, Schottland, in der französischen Schweiz und in Argentinien.

"Mit 15 war ich in Buenos Aires in einem Heim für Straßenkinder, hab dort viel die Nachbeben der Militärjunta mitgekriegt, die haben früher diese grünen Fords gefahren die Geheimpolizei, da hab ich mal gesehen, dass als ich da lang bin, noch so ein Arm raus hing aus dem Auto und am Boden schliff und man den Arm noch rein gezogen hat.

Ich hab viel mitgekriegt in Peru auch, da hab ich auch gesehen, wie einer erschossen wurde. In Saudi-Arabien haben sie zwei Leute ausgepeitscht, die im Ramadan was getrunken haben, also die Fußsohlen gepeitscht. Das sind so Sachen, die ich früh gesehen habe, das kriegt so ein Kind in der BRD in der Regel nicht so mit."

Kein Wunder also, dass der heute 43-Jährige nicht einfach nur über die Liebe singen mag. Zudem: Der Vater hat politisch eine Deutsch-nationale
Gesinnung, trotzdem heiratet er eine peruanische Indianerin. Eine Mischung, die nicht gut gehen konnte, sagt Heinz Ratz, der 1968 in Bonn geboren wurde, wo sich die Botschaftsangestellte Perus und der deutsche Medizinstudent kennenlernten.

Die mendelschen Gesetze haben bei Heinz Ratz übrigens nicht funktioniert. Er ist groß, hat ein offenes Gesicht, blaue Augen, glatte, haselnussbraune, etwas zerzauste Haare. Von seiner indianischen Mutter hat er allenfalls die leicht nach unten gezogenen Augenlider geerbt.

"… und das Herz, aber das kann man nicht sehen (lacht)."

Seit einigen Jahren lebt Heinz Ratz im gänzlich unexotischen Kiel. Wegen seiner zwei Kinder, die sechs Monate im Jahr, wenn er nicht tourt, bei ihm und seiner neuen Lebensgefährtin wohnen. Möwen, Meer und Schiffe das ist schön für sie, sagt er und außerdem sei das so weit oben, fast schon nicht mehr Deutschland. Aber Kiel ist für ihn auch nur ein Standort.

"… es gibt nen schönen Satz von Georg Danzer 'Heimat ist, wo meine Kinder schlafen'."

Familie ist, trotz oder wegen der eigenen Erlebnisse, ein wichtiges Thema. Seine Mutter öffnet ihm die Tür zur Sprache, sein wichtigstes Ausdrucksmittel. Er erbt ihr lateinamerikanisches Faible für Märchenwelten und fantastische Geschichten. Jahrelang schreibt er nur für sich, heute verarbeitet er seine Texte zu Hörbüchern und gibt Lesungen.

Lesungssausschnitt: "Der Mann, der die Freiheitsstatue in die Erdumlaufbahn schoss, hieß Müller und war Deutscher. Natürlich was sonst? Nur Deutsche können so ideologisch sein und so idiotisch und so ideoloidiotisch. Sich die blöde Statue zwischen Satelliten- und Atommüll vorzustellen, sinnlos um die Erde kreisend, eine Witzfigur in Seitenlage, dieses verlogene Symbol nicht nur entlarv, nicht nur dem Gelächter der Öffentlichkeit preisgegeben, sondern auch gleich aus der Welt befördert. Die Erde ohne Freiheitssymbol, das war zumindest ehrlich."

Aber nicht nur eine überbordende Fantasie gehört zur Natur von Heinz Ratz, sondern auch eine gewisse Renitenz, gibt er grinsend zu.

"Ich bin ja schon aus dem Kindergarten rausgeflogen. Ich war in einem katholischen Kindergarten, da war das so, dass man gefragt wurde, wer Maria ist oder Gott ist und ich hab dann gesagt, das sei eine sehr dicke Frau gewesen, dann sei ein Wolf gekommen und hätte sie in den Arsch gebissen."

In der Schule geht das so weiter, 16 Mal fliegt er aus einer Lehranstalt, die Lehrer kommen mit dem Jungen, der soviel mehr erlebt hat als seine Altersgenossen, einfach nicht zurecht. Was bleibt sind seine Texte, erst später kommt die Musik. Das Bassspielen bringt er sich selbst bei. Obwohl er das Publikum bei seinen Konzerten mit launigen Anekdoten aus seinem Leben unterhält, geraten ihm seine Songs oft zu weltanschaulichen Attacken.

Dabei möchte Heinz Ratz sein Schreiben und seine Musik gerne wieder von dem politischen Ballast befreien. Aber zuerst muss er doch noch mal die Öffentlichkeit aufrütteln. Er plant ein Musical mit und über Flüchtlinge in Deutschland. 80 Flüchtlingsheime hat er sich in den letzten Monaten angesehen. Eine für ihn erschütternde Erfahrung.

"Wir haben zwei Heime gesehen, wo ich sagen würde, da bemühen sich die Heimleiter, oft gegen den Widerstand der Behörden, für die Flüchtlinge ein menschenwürdiges Umfeld zu schaffen. Die anderen waren eine Katastrophe, bis hin zu Möhlau, zum Beispiel, wo die Heizung nicht ging, den Winter über, wo alles voller Kakerlaken wimmelte, wo Fenster kaputt waren, irgendwo am Rande der Stadt, ne ehemalige Kaserne alles kaputt."

Lied von der sterbenden Erde: "Das Starke wird niemals das Schwache schonen. Das Große wird das Kleine niemals schützen. Das Geld wird immer nur den Reichen nützen."