Solidargemeinschaften ohne Rechtsanspruch

Eine Alternative zur Krankenkasse?

Symbolbild: Tablettenblister und Geldscheine
Wenn es um die Behandlung von Krankheiten geht, spielt Geld eine Rolle. Solidargemeinschaften versuchen, Alternativen zu Krankenkassen zu bieten. © imago/Christian Ohde
Cornelia Wiethaler im Gespräch mit Kolja Unger · 09.06.2018
Rund 20.000 Menschen in Deutschland sind anstatt in einer Krankenkasse über eine Solidargemeinschaft wie Solidago oder Artabana versichert. Die Vereine basieren auf dem Prinzip der Solidarität und wollen ihren Mitgliedern die Krankenkasse ersetzen. Funktioniert das?
Deutschlandfunk Kultur: Heute geht es um Alternativen zur Krankenkasse. Darüber spreche ich mit der Politologin Cornelia Wiethaler, die weder gesetzlich noch privat versichert ist, sondern wie 20.000 andere Menschen in Deutschland über eine Solidargemeinschaft. Und diese hat sie sogar 2013 selbst mit gegründet. Es ist die Solidago.
Cornelia Wiethaler: Guten Tag.
Deutschlandfunk Kultur: Die meisten von unseren Hörerinnen und Hörern dürften von Solidargemeinschaften wie der Solidago noch nicht gehört haben. Was verbirgt sich eigentlich genau dahinter?
Cornelia Wiethaler: Im Grunde verbirgt sich dahinter das, was wir gemeinhin als Nachbarschaftshilfe bezeichnen. Also, Menschen, die sich kennen, die ähnliche Risiken haben, schließen sich zusammen und sichern sich ab. Diese Solidargemeinschaften sind in ihrer berufsständischen Kultur, in diesen Wurzeln älter als die gesetzlichen und sowieso als die privaten Krankenkassen.
Deutschlandfunk Kultur: Aber ist es dann trotzdem vergleichbar mit einer Krankenkasse?
Cornelia Wiethaler: Ja, also, bevor das PKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz mit der Einführung der Versicherungspflicht kam, 2007 und 2009, gab es ein ganz normales friedliches Nebeneinander. Es gab eben Menschen, die sich zusammengeschlossen haben – Polizisten oder Justizangestellte, auch sehr viele Pfarrer, und dann eben wenige Freie, die versucht haben, besonders auf ihre Gesundheit zu achten und diese Gelder auch anders lenken, also zum Beispiel für alternative Heilweisen oder Naturheilverfahren einsetzen wollten. Daraus ist dann auch die Solidago entstanden.
Deutschlandfunk Kultur: Ein Verein?
Cornelia Wiethaler: Ja, ein eingetragener Verein im Dachverband mit n.e.V., also nicht eingetragenen Vereinen, als kleinen, lokalen Strukturen. Es gibt kleine Gruppen vor Ort, die sind das Herzstück. Dort treffen sich eben die Menschen. Das Besondere ist auch, dass die Menschen sich persönlich kennen, die abgesichert sind und gemeinsam ihr Konto verwalten und sehen, was läuft, und auch ganz offen über Krankheit sprechen.

Krankenkasse hätte Therapie wohl nicht bezahlt

Deutschlandfunk Kultur: Wie die Solidago genau funktioniert, darauf kommen wir gleich noch zu sprechen. Erstmal würde mich aber noch interessieren, wie Sie dazu kamen, sich mit so einer alternativen zur gesetzlichen und privaten Krankenversicherung zu beschäftigen. Wie sind Sie dazu gekommen?
Cornelia Wiethaler: Ich war selbständig, da ging's mir ganz gut. Ich war aber auch so ein klassischer Armutsfall: alleinerziehende Mutter mit drei Kindern ohne Beruf. Und dann war ich in meiner Selbständigkeit an einem Punkt, wo mir ein großes Projekt weggebrochen ist. Dann war ich richtig pleite. Kennen ja viele. Dann kann man halt die Krankenversicherung nicht bezahlen.
Und dann war ich eine Weile gar nicht versichert mit meinen Kindern. Und das ging auch ganz gut. Ich habe dann auch gesehen, dass Arztrechnungen gar nicht so teuer sind, wenn man sie direkt bezahlt. Und dann habe ich von einer anderen Solidargemeinschaft, der Artabana, gehört. Die haben mich dann aufgenommen. Das war auch bezahlbarer. Dort habe ich dann sehr viel Unterstützung bekommen. Das hat mir sehr geholfen und das hat mich auch überzeugt, da ich selber gerade familientherapeutische Unterstützung bekommen habe, die ich – glaube ich – in der Krankenkasse so gar nicht bekommen hätte.
Porträtfoto der Politikwissenschaftlerin Cornelia Wiethaler, einer von 20.000 über Solidarvereine krankversicherten Deutschen
Die Politikwissenschaftlerin Cornelia Wiethaler, eine von 20.000 über Solidarvereine krankversicherten Deutschen© Foto: privat
Deutschlandfunk Kultur: Wie sah die Unterstützung aus? Wurde die familientherapeutische Unterstützung dann über die Artabama geleistet, oder?
Cornelia Wiethaler: Ja. Also, ich habe mir selber die Therapeuten, also gute Therapeuten ausgesucht, zum Beispiel von der Caritas oder auch freie Therapeuten. Und die Rechnungen wurden tatsächlich, das waren immerhin 2.000 Euro, damals bezahlt von der Gemeinschaft.

Schwarz-Gelb blockierte das Anerkennungsverfahren

Deutschlandfunk Kultur: Dann sind Sie aber doch noch dazu gekommen, dass Sie selber eine dieser Solidargemeinschaften, die Solidago, gegründet haben. Wie kam das denn?
Cornelia Wiethaler: Mit der Versicherungspflicht 2007 für die gesetzlich Versicherten und 2009 für die privat Versicherten haben wir uns auf diese gesetzliche Grundlage der "anderweitigen Absicherung" berufen. Was ist aber eine anderweitige Absicherung? Das war eben nicht definiert. Die grüne Gesundheitsabgeordnete damals, Biggi Bender, hat versichert: Ja, ich habe nicht die Absicht, die freien Solidargemeinschaften platt zu machen mit dem Gesetz, sondern sie sollten weiter existieren können, eben auf dieser gesetzlichen Grundlage.
Aber dann hatten wir 2009 den Regierungswechsel, neun Jahre SPD zu FDP. Zum ersten Mal war die FDP im Gesundheitsministerium und dann ist dieses Anerkennungsverfahren für die freien Solidargemeinschaften, was auch der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen begonnen hatte, das ist dann einfach blockiert worden. Das ging nicht weiter. Es hätte die Zustimmung des Spitzenverbandes der Privaten Krankenversicherungen gebraucht. Und die ist nicht gekommen. Seitdem gibt es dann auch diese Probleme.
Deutschlandfunk Kultur: Sie waren in der Artabana und es gab Probleme durch die Einführung der Versicherungspflicht. Und dann haben Sie sich aber entschlossen, noch eine andere Solidargemeinschaft zu gründen. – Das verstehe ich erstmal nicht.
Cornelia Wiethaler: Ja. Wir haben dann die Statuten der Artabana, die sehr, sehr freiheitlich waren – im Grunde stand da drin, wir zahlen, wenn wir Lust haben, in der Praxis haben die immer gezahlt, also eine sehr gute Zahlungskultur, aber die Satzung war anders. Und dann gab es auch Gerichtsverfahren. Die Richter haben das moniert und haben sehr hilfreich unterstützend in die Urteile reingeschrieben, was die Mängel sind in den Statuten dieser Artabana. Ich habe dann den damaligen Vorstand unterstützt bei der Reform dieser Statuten und habe das über ein Jahr lang mit ausgearbeitet in einem großen basisdemokratischen Prozess mit zweihundert Leuten, die sich beteiligt haben.
Dann ist aber diese Reform nicht durchgegangen aufgrund des hohen Quorums. Also, wir hatten dort Einstimmigkeitsregeln oder 75 Prozent Zustimmung hätten wir gebraucht. Enthaltungen galten als Nein-Stimmen. Und unter diesem hohen Druck sind wir mit dieser neuen Satzung nicht durchgekommen. Und alle oder viele, die da mitgearbeitet haben, haben dann eben die neue Solidago gegründet.

Alle Leistungen der gesetzlichen Kassen werden gezahlt

Deutschlandfunk Kultur: Jetzt würde mich nochmal der Unterschied, Ihre Abgrenzung zur gesetzlichen Krankenversicherung auf der einen Seite und der privaten Krankenversicherung auf der anderen Seite interessieren. Wo verorten Sie sich in diesem Spektrum unseres Gesundheitssystems?
Cornelia Wiethaler: Wir arbeiten auf der Basis des Solidarprinzips, genauso wie die gesetzlichen Krankenkassen. Wir zahlen auch alle Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen. Da gibt's keine Diskussion. Es gibt natürlich schon mal Diskussionen, aber irgendwie gibt es keine Probleme. Das Solidarprinzip wird aber ganz anders gelebt.
Dadurch, dass wir kleine Gruppen haben, ist die gefühlte, dieses Miteinander, das ist eine ganz andere Qualität von Solidarität. Wenn man sich gegenübersitzt, man kennt sich, dann redet man. Man gewöhnt sich auch, über Krankheiten zu sprechen, verliert die Angst vor Krankheiten. Wir haben viel mehr Freiheiten in der Therapiewahl. Also, wir haben keinen festgelegten Leistungskatalog. Und da sind wir auch beim Rechtsanspruch: Wir haben keinen Rechtsanspruch auf bestimmte Leistungen, weil ein Leistungskatalog, so vielfältig, so unterschiedlich, wie die Menschen sind, so kann man nicht so leicht einen Katalog finden, der für alle gleich gut geht. Das funktioniert nicht.
Das ist unsere Überzeugung. Deswegen haben wir diesen Leistungskatalog nicht und den Rechtsanspruch nicht.

Kein Rechtsanspruch auf die Leistungen

Deutschlandfunk Kultur: Gut, das hört sich erstmal ein bisschen riskant an. Es gibt keinen Leistungskatalog. Es gibt keinen Rechtsanspruch. Ich wüsste nicht, ob ich mich da in der Solidago versichern würde. Das klingt erstmal ein bisschen riskant, finde ich.
Cornelia Wiethaler: Also, wir gewähren uns die Hilfe. Wir haben Anspruch auf gegenseitige Hilfe, also helfen uns immer. Und meistens liegen die Leistungen eben in der Praxis. Der faktische Anspruch ist viel höher als der Rechtsanspruch, ist viel wertvoller.
Deutschlandfunk Kultur: Meistens?
Cornelia Wiethaler: Weil die Menschen… Ja, es gibt natürlich auch… Neulich wollte mal jemand irgendwie so einen Mixer kaufen. Das ist dann abgelehnt worden. Oder Zahnbürstenabrechnung oder so was, das wird natürlich schon mal abgelehnt. Und bei den ganz teuren Zahnimplantaten macht man dann Mischsachen, wo man sagt, okay, Eigenbeteiligung plus Hilfe von der Gruppe, plus Kredit zinslos. Und dann wird das so besprochen miteinander. Aber die wichtigen Dinge werden alle bezahlt.
Deutschlandfunk Kultur: Okay, das klingt erstmal ein bisschen unbürokratischer.
Cornelia Wiethaler: Ja, so ist es.
Deutschlandfunk Kultur: Gut. Sie haben 260 Mitglieder round about. Was sind das denn für Menschen? Was verbindet die Mitglieder der Solidago? Wie kann ich mir die vorstellen? Kommen die aus demselben Milieu?
Cornelia Wiethaler: Nein, es sind ganz unterschiedliche, von arm bis reich, von gebildet bis weniger gebildet, von verschiedensten Berufsgruppen. Relativ viele Gesundheitsberufe sind vertreten, die also einfach nicht zurechtkommen, die das Gesundheitssystem sehr stark auch kritisieren. Wir haben auch Kritiker natürlich drin.
Deutschlandfunk Kultur: Also Menschen, die selber im Gesundheitssektor arbeiten?
Cornelia Wiethaler: Ja.

"Es wird niemand ausgeschlossen"

Deutschlandfunk Kultur: Sonst kommt man wahrscheinlich gar nicht thematisch dazu. Okay.
Cornelia Wiethaler: Ja. Oder Freunde hört man oft. Manche suchen auch nach anderweitiger Absicherung. Einer in Frankfurt hat mal eine FAZ aus dem Papierkorb an einer Bushaltestelle gezogen und hat einen Artikel über uns gelesen und wurde Mitglied.
Deutschlandfunk Kultur: Und gibt es Auflagen, wen die Solidago aufnimmt und wen nicht?
Cornelia Wiethaler: Nein. Es wird niemand ausgeschlossen, aber man muss, wenn man aufgenommen werden will, Mitglied einer kleinen lokalen Gruppe werden. Es gibt ja in ganz Deutschland verschiedene Gruppen. Und da geht man hin, trifft sich dreimal mit denen, lernt die Menschen kennen. Und dann kann man entscheiden und die Gruppe kann entscheiden. Passen wir zusammen? Wollen wir das zusammen machen oder nicht? Man muss sich ein bisschen wohlfühlen. Weil, wenn man da nicht gerne hingeht, wenn man die Leute alle dumm findet oder blöd oder so, dann macht das keinen Sinn. Also, man muss sich irgendwie schon, man muss da gerne hingehen, weil, man trifft sich jeden Monat.
Deutschlandfunk Kultur: Ja. Aber ich stell mir das trotzdem ein bisschen elitär vor, wenn da eine Gruppe, nicht irgendwelche Statuten, sondern wirklich eine Gruppe persönlich entscheidet, wer jetzt dazukommen darf oder nicht.
Cornelia Wiethaler: Das ist natürlich manchmal auch eine unangenehme Situation, aber wie soll man es sonst machen? Also, wir haben da keine bessere Methode dafür gefunden. Es ist manchmal unangenehm. Manche Gruppen machen es sehr gut. Das ist ganz locker. Die gehen auch selber erstmal in Vorleistung, indem die selber von sich erzählen. Das ist eigentlich der gute Weg. Aber klar, manchmal kommt es auf die Situation an, wo sich Menschen dann abgestoßen fühlen oder halt durchleuchtet oder…

Der Beitrag liegt bei zehn Prozent

Deutschlandfunk Kultur: Wir kommen später auch nochmal ein bisschen darauf, wie genau diese Gruppen arbeiten. Ich wollte jetzt nochmal auf einen ganz entscheidenden Punkt zu sprechen kommen, nämlich wie die Beiträge sich ermitteln bei der Solidago.
Cornelia Wiethaler: Also, prozentual vom Einkommen, also zehn Prozent. Der Mindestbeitrag liegt bei 120,00 Euro. Es gibt Nachlass manchmal für Studenten auf Anfrage. Und der Höchstbeitrag liegt bei 650,00 Euro zurzeit.
Deutschlandfunk Kultur: Also, gibt's da auch dann eine Beitragsbemessungsgrenze?
Cornelia Wiethaler: Ja also, wir haben uns einfach an dem orientiert, was bei der gesetzlichen Krankenkasse realisiert wird. Das ist uns auch empfohlen worden, weil wir nicht Konkurrenz oder es zu uninteressant für Besserverdienende machen wollen. Wir haben aber nicht viele, die diesen Höchstbeitrag bezahlen. Meistens sind es zwei oder drei.
Deutschlandfunk Kultur: Und wie groß ist dann genau der Beitrag?
Cornelia Wiethaler: Zehn Prozent. Wer 2.000,00 verdient, zahlt 200,00, wer 3.000,00 verdient, zahlt 300,00, und wer eben mehr, wer 6.000,00 verdient, zahlt eben 600,00 Euro.

Einkommen aus Vermögen und Kapital einbeziehen

Deutschlandfunk Kultur: Und das ist dann auch unabhängig vom Alter oder Gesundheitszustand?
Cornelia Wiethaler: Ja. Wir denken darüber nach und haben das auch schon begonnen, dass wir Vermögen mit einbeziehen. Also, wenn ältere Menschen, zum Beispiel im Alter von sechzig, siebzig im Rentenalter zu uns kommen, die aus einer privaten Kasse raus können, ihre Altersrücklagen nicht mitnehmen und bekommen dann hier nach zwei Jahren oder nach einem Jahr Krebs.
So einen Fall hatten wir. Das war ein Arzt. Der dachte, er bleibt immer gesund, und bekam eben Krebs. Der hat sich dann mit seinem Vermögen beteiligt. Das heißt, er hat uns in seinem Grundbuch eingetragen und die Gemeinschaft hat dann ein Erbe bekommen, einen Teil bekommen, wodurch dann dieser Kostenausgleich stattgefunden hat.
Und das ist noch nicht verankert in den Statuten oder so, aber daran arbeiten wir, an der Frage, wie man Vermögen mit einbringen kann in diese Gesundheitsabsicherung, damit nicht die jetzigen, noch gut verdienenden geburtenstarken Jahrgänge zahlen für die wenigen älteren Menschen, die es jetzt im Moment gibt, die überwiegend aber Vermögen haben, aber oft nicht mehr Einkommen generieren können, damit die auch Mitglied werden können.
Also, solche Lösungen braucht man. Ich denke, die brauchen wir auch im Gesundheitssystem, dass wir die Einkommen aus Vermögen, aus Kapital mit in die Absicherung, Gesundheitsabsicherung, überhaupt Altersabsicherung einbeziehen.
Deutschlandfunk Kultur: Kommen wir von den Beiträgen zu dem, was man dafür kriegt. – Auf welche Leistungen hat man denn Anspruch, wenn man bei der Solidago versichert ist?
Cornelia Wiethaler: Wir haben ja eben keinen Rechtsanspruch, sondern den Anspruch dem Grunde nach. Das heißt, wenn ich eine Leistung brauche, weil ich krank bin, bekomme ich sie.
Deutschlandfunk Kultur: Das ist egal, was es ist?
Cornelia Wiethaler: Ja, es muss eben schon plausibel sein.

Treuhänder verwalten das Solidarvermögen

Deutschlandfunk Kultur: Es muss plausibel sein. Wie beantragt man die denn?
Cornelia Wiethaler: Bis sechzig Prozent des Beitrages, meines eigenen Beitrages pro Jahr, da stelle ich einfach eine Rechnung mit den Originalbelegen an unseren Kassenwart. Der Kassenwart zahlt das dann aus. Wenn es über sechzig Prozent hinaus geht, aber sich im kleineren Bereich noch beläuft, dann rufe ich die Treuhänder an oder schreibe denen eine Email. Es gibt also Treuhänder, die für die mittleren Sachen zuständig sind, also für das Solidarvermögen der Gruppe.
Deutschlandfunk Kultur: "Mittlere Sachen", was kann ich mir da genau als Patient drunter vorstellen?
Cornelia Wiethaler: Wenn wir tausend Euro zahlen im Jahr, dann habe ich 600 Euro im eigenen Fond, 200 Euro im Gruppenfond und nochmal 200 Euro gehen auf die Bundesebene oder in die Region, also in die höhere Ebene, die dritte Ebene. Und so werden dann auch die Größenordnungen der Krankheitskosten eingeordnet.
Also, wenn ich jetzt zum Beispiel eine 300-Euro Arztrechnung habe, dann zahle ich das aus meinem eigenen Fond. Wenn ich eine mittlere Zahnsache von 3.000 Euro habe, frage ich meine Gruppe, die Treuhand der Gruppe. Dann wird das aus diesem Solidarfond der Gruppe bezahlt. Und bei 30.000 – Krebs – oder 55.000 - 100.000 so was, das geht dann an die Bundestreuhänder und das wird dann bundesweit finanziert oder eben über eine Region, je nach dem.
Deutschlandfunk Kultur: Was heißt, das geht dann an die Treuhänder? Dürfen die dann darüber entscheiden?
Cornelia Wiethaler: Ja.

"Wir können alles bezahlen, was die Menschen brauchen"

Deutschlandfunk Kultur: Nach welchen Prinzipien entscheiden die?
Cornelia Wiethaler: Also, wir haben eine Treuhänderrichtlinie. Danach entscheiden die. Die erfordert, dass die Menschen prüfen, dass das eben notwendige Ausgaben sind, dass das nicht irgendwie Turnschuhe sind oder ein Urlaub, ein Wellness-Urlaub statt einem Heilaufenthalt und solche Sachen, also, dass es wirklich… Gesundheitsleistungen müssen es sein. Und die können natürlich auch mit dem Mitglied sprechen. Die geben dann den Auftrag an den Kassenwart, also praktisch diese mittlere Instanz.
Deutschlandfunk Kultur: Ist denn da schon mal was abgelehnt worden von den Leistungen, die da beantragt wurden, entweder auf der Gruppenebene oder auf der Bundesebene von den Treuhändern?
Cornelia Wiethaler: Also, diese Küchenmaschine, die Zahnbürsten und bei Zahnersatz sind auch schon volle Kostenübernahme abgelehnt worden. Bzw. die wurde gar nicht erst beantragt, sondern da weiß man von vornherein, da einigt man sich auf was in der Mitte. Das wird also eine Gemeinschaftsfinanzierung, wo sich jeder selber mitbeteiligt. Und da diskutiert man dann eher drüber. Schwerwiegende Dinge sind meines Wissens noch nicht abgelehnt worden. Nein. Die Kosten, die anlaufen, sind auch nicht das Problem. Wir können die leisten. Wir haben auch gute Rücklagen. Wir können alles bezahlen, was die Menschen brauchen.
Und es ist ja interessant, dass, wenn wir die Freiheit haben, selber zu wählen, dann suchen wir uns nicht unbedingt das Teuerste aus.
Deutschlandfunk Kultur: Ich bin da tatsächlich jetzt gerade nochmal ein bisschen skeptisch. Ich habe so einen Fall im Kopf mit der Gemeinsamen Betriebskrankenkasse Köln. Die hatte 25.000 Mitglieder. Sie haben nur 260, also, die haben hundertmal so viel wie Sie gehabt. Und da haben zwei Bluter-Fälle dazu geführt, dass so hohe Kosten entstanden sind, dass die nicht mehr weiter bestehen konnte, dass die nach fünf Jahren Insolvenzgefahr melden musste. – Wie sind Sie denn bei so was gewappnet?
Cornelia Wiethaler: Also, jetzt sind wir ja, wie gesagt, viel weniger. Das heißt, das Risiko, dass uns das trifft, ist ungleich auch geringer.

Gefährden hohe Behandlungskosten das System?

Deutschlandfunk Kultur: Ich würde sagen, das Risiko ist größer. Die hatten ja 25.000 Mitglieder. Da kann man denken, dass die das besser tragen können. Jetzt haben Sie aber nur 260 Mitglieder, die so einen schweren Fall wie eine seltene Blutererkrankung, dann viel schwerer tragen können.
Cornelia Wiethaler: Ja klar. Wenn er uns treffen würde, klar. Also, es gibt natürlich die Gefahr, dass wir irgendwas mal nicht bezahlen können. Das ist so. Aber ich sehe trotzdem das Risiko nicht so groß an, weil die Gefahr, dass das bei uns auftritt, ist nicht so groß.
Deutschlandfunk Kultur: Okay. Also, hört sich erstmal für mich relativ riskant an.
Cornelia Wiethaler: Ja. Und dazu kommt noch, man müsste auch bei dieser Betriebskrankenkasse nochmal nachfragen, wie die vorher schon dastand, ob die nicht vorher schon andere Probleme gehabt hat.
Deutschlandfunk Kultur: Das waren 14 Millionen Euro. Ich weiß ja nicht, wie hoch Ihre Rücklagen sind.
Cornelia Wiethaler: Nein, die sind nicht so hoch. Ja, genau, das stimmt. Wenn so was bei uns auftauchen würde, hätten wir auch ein Problem, aber man würde dann …
Deutschlandfunk Kultur:: Gibt es denn da eine Überlegung, wie man mit solchen Problemen umgeht, wenn die auftauchen?
Cornelia Wiethaler: Ja, klar, es gibt Überlegungen. Und wir wollen ja eins: dass wir wachsen, dass man größer wird, auch Zusammenschlüsse mit anderen, größere Verbünde zu machen.
Deutschlandfunk Kultur: Welche anderen zum Beispiel?
Cornelia Wiethaler: Das sind Überlegungen. Ja, also, innerhalb der Solidargemeinschaften, wobei die sich schwer tun. Da meint jeder so ein bisschen, er hat den Stein der Weisen erfunden. Und das ist auch ein Problem. Aber wir haben schon drüber gesprochen.
Deutschlandfunk Kultur: Können Sie das nochmal kurz ausführen: Der Stein der Weisen?
Cornelia Wiethaler: Na, vielleicht lieber nicht.

Nicht alle Solidargemeinschaften sind gleich

Deutschlandfunk Kultur: Aber innerhalb der Solidargemeinschaften. Also, Sie verstehen sich mit den anderen Solidargemeinschaften da auch nicht, sind da nicht auf einer Ebene?
Cornelia Wiethaler: Doch, wir sind einerseits auf einer Ebene, aber wir sind nicht zu einer optimalen Zusammenarbeit gekommen. Das kann man so sagen. Das ist vergleichbar…
Deutschlandfunk Kultur: Woran scheitert's?
Cornelia Wiethaler: Ja, dass jeder das eben doch ein bisschen anders angeht. Und manche sind auch ein bisschen mehr …
Deutschlandfunk Kultur: Zu sektiererisch?
Cornelia Wiethaler: Nein, das würde ich jetzt nicht unbedingt sagen, sektiererisch jetzt nicht, aber sie haben andere Überzeugungen, ja. Es sind auch einige noch, die ein bisschen äquivalenter denken. Also, das heißt, gesundes Risiko: Ich bin doch gesund. Ich brauche nicht so viel – nicht so solidarisch wie wir. Es gibt auch welche, die nicht so verbindlich sind wie wir, nicht so verbindlich sein wollen. Und dann gibt's die Pfarrer, die sind natürlich berufsständisch, die haben ihr eigenes Recht.
Deutschlandfunk Kultur: Ich versuche mich jetzt nochmal so ein bisschen hinein zu versetzen, dass bei mir tatsächlich eine sehr hohe Behandlung ansteht und Sie mir dann sagen können: Das klappt so nicht. Ist es dann möglich, von Ihnen wieder in die gesetzliche Krankenkasse zu wechseln? Ist das schwierig?
Cornelia Wiethaler: Wenn man nicht angestellt ist, ist es schwierig und vor allem, wenn man über 55 ist, ist es sehr schwierig. Die ganzen Nichtversicherten über 55 werden ja nicht mehr aufgenommen und im Krankheitsfall auch nicht.
Wir würden aber alles versuchen, um das hinzubekommen. Wir haben eine Nachschusspflicht, dass wir selber nachschießen, vielleicht auch einzelne Menschen, die vermögend sind – muss man dann sehen.

"Wir haben sehr gute Strukturen entwickelt"

Deutschlandfunk Kultur: Frau Wiethaler, was heißt das bei Ihnen, die ehrenamtliche Verwaltung? Welche Rolle spielt das Ehrenamt bei der Solidago?
Cornelia Wiethaler: Das ist tatsächlich richtig Arbeit, also, je nach dem, welches Amt man hat. Aber man trifft sich einmal in der Woche. Zwei Stunden hat man da schon mal. Dann hat man entweder ein Kassenwartsamt oder ein Vorstandsamt oder ein Treuhänderamt, wenn man in einer kleineren Gruppe ist. In einer größeren Gruppe muss man natürlich nicht jedes Jahr ein Amt haben, aber man ist schon berufen, sich da zu beteiligen. Und das sind schon einige Stunden Arbeit pro Woche in einer lokalen Gruppe. Und dann haben wir noch Regionaltreffen und Bundestreffen und Bundesstrukturen, also Bundesmitgliederversammlung wie in jedem Verein. Das erfordert auch ein paar Wochenenden Zeit pro Jahr.
Deutschlandfunk Kultur: Das klingt, als müsste man eigentlich haupt- oder zumindest nebenberuflich Gesundheitsschützer sein neben der Arbeit. Ist das so?
Cornelia Wiethaler: Nein, als normales Mitglied nicht, auch als Vorstand in einer kleinen Gruppe bis jetzt nicht. Als ich Vorstand im Bundesverband war, habe ich das tatsächlich Vollzeit ehrenamtlich gemacht. Ich hab dann aber auch einen Ausgleich bekommen, so einen Anerkennungsausgleich. Auf Initiative der Mitglieder. Die haben da einen Fond aufgestellt und haben mir dann auch ein kleines Salär bezahlt. Aber das war ein Ausgleich meiner Kosten.
Deutschlandfunk Kultur: Jeder, der sich auch mal ehrenamtlich engagiert hat, weiß ja, das ist nicht immer ganz so zuverlässig. Ich denke mir dann aber, bei so einer wichtigen Sache wie Gesundheit, da muss ich ja doch auf die Zuverlässigkeit, dass die Treuhänder, die da ehrenamtlich arbeiten, auch wirklich schnell reagieren und ansprechbar sind, bauen können. Ist das ein Problem, die Zuverlässigkeit von Ehrenämtlern?
Cornelia Wiethaler: Allgemein ja, aber dafür haben wir sehr dran gearbeitet. Wir haben sehr gute Strukturen entwickelt, also, sehr gute Statuten und auch sehr gute Prozesse und eine professionelle Buchführung. Das war der große Gewinn, dass wir ein Steuerbüro eingestellt, die doppelte Buchführung eingeführt haben. Die Kontodaten werden also alle eingelesen und das wird zum Teil in einem Steuerbüro für alle gemacht. Und wir bekommen da auch unsere Buchhaltung. Das ist eine große Arbeitserleichterung gewesen. Da sind wir sehr professionell aufgestellt.
Deutschlandfunk Kultur: Das klingt aber auch ein bisschen so, na ja, als würde man einfach Arbeitsplätze, die bei den gesetzlichen Krankenversicherungen richtige Arbeitsplätze sind, outsourcen als Ehrenämter, als würde man einfach die Arbeit, die Leute machen, nicht so richtig entlohnen.
Cornelia Wiethaler: Also, wir sind ja noch am Anfang. Wir sind ja jetzt noch nicht so groß. Ich denke, wenn wir größer werden würden, würde sich das ändern müssen. Wir brauchen natürlich auch Fachpersonal.

Gesundheit transparent gemacht

Deutschlandfunk Kultur: Das heißt, ich kann gar nicht darauf bauen, dass, wenn ich jetzt ein Problem habe, dass da auch jemand Professionelles sich dieses Problems annimmt bei Ihnen?
Cornelia Wiethaler: Na, es kommt darauf an, was für ein Problem. In der Regel hat man ja Gesundheitsprobleme und da sind schon viele Fachleute da. Und da hat man eine gute Beratung. Und wie die Verwaltung läuft, das ist transparent. Das kann man erkennen. Das kann man auch selber überprüfen. Und das ist jetzt nicht so kompliziert bei uns, nicht so kompliziert wie in der Krankenversicherung.
Deutschlandfunk Kultur: Transparenz ist ein gutes Stichwort, weil, das ist ja auch etwas, was Ihnen sehr wichtig ist. Wie halten Sie das denn mit der Transparenz? Wie einsichtig sind denn auch die Gesundheitsfälle von den anderen, für die Treuhändern in den verschiedenen Gruppen?
Cornelia Wiethaler: Also, in den Gruppen selber wird, wenn es gut läuft, jedes Mal über Gesundheit gesprochen. In meinem Modell für ein Gruppentreffen ist es so, dass jeder zwei Minuten über sich redet. Also: Wie geht's mir zu Hause? Wie geht's mir in der Gruppe? Was ist mein Anliegen für heute?
Wenn ich gesund bin, es geht mir gut, dann ist das schön. Wenn ich frisch verliebt bin, erzähle ich das. Wenn ich jetzt frisch geschieden bin, auch. Und das gibt so ein Auf und Ab in der Gruppe und man hat schon mal einen kurzen Blick auf jeden werfen können. Man ist schon mal beieinander. Und die Leute, die dann einen richtigen Krankheitsfall haben, die kriegen dann mehr Zeit in der zweiten Runde.
Da wird also die Gesundheit transparent gemacht. Die eigenen Anliegen werden transparent. Und die anderen machen das auch. Und das ist ein ganz großer Wert, weil, die Angst vor Krankheit, die oft da ist, und die Unsicherheit verringern sich dadurch. Das ist schon wirklich eine gute Sache, diese Transparenz. Auf Nachfrage kann ich immer meinen Kassenwart fragen, wie ist der Kontostand. Wir kriegen vierteljährlich Auswertungen von der Buchhaltung, wo unsere Ausgaben/Einnahmen drauf sind. Also, das kann die ganze Gruppe alle Vierteljahre einsehen.
Und die Bundeszahlen werden einmal im Jahr offengelegt.

"Viel mehr wert als eine schnelle OP"

Deutschlandfunk Kultur: Wenn ich jetzt aber sage, ich möchte eigentlich eine Krankenversicherung, die sich vor allen Dingen um die Kosten für meine Gesundheit kümmert und ich möchte gar nicht so viel über mein Privatleben erzählen oder vom Privatleben der anderen hören, bin ich dann falsch aufgehoben bei der Solidago?
Cornelia Wiethaler: Ja.
Deutschlandfunk Kultur: Das ist tatsächlich nur für Leute, die auch alles mit allen teilen wollen?
Cornelia Wiethaler: Alles nicht. Also, wer nicht will, kann sich einen Paten suchen und kann den beauftragen. Und es gibt ja wirklich peinliche Krankheiten, Geschlechtskrankheiten, Impotenz oder so was.
Deutschlandfunk Kultur: Das finden Sie peinlich?
Cornelia Wiethaler: Ich habe mal eine Studienarbeit darüber geschrieben. Das war die erste Frage meines Dozenten damals, des Profs, der fragte: Ja, was ist, wenn so was ist wie Impotenz? Ja, was ist dann. Und ich hatte selber auch mal so einen Fall bei mir und habe auch gemerkt, dass es mir peinlich war. Und dann habe ich trotzdem drüber geredet. Und es war so gut. Letztendlich, wenn man da rüber kommt über diese Schwelle und miteinander redet und auch sieht, man ist gut aufgehoben, man kriegt Unterstützung, das ist manchmal viel mehr wert als eine schnelle OP, also, kann viel mehr wert sein oder zumindest ist es auch wertvoll. Das Menschliche und diese Unterstützung, dieses Miteinander, dieses auch in gewisser Weise Getragensein, das ist schon eine große Qualität.
Wenn ich jetzt eine Krankenkasse habe, die alles bezahlt, aber sich sonst nicht persönlich um mich kümmert, wenn ich keinen Menschen habe, mit dem ich mich einfach mal aussprechen kann, dann ist es – nun gut – eine andere Qualität. Wenn ich das haben will, kann ich das haben. Ich will das aber nicht. Mir hat das bisher mehr gebracht, muss ich sagen. Und ich bin über manche Schwellen drüber gegangen und das war gut.

"Eine andere Qualität von persönlicher Beziehung"

Deutschlandfunk Kultur: Diese Gruppen, in denen man sich bespricht und die Treuhänderkreise, das klingt ja so, als könnte man da viel mitbestimmen, wofür die Beiträge verwendet werden. Mitbestimmung auch innerhalb der Strukturen, die gibt's ja auch bei den gesetzlichen Krankenversicherungen. Inwiefern unterscheidet sich denn die Art von Mitbestimmung, die es bei Ihnen gibt, von der – sagen wir mal –, die es gibt über die Sozialwahlen?
Cornelia Wiethaler: Ja. Die Sozialwahlen, die sind ja relativ anonym. Jeder kriegt da einen Brief, aber kennt die Menschen nicht und ist ihnen meistens noch nie begegnet. Da werden Menschen vorgeschlagen. Die schlage ich zum Beispiel auch nicht vor. Bei uns werden die Vorstände vorgeschlagen oder sie können sich auch selber melden, klar. Aber das ist eine ganz andere Qualität von persönlicher Beziehung auch, eine andere Qualität von persönlicher Beziehung zwischen Menschen, die dann Verantwortung füreinander übernehmen.
Und man bekommt es mit, wie andere Menschen in der Krankheit behandelt werden, wie sie unterstützt werden. Dann schafft das natürlich Vertrauen. Ah ja, dann bekomme ich auch die Unterstützung. Also, man sieht das ja. Man erlebt das. Und das schafft auch das Vertrauen.
Deutschlandfunk Kultur: Gab es da auch mal einen Fall, wo man vielleicht auch überfordert war, bei so schwerwiegenden Geschichten zu entscheiden, oder auch überfordert war einfach von Informationen? Waren Sie mal überfordert von jemandem aus Ihrer Gruppe?
Cornelia Wiethaler: Ich selber noch nicht. Ich habe mich dann immer dahinter geklemmt. Und dann kommt man immer auf gute Lösungen. Gemeinsam findet man immer gute Lösungen. Das ist meine Erfahrung. Aber es gab schon zum Beispiel einen Fall, wo eben einer sehr von sich und seiner Gesundheitstätigkeit für sich selbst überzeugt war. Er war überzeugt, er wird nie krank, und wurde eben doch krank und hatte keine Rücklagen, hatte einen geringen Beitrag bezahlt. Das war noch früher in einer anderen Solidargemeinschaft.
Und dann war der Kassenwart ein Mensch, der im Bauwagen wohnte. Und der hat dann tatsächlich nicht ausgezahlt. Aber da haben wir überbrückt. Da haben wir einen Bypass gelegt über eine andere Gemeinschaft, bis das Problem behoben war. Der wollte einfach nicht. Der sagte: Du musst erst dein Haus verkaufen. – Das sagen Sie mal einem kranken Mann, der jetzt gerade einen Schlaganfall hat, er soll sein Haus verkaufen! Also, das ist nicht der richtige Zeitpunkt.
Deutschlandfunk Kultur: Das klingt jetzt nicht gerade nach Solidargemeinschaft.
Cornelia Wiethaler: Nein. Genau. Und das hat man aber sofort behoben. Man hat sofort eine Lösung gefunden dafür. Und dass es Probleme geben wird, ist ganz klar. Es wird immer Probleme geben in jedem System, egal, welches wir haben. Aber ich denke eben, dass wir, wenn wir persönlich miteinander darüber reden in kleinen Gruppen, dass wir uns dann auch gut anpassen können an diese aktuelle jeweils individuelle Situation. Und das ist der Vorteil.

Kann die Solidago die Versicherungslücke schließen?

Deutschlandfunk Kultur: Diese Flexibilität, die Sie beschreiben, die setzt natürlich auch eine gesetzliche Freiheit voraus. Sie haben es eben schon mehrmals erwähnt. 2007 wurde die Versicherungspflicht für gesetzliche Krankenversicherungen eingeführt, 2009 für die privaten Krankenversicherungen. Vorher waren rund 200.000 Menschen ohne Versicherung. Jetzt sind es nur noch 80.000. Das klingt ja erst mal gut. Welche Auswirkungen hat das denn auf die Solidago?
Cornelia Wiethaler: Langfristig haben wir einfach die Probleme, dass Menschen nicht aus Kassen rauskommen, nicht zu uns kommen können, und manche, die keine Lust mehr auf die Arbeit haben, auch nicht wieder zurückkommen können, wenn sie über 55 sind. Das ist sicherlich ein Problem. Aber ich denke auch, dass wir in diese Lücke, die immer noch da ist, die also durch diese Versicherungspflicht nicht gedeckt wurde, diese Lücke, dass so viele Menschen noch ohne Schutz sind, da können wir schon was dazu beitragen.
Deutschlandfunk Kultur: Das klingt ja jetzt erstmal so, als könnte die Solidago diese Lücke schließen, die scheinbar noch da ist. Ist das das Hauptziel? Oder wie kann es sonst weitergehen für die Solidago? Was sind sonst noch Optionen, wie sich die Solidago weiter entwickeln kann im Gesundheitssystem?
Cornelia Wiethaler: Ich habe letzte Woche eine Studentin getroffen. Die fing an, über ihre Pille zu reden. Alle paar Monate muss sie – ich weiß nicht in welchem Zeitraum – muss sie ein neues Medikament nehmen, weil ihre Versicherung einen anderen Vertrag abgeschlossen hat. Sie will aber gar kein anderes Medikament. Sie muss sich dann immer umstellen, muss immer irgendwas wieder anders machen.

Minimale staatliche Anerkennung als Voraussetzung

Deutschlandfunk Kultur: Die ist gesetzlich versichert gewesen?
Cornelia Wiethaler: Ja, sie ist gesetzlich versichert. Genau. Und das, dass andere entscheiden darüber, was ich bekommen darf für mein Geld und was nicht, das ist nicht ganz so toll. Also, in diesen Entscheidungsprozessen über den Leistungskatalog haben die Mitglieder überhaupt nicht mitzureden. Das ist ein Fehler.
Ich denke, die Solidago kann einen guten Beitrag zum Gesundheitssystem leisten, aber dafür ist es einfach notwendig, dass sie eine minimale staatliche Anerkennung, eine minimale staatliche Akzeptanz erhält. Das wäre wichtig.
Deutschlandfunk Kultur: Wie sähe diese minimale Akzeptanz aus, wie Sie sagen?
Cornelia Wiethaler: Dass sie eben als anderweitige Absicherung akzeptiert wird.
Deutschlandfunk Kultur: Was heißt denn das, anderweitere Absicherung, im rechtlichen Sinn?
Cornelia Wiethaler: Nicht PKV und nicht GKV und ohne Rechtsanspruch.
Deutschlandfunk Kultur: Also, dass wir wegkommen von einem zweiklassigen zu einem dreiklassigen Gesundheitssystem?
Cornelia Wiethaler: Wir können das erstmal als Modellprojekt fahren und dann das innerhalb der gesetzlichen Krankenkasse einbinden, diese Freiheitsgrade in das System der GKVen einführen, weil, das ist auch – das sage ich jetzt als Politologin – wirklich ein Problem in unserer Gesellschaft, dass zu viele Menschen das Gefühl haben, sie können nichts bewirken. Und bei uns ist das genau andersrum. Bei uns kann man sehr viel bewirken.
Deutschlandfunk Kultur: …sagt Cornelia Wiethaler. Sie hat die Solidago gegründet neben der Atabana und der Samarita, eine solidarisch organisierte Alternative zur gesetzlichen und privaten Krankenkasse. – Danke, dass Sie heute bei uns zu Gast waren.
Cornelia Wiethaler: Sehr gerne.
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