Sommerhits 2017

Vier Silben für die Welt

Ein Screenshot aus dem Video zu Despacito von Luis Fonsi und Daddy Yankee (Bild: Despacito / Luis Fonsi & Daddy Yankee / YouTube)
© Despacito / Luis Fonsi & Daddy Yankee / YouTube
Von Christoph Möller · 27.07.2017
Es gibt Millionen Songs auf der Welt, doch im Radio läuft: "Despacito". Der weltweit populäre Song von Luis Fonsi & Daddy Yankee gilt als offizieller Sommerhit, wie die dafür zuständige GfK feststellt, denn: Er ist tanzbar, hat eine eingängige Melodie und verbreitet Urlaubsstimmung.
Vier Silben bestimmen den Musiksommer 2017: Des-pa-ci-to.
"Despacito". Luis Fonsi & Daddy Yankee. Im Video tanzen sonnenbebrillte Macho-Männer durch mediterrane Landschaften, alle sind gut drauf. Fast fünf Milliarden Mal wurde "Despacito" bei den Streamingdiensten angehört. So häufig wie kein anderer Song bislang.
Ein Sommerhit im Superlativ. Es gibt unzählige Coverversionen. Auch zweifelhafte. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro hat "Despacito" zur Polit-Hymne umschreiben lassen, um für seine umstrittene Verfassungsreform zu werben. Dann doch lieber auf Bayerisch.
"Despacito" ist der deutsche Sommerhit 2017. Sagt zumindest GfK Entertainment, die Firma, die die Charts ermittelt. Der Song sei tanzbar, habe eine eingängige Melodie und verbreite Urlaubsstimmung. Aber das gilt ja auch für Tausend andere Songs. Volkmar Kramarz, Musikwissenschaftler an der Uni Bonn:
"Ja, vor allem, wenn man noch weiterliest und dann dabei auch sieht, dass es angeblich was damit zu tun hat, dass der Künstler bisher noch nicht bekannt war. Ich glaube, das ist ein deskriptiver Parameter, der so sicher nicht zu verifizieren ist, wie wir Wissenschaftler sagen, ich glaube, das ist ziemlicher Unsinn."

"Natürlich sollte ein Sommerhit gute Stimmung verbreiten"

Kramarz forscht seit Jahren zu Hits. Aber was soll das denn überhaupt sein? Ein Sommerhit?
"Also, natürlich sollte er gute Stimmung verbreiten, natürlich sollte er irgendwie perkussiv sein, wir sagen: einen Off-Beat haben, also so ein bisschen Reggae, karibische Stimmung verbreiten, gelegentlich, gerade für den Sommer wirkt Spanisch als Sprache gut."
Sommer, Sonne, Strand. Diese Bilder lässt ein Sommerhit entstehen. Offenbar helfen Lyrics auf Spanisch. Und Carlos Santana.
Der HipHop-Produzent DJ Khaled und Rihanna holen den König des Latin Rocks, Carlos Santana, ins Jahr 2017. Und covern dessen Hit "Maria Maria" für ihren eigentlich fast schon etwas zu düsteren Sommerhit "Wild Thoughts".
Grell leuchtet die Sonne auf dem Cover von "Funk Wav Bounces Vol. 1", dem Sommeralbum von Calvin Harris, dem bestbezahlten DJ der Welt. Weniger Latin Pop, dafür Off-Beat, Pharrell Williams und Katy Perry.
Sommerhits. Sie sind eher gemächlich, einfacher Beat, eingängige Melodie. Man taucht in sie hinein wie in den Pool seines Ferien-Ressorts. Aber: diese Muster sind nie ganz gleich. Und verändern sich mit der Zeit. Sagt Musikforscher Volkmar Kramarz:
"Wir können das ja schon längst historisch betrachten. Gehen wir mal zurück in die Sommerhits, irgendwo Mungo Jerry (singt 'in the summertime') ..."
"Das war zum Beispiel eine Zeit, in der der Blues ganz vorne war. Und die haben damals ein Zwölf-Takte-Bluesschema genommen und haben das aber sehr witzig, sehr pfiffig präsentiert. Die haben damals in so eine Weinflasche hinein gepustet, um so den Rhythmus dort zu machen, alles so Effekte, die man so mit Spaß auf dem Zeltplatz auch irgendwie erreichen könnte oder auch erreicht hat. Und all solche Assoziationen kommen da rein."
Spaß auf dem Zeltplatz. Dieses Niveau hat auch ein, sagen wir, ungewöhnlicher deutschsprachiger Sommerhit, oder besser: Internet-Sommerhit, von, Achtung, Medizin-Studierenden aus Mainz.
"Medicopter Mainz 17" heißt dieser Bierzelt-Kracher, in Anlehnung an die RTL-Rettungshubschrauber-Serie "Medicopter 117". Entstanden für die Medimeisterschaften, eine Art Spring Break Festival für gelangweilte Medizin-Studierende. Bei YouTube fast 900.000 Abrufe.
Sommerhits sind wenig innovativ. Denn sie sollen milliardenfach gehört werden. Dafür folgen sie bestimmten kompositorischen Mustern. Der Sound dieses Jahr – wieder mal: Latin-Pop, Reggaeton, irgendwie karibisch. Es bleibt ungenau. Und nervt auch manchmal. Die gute Laune von "Despacito" klingt so kalkuliert, fast möchte man gähnen.
Dann doch lieber Mura Masa. Der hat ein Album voller Sommerhits veröffentlicht, die unprätentiös produziert sind und nicht Milliarden erreichen wollen, sondern jeden einzelnen Hörer.
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