Social Entrepreneurs

Soziale Wirkung als Geschäftsmodell

30:07 Minuten
Illustration: Ein Startup-Team wässert gemeinsam eine Pflanze, aus der eine Idee in Form einer Glühbirne wächst.
Sozialunternehmen wollten nicht abhängig sein von Stiftungsgeldern, Spenden und Sponsoring – wie beispielsweise die Wohlfahrtsorganisationen. © Getty Images/Stockphoto/Flat Vector
Von Wolf-Sören Treusch · 11.01.2021
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Das wirtschaftliche Ziel dem sozialen Zweck unterordnen, ohne dabei das unternehmerische Denken zu vernachlässigen - darum geht es beim sozialen Unternehmertum. Die Branche hat großes Potenzial und profitiert auch vom Wertewandel bei den Investoren.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens bewegt Menschen seit Jahrtausenden. Auslöser können die Gedanken an die Vergänglichkeit sein oder das Sinnieren über die Weiten des Kosmos. Oft sind es aber auch einfach nur die Zweifel am Nutzen der eigenen Arbeit. Wie zum Beispiel bei Topmodel Sara Nuru.
"Ich hatte einen richtigen Schlüsselmoment, als ich für eine Fernsehsendung den teuersten Eisbecher der Welt probieren sollte. Dieser Eisbecher hat 1000 Euro gekostet. Er war mit Blattgold versehen, mit Schokolade aus Madagaskar und irgendwelchen Mandeln, die sehr speziell waren - absurd. Und ich sollte in die Kamera suggerieren, dass das erstrebenswert ist. Für mich war das einfach nur falsch."
Sara Nuru, 2009 die erste schwarze Gewinnerin der TV-Castingshow "Germanys Next Topmodel", dachte in diesem Moment an die Armut in Äthiopien. Dem Land, aus dem ihre Mutter 1986 mit zwei kleinen Kindern nach Deutschland geflohen war, und aus dem ihr Vater später auf illegalem Weg nachkam. Und nun also sollte Sara Nuru ein sündhaft teures, mit Blattgold verziertes Eis schlecken.
Sara Nuru, deutsches Model, Unternehmerin und Gewinnerin der vierten Staffel der Castingshow Germany's Next Topmodel.
Hat ihrer Modelkarriere ein zweites, sozialwirtschaftliches Standbein hinzugefügt: Sara Nuru.© picture alliance/dpa/Thomas Schulze
"Ich habe mich so geschämt, weil ich gedacht habe: Das ist das, was die Leute von mir sehen, das ist das, was ich vermitteln soll. Das ging so gegen meine persönlichen Werte, wenn man bedenkt, dass ich mich zu diesen Zeitpunkt und auch heute noch sehr aktiv sozial engagiert habe. Dieser Eisbecher war dann der Schlüsselmoment, in dem ich gesagt habe: Das geht zu weit."

Kleinbauern unterstützen neben der Modelkarriere

Sie beschließt, der Modelkarriere ein zweites, wirtschaftliches Standbein hinzuzufügen. Mit ihrer Schwester gründet sie ein Unternehmen, das mit Kaffee aus Äthiopien handelt – Nuru Coffee.
"Wir haben mit Nuru Coffee ein Social Business gegründet mit dem Ziel, durch wirtschaftliches Handeln Gutes zu tun. Das heißt, wir wollen Handel auf Augenhöhe, was auch bedeutet, dass wir gucken, dass die Preise stimmen, aber eben nicht nur für uns, sondern für alle entlang der Wertschöpfungskette. Das heißt: auch für die Bauern vor Ort, für diejenigen, die am meisten Arbeit leisten, aber oftmals zu kurz kommen."
Die Kleinbauern, mit denen Nuru Coffee zusammenarbeitet, haben sich in Kooperativen zusammengeschlossen und erhalten mehr als das Doppelte des marktüblichen Preises für ihren Rohkaffee. Dennoch erwirtschaftet auch Nuru Coffee Gewinne. 15 Prozent davon fließen in den Verein Nuru Women, der das Geld unter anderem als Mikrokredite an Frauen in Äthiopien vergibt.
"Es sind die Frauen, die von der Armut betroffen sind. Es sind auch die Frauen, die die meiste Arbeit machen, aber leider gar keinen Zugang zum eigenen Einkommen haben. Und durch eine Starthilfe in Form von einem Kredit ermöglichen wir den Frauen, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Man muss sich vorstellen: Die Frauen, die wir unterstützen, leben im Landesinneren. Und da reichen tatsächlich 130 bis 250 Euro, um das Leben der Frauen nachhaltig zu verändern."

Sozialer Zweck vor wirtschaftlichem Ziel

Das wirtschaftliche Ziel dem sozialen Zweck unterordnen, ohne dabei das unternehmerische Denken zu vernachlässigen. In der Fachsprache nennt man Menschen wie Sara Nuru Social Entrepreneurs – Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer. Sie wollen nicht abhängig sein von Stiftungsgeldern, Spenden und Sponsoring – wie beispielsweise die Wohlfahrtsorganisationen.
Laut Angaben der Kreditanstalt für Wiederaufbau gibt es gut 100.000 Sozialunternehmen in Deutschland. Tendenz steigend. Sie sind die neuen Lieblinge der Wirtschaft, weil sie der gar nicht so neuen Idee, soziales Engagement und Ökonomie miteinander zu verbinden, zuletzt einen kräftigen Schub verpasst haben. Und damit das stärker wachsende Bedürfnis der Gesellschaft befriedigen, nachhaltigen und sozial innovativen Geschäftsideen zum Erfolg zu verhelfen.
"Ein Social Business oder ein Sozialunternehmen ist ein Unternehmen, das versucht, auf unternehmerische Art und Weise einen sozialen Mehrwert zu schaffen", erklärt Karin Kreutzer, Inhaberin des Lehrstuhls für Social Business an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden.
Auch die Wissenschaft ist vom Hype um das Sozialunternehmertum nicht unberührt geblieben. Mehrere Universitäten in Deutschland richteten Lehrstühle für Social Entrepreneurship ein.
"Das Faszinierende an Sozialunternehmen ist tatsächlich, dass sie es schaffen, das Soziale und das Betriebswirtschaftliche zusammenzudenken. Das heißt, das sind tatsächlich Unternehmen, die auf der einen Seite einen sozialen Mehrwert generieren, indem sie zum Beispiel benachteiligte Menschen beschäftigen, Produkte oder Dienstleistungen für benachteiligte Personengruppen herstellen, oder – wie zum Beispiel die Fair-trade-Bewegung – Produkte von Menschen aus Entwicklungs- oder Schwellenländern beziehen. Das Ganze finanziert sich aber nicht durch Spenden oder staatliche Subventionen, sondern es finanziert sich zum allergrößten Teil am Markt, wie bei einem normalen Unternehmen auch."

Schon Friedrich Raiffeisen vergab Mikrokredite

Im Mittelpunkt des Wirtschaftens steht nicht der Profit um jeden Preis, sondern die Wirkung, die ein Unternehmen mit seinen Produkten oder Dienstleistungen erzielt – der Social Impact. Als Pionier der Szene gilt die internationale Non-Profit-Organisation Ashoka. Sie macht sich seit 40 Jahren weltweit fürs Sozialunternehmertum stark und ist mittlerweile in 96 Ländern aktiv. Auch in Deutschland.
Schwung bekam die Bewegung 2006 durch den Friedensnobelpreis für Muhammad Yunus. Mit seiner Grameen Bank in Bangladesch entwickelte er Mikrokredite für Mittellose.
Muhammad Yunus, Friedensnobelpreisträger, spricht auf der Innovationskonferenz DLD (Digital Life Design) im Januar 2020. 
Schwung bekam die Bewegung 2006 durch den Friedensnobelpreis für Muhammad Yunus, der Mikrokredite für Mittellose entwickelte.© picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand
Eigentlich eine alte Idee, sagt Professorin Karin Kreutzer:
"Friedrich Raiffeisen hat schon 1864 die erste genossenschaftliche Bank gegründet, um Landwirte damit zu unterstützen. Das ist schon 1864 ein Paradebeispiel für ein Sozialunternehmen. Neu sind allerdings die innovativen Lösungen für gesellschaftliche Probleme, auch Probleme im Bereich Umweltschutz, die das unternehmerische Element mitbringen."

Was der Staat nicht leisten kann

Ein aktuelles Beispiel: Discovering Hands, ein Berliner Sozialunternehmen, das blinde und sehbehinderte Frauen zu medizinisch-taktilen Untersucherinnen ausbildet. Sie werden im Rahmen der Brustkrebsfrüherkennung eingesetzt, weil sie nachweislich früher als Ärzte kleinste Tumore in der Brust ertasten können. Eine Win-Win-Situation: Die blinden Frauen sind integriert in den Arbeitsmarkt, zugleich können sie Leben retten und die Krankenkassen entlasten.
Nach einer Studie der Beratungsfirma McKinsey könnte dieses Modell der Brustkrebsfrüherkennung dem staatlichen Gesundheitssystem jährlich zwischen 80 und 160 Millionen Euro einsparen.

"Ich glaube, dass es Aufgaben gibt, die Sozialunternehmer innovativer lösen können als der Staat. Einfach, weil sie flexibler sind, weil sie schneller sind, weil sie gute Ideen haben, und weil sie aufgrund dieses unternehmerischen Elements sie Dinge tun können und dies vor allem auch in einer Geschwindigkeit, die der Staat gar nicht leisten kann."
Im vergangenen Jahr veröffentlichten McKinsey und Ashoka Deutschland eine gemeinsame Studie zur Rolle des Sozialunternehmertums in der Gesellschaft. Darin heißt es: Würden deren Lösungen systematisch genutzt und besser in bestehende Systeme integriert, ergäbe sich ein wirtschaftlicher Nutzen mit Milliardenpotenzial.

Start-ups mit fehlender Erfahrung

Nicht jedes Social Business ist eine Erfolgsgeschichte. Das weiß Maria Gross, die 2013 ein Start-up für vegane Boxhandschuhe mitgründete: "Ehrlich gesagt, waren wir einfach ein bisschen größenwahnsinnig."
Ökologisch nachhaltige Kampfsportkleidung zu vertreiben, hält sie auch heute noch für eine grandiose Idee. Dennoch sind sie damals gescheitert. Weil sie ihrer Zeit voraus waren, sagt sie, und weil sie die Marktgröße für ihre Produkte falsch einschätzten.
"Wir haben Lagerräume überall auf der Welt angemietet, uns Produkte dorthin schiffen lassen, und das war einfach zu viel. Wir haben uns einfach übernommen. Wenn wir uns besser aufgestellt hätten, hätte das wirtschaftlich funktioniert. Sowas kann funktionieren. Das zeigen auch andere Produkte und andere Social Businesses, dass es durchaus möglich ist, fair zu produzieren, fair zu verkaufen. Wir hatten damals eben noch nicht die Erfahrung dafür."

Nur noch drei von 150 Start-ups sind am Markt

Fehlende Erfahrung. So ergeht es vielen Existenzgründerinnen und -gründern. Maria Gross leitete damals das Social Impact Lab, eine Keimzelle für Social Business in Berlin-Kreuzberg. Daraus hat sie viel gelernt. Zum Beispiel, wie wichtig es ist, als Sozialunternehmerin auch profitorientiert zu wirtschaften.
"Viele Gründer aus dem Social-Bereich sind so sehr intrinsisch motiviert, dass sie sich wirklich schlecht damit fühlen, Profit zu machen. Weil man immer denkt: 'Ja, aber eigentlich will ich jemandem helfen, eigentlich will ich ja was Gutes tun‘", sagt Maria Gross.
"Von 2012 bis 2015 habe ich ungefähr 150 Social Start-ups begleitet. Von denen sind noch drei am Markt. Das ist wirklich krass. Und ich will gar nicht wissen, wie viele von diesen Gründern im Burn-out gelandet sind oder sich einfach krass verausgabt haben. Weil: Man braucht einfach auch eine gewisse wirtschaftliche Stabilität. Du kannst nicht einfach immer nur jahrelang reinbuttern und dir kein Gehalt auszahlen, zum Beispiel. Das ist eine typische Verhaltensweise von Sozialunternehmern."

Sozial und nachhaltig agieren

Heute ist Maria Gross Geschäftsführerin von Germantech, einer Art Gründer-Campus, finanziert von Großkonzernen, in dem Start-ups für eine nachhaltige Zukunft unterstützt und gefördert werden. Sie ist überzeugt: Die Wirtschaft braucht nicht mehr Einhörner – das sind Start-ups mit rasantem Wachstum und einer Bewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar, die am Ende gewinnbringend veräußert werden –, sie braucht mehr Zebras: Unternehmen, die sozial und nachhaltig agieren und sich dennoch rechnen.
"Warum das Zebra? Weil das Zebra eben schwarz und weiß ist. Nicht schwarz oder weiß, sondern es verbindet das Thema Wirkung mit dem Thema Profit. Es ist in Ordnung, Profit zu machen, und es ist auch in Ordnung, wenn man als Unternehmer oder als Führungskraft in so einem Unternehmen gut verdient und sich ein gutes Leben macht. Wichtig ist aber, dass man eben nicht auf dieses Hyperwachstum setzt. Es ist nicht das Ziel, verkauft zu werden, sondern es ist das Ziel, die Wirkung zu maximieren."
Ein solches Zebra ist in einer ehemaligen Fabriketage im zweiten Hinterhof in Berlin-Kreuzberg beheimatet: Quartiermeister, gegründet 2010, sozusagen der Dino unter den Zebras. Die erste gemeinwohlbilanzierte Biermarke Deutschlands, wie Quartiermeister für sich wirbt. 10 Cent pro verkauftem Liter gehen an soziale und kulturelle Projekte in der Umgebung. Wer das Bier trinkt, tut also Gutes für die Nachbarschaft.
"Wenn ich in München unser Bier trinke, werden damit Münchner Projekte unterstützt, in Dresden dasselbe, Stuttgart, Leipzig, Berlin. Ich glaube, was uns von den meisten anderen unterscheidet, ist dieser sehr lokale Aspekt. Das heißt: Unsere Konsumenten laufen im Idealfall auf dem Rückweg von ihrer Bar an einem Projekt vorbei, das durch sie unterstützt wurde..."
… und über das sie möglicherweise per Online-Voting mitentschieden haben, fügt Geschäftsführer Peter Eckert hinzu. Das Spektrum reicht vom Antirassismus-Projekt bis hin zur Initiative zur Reduktion von Verpackungsmüll. Mehr als 160 Projekte hat Quartiermeister bisher unterstützt. Meist mit jeweils 500 bis 1000 Euro. Alle Prozesse im Unternehmen laufen transparent und unabhängig ab. Investoren oder Shareholder, die mit ihrem Geld auf die Firmengeschicke Einfluss nehmen könnten: Fehlanzeige.

"Für uns heißt Wachstum mehr Wirkung"

"Wir machen das sehr bewusst anders und auch sehr überzeugt anders. Für uns heißt Wachstum mehr Wirkung. Das heißt: Wenn wir mehr Bier verkaufen und in mehr Städten sind, können wir mehr soziale Projekte unterstützen, und das Sachziel der Wirkung steht über dem Formalziel Wachsen", sagt Peter Eckert.
"Es geht schon auch um den Inhalt, und unser Inhalt ist eben ein soziales Geschäftsmodell. Deswegen: Skalierung ja, aber nicht um jeden Preis, sondern Wachstum mit Werten und einer Vision. Wir wachsen nicht so schnell wie andere Start-ups, aber wir wachsen organisch und eben auch mit dem Ziel, dass es die Firma auch noch in 10, 20 oder 30 Jahren gibt. Und wenn man dann überlegt, was wir in dieser Zeit für eine Wirkung erzielen können, ist das vielleicht auch der gesündere und nachhaltigere Weg."
Die Rollen sind klar verteilt. Es gibt die GmbH – sie lässt das Bier brauen, verkauft und vermarktet es. Und es gibt den Verein – er kümmert sich um die Mittelvergabe. Eine gemeinnützige Stiftung soll das Konstrukt in Kürze vervollständigen, "in der sich die Markenrechte wiederfinden. Das heißt, die Markenrechte und der Markenschutz sind separiert von der GmbH. Damit wollen wir sicherstellen, dass das, was wir gerade tun, auch in Zukunft Bestand hat", sagt Peter Eckert.
"Wir wollen nicht, dass in 20 Jahren jemand auf die Idee kommt: 'Jetzt verscherbele ich die Marke, weil ich eigentlich doch lieber auf Bali leben will.‘ Und dann fallen alle Mitarbeitenden, alle Konsument*innen aus allen Wolken und sagen: 'Wieso habe ich denn jetzt 20 Jahre für das Unternehmen gearbeitet oder das Bier gekauft? Jetzt gehört es doch den Großkonzernen.‘ Das ist jetzt die dritte Entität, die 2021 kommt."
Peter Eckert, Geschäftsführer von Quartiermeister
"Unser Inhalt ist ein soziales Geschäftsmodell", sagt Peter Eckert von Quartiermeister.© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Doch zunächst heißt es auch für Quartiermeister, die Coronakrise zu überstehen. Natürlich ist der Verkauf von Bier aufgrund der Schließungen in der Gastronomie im letzten Dreivierteljahr zurückgegangen. Was folgte, waren Kurzarbeit, Gehaltskürzungen und sogar ein Stopp der Ausschüttungen für die nächsten Projektförderungen.
"Aber, und das ist ganz wichtig, unser Plan ist, jeden Cent auszuschütten, der entstanden ist. Das heißt, die zehn Cent pro Liter haben wir nicht gestrichen, sondern wir haben gesagt, die schütten wir in Zukunft aus. Weil: Das Versprechen '10 Cent pro Liter' steht auf jeder Flasche, das ist unser Alleinstellungsmerkmal, deswegen wollen wir dem auch gerecht werden."

Die meisten Corona-Hilfsprogramme greifen nicht

Die Coronakrise stellt viele Sozialunternehmen vor extreme Herausforderungen. Nach einer Umfrage, die das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland SEND e.V. unter 158 Social Start-ups durchführte, litten 75 Prozent der befragten Unternehmen massiv unter dem Rückgang der Verkaufszahlen ihrer Produkte.
Das Problem ist, dass die meisten Hilfsprogramme von Bund und Ländern nicht greifen, denn wer den Großteil seiner Gewinne in sozial und ökologisch nachhaltige Projekte oder Dienstleistungen reinvestiert, kann keine verlässliche Kredittilgung nachweisen.
Markus Sauerhammer, Vorstandsvorsitzender von SEND e.V., schätzt, dass bisher gerade mal drei Prozent der Social Start-ups Coronahilfen der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Anspruch nehmen konnten. Die Herausforderungen aus der Zeit vor der Krise hätten sich potenziert, findet er.
"Aktuell sieht es so aus, dass die Unternehmen, die für die persönliche oder für die Rendite der Investoren wirtschaften, Unterstützung vom Staat bekommen, und die, die fürs Gemeinwohl oder für die Lösung ökologischer Herausforderungen kämpfen, bekommen keine Unterstützung."
Immerhin: Im Sommer 2020 beschloss der Bundestag, Sozialunternehmerinnen und -Unternehmer "im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel" zu fördern. Und das Bundesministerium für Wirtschaft kündigte gerade ein speziell auf Social Start-ups ausgerichtetes Förderprogramm an. Markus Sauerhammer ist skeptisch, ob es passen wird:
"Bei dem Wirtschaftsministerium oder der KfW als Förderbank steht jetzt auf jedem Programm quasi: ‚Geöffnet für gewerbliche Social Entrepreneurs‘. Aber ohne irgendwas an den Förderbedingungen zu verändern. Das heißt: Sozialunternehmen, die genauso funktionieren wie klassische Unternehmen, die bekommen einen Zugriff. Soziale Unternehmen wollen aber nicht Gewinne maximieren, sondern wollen eher schauen, wie sie die bestmögliche Wirkung entfalten können. Das heißt, sie können auf diese Instrumente nicht zugreifen."

Kaum Finanzierungsinstrumente für Sozialentrepreneure

Tatsächlich gehört die Finanzierung zu den drängendsten Problemen sozialer Start-ups. Als eine Art Hybrid aus Unternehmensgründung und gemeinnütziger Organisation fallen Sozialentrepreneure oft durchs Raster – sowohl öffentlicher wie privater Finanzierungsinstrumente in Form von Fördermitteln, Fremd- oder Beteiligungskapital. Das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland fordert deshalb schon lange, gemeinsame Fonds aus staatlichem und privatem Kapital zu schaffen.
Auch Professorin Karin Kreutzer von der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden hält die Frage der Finanzierung von sozialen Start-ups für vordringlich.
"Investoren tun sich aus meiner Sicht noch viel zu schwer, solche Ideen zu fördern. Da lohnt auch mal der Blick über den Tellerrand in andere Länder, in die angelsächsische Welt zum Beispiel, wo das ganze Thema Impact-Investing viel größer und viel etablierter ist, mit Investoren, die sagen: ‚Ja, ich möchte tatsächlich mein Geld investieren, aber eben in nachhaltige Unternehmen.‘ Wir wissen aus Studien, dass es einen sehr großen Anteil an Investoren gibt, die eigentlich gern so investieren würden, denen aber ein bisschen die Möglichkeit fehlt, die nicht wissen, wo, wie, wann und warum."
Maria Gross, die in der Szene der sozialen Start-ups gut vernetzt ist, gibt allerdings zu bedenken, dass viele ihrer Freunde genau hinguckten, von wem das Geld komme.
"Die nehmen auch nicht jedes Geld, weil sie einfach auch Werte vertreten und mit gewissen Institutionen und Geldquellen nicht zusammenarbeiten wollen, weil sie sagen: ‚Das widerspricht unseren Werten, dann machen wir eben einen Schritt langsamer und wachsen eben nicht. Wir verdoppeln uns nicht innerhalb von zwei, sondern eben in fünf Jahren.‘"

Spannung zwischen sozial und Unternehmertum

Einen solchen Weg – langsam, aber stetig voran – ist betterplace.org gegangen, Deutschlands größte Online-Spendenplattform. Hier können gemeinnützige Initiativen und Unternehmen für ihre Projekte weltweit Spenden sammeln, gleichzeitig interessierte Spender die für sie richtigen Hilfsprojekte finden. Alle zahlen dafür eine Gebühr an betterplace.org.
Joana Breidenbach hat das Sozialunternehmen 2007 mitbegründet. Ihr war von Beginn an wichtig: Spendenfinanziert durfte es nicht sein.
"Wir wollten mit denjenigen, für die wir das machen, auch dann Geld verdienen. Deswegen haben wir ziemlich lange an einem Geschäftsmodell herumgebastelt und können uns seit einigen Jahren auch selbst refinanzieren. Das ist unser Ziel, dass wir die jetzt knapp vier Millionen Euro Kosten mit 70 Mitarbeitern über unsere eigene Wirtschaftsleistung zusammenbringen."
Und die umfasst nicht nur Gebühren, sondern auch Dienstleistungen für Unternehmen und Förderungen durch strategische Partner. Zur Familie von betterplace.org gehören inzwischen mehrere Tochterfirmen. Auf der Agenda ganz oben steht aber immer noch: die Welt verbessern, ohne Profit zu machen.
"Eine wachsende Organisation, die als gemeinnützige Aktiengesellschaft organisiert ist und sich als Sozialunternehmen versteht - das ist immer eine Balance und auch eine Spannung zwischen sozialem Engagement und Unternehmertum. Wir haben immer zwei Kennzahlen. Einmal: Wie sieht unsere eigene Refinanzierung aus? Schaffen wir es, uns gesund zu betreiben? Und: Was ist die Höhe des Spendenvolumens? Und können wir wirklich möglichst viel Geld in den sozialen Sektor weitergeben?"

Wertewandel bei Geldvergabe an Unternehmen

Nach eigenen Angaben hat betterplace.org seit 2007 mehr als 100 Millionen Euro für Hilfsprojekte gesammelt. Joana Breidenbach ist mittlerweile an mehreren neuen sozialen Start-ups beteiligt – als Investorin. Sie findet, dass Unternehmen, die es wirklich ernst meinen mit ihrer Verantwortung für eine bessere Welt, unbedingt finanziell unterstützt werden sollten.
"Wir reden oder hören sehr viel über Impact Investing. Wenn es dann aber wirklich hart auf hart kommt, dann, so meine Erfahrung, geben immer noch sehr viele Menschen doch das Geld dahin, wo es am meisten Gewinn macht", sagt Joana Breidenbach.
Joana Breidenbach, Mitgründerin von betterplace.org
Joana Breidenbach ist mittlerweile an mehreren neuen sozialen Start-ups beteiligt – als Investorin.© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
"Und da sind wir in einer Umbruchzeit. Ich glaube, dass sich das verändern wird, weil es hauptsächlich ein Werte- und Bewusstseinswandel ist: Was ist mir im Leben wirklich wichtig? Wie verstehe ich die Welt? Habe ich ein systemisches Verständnis von Welt? Und wenn ich das habe, dann führt es zu einer anderen Art und Weise, wie ich mein Geld anlege."

Transparenz, Nachhaltigkeit und Klimaschutz werden honoriert

"Wenn wir wirklich etwas bewegen wollen und Finanzen als einen positiven Hebel für Wandel sehen, dann müssen wir natürlich schauen, dass wir möglichst viele Menschen da draußen davon überzeugen, ihr Geld zu uns zu bewegen, und das bedeutet: Je mehr Menschen mitmachen, einen umso größeren Hebel haben wir quasi. Und das bedeutet: Wir müssen schnell wachsen!"
Inas Nureldin ist einer der Gründer des Hamburger Fintech-Start-ups Tomorrow. Die Bank bietet das erste nachhaltige Smartphone-Konto Europas an. Sie wirbt damit, die Zukunft des Planeten verbessern zu wollen. Zwei Beispiele zeigen, wie einfach das ist.
Erstens: Wird mit Kreditkarte bezahlt, erhält die Bank dafür eine Gebühr. Damit macht sie in der Regel, was sie will. Tomorrow dagegen steckt diese Gebühr in ein Waldschutzprojekt in Brasilien und weist das auf ihrer App genau aus. Es gibt 2000 Banken in Deutschland. Einen solchen Service hat keine von ihnen, auch keine der wenigen Ökobanken.
Zweitens: Jede Bank arbeitet mit den Einlagen ihrer Kunden. Welche Projekte oder Kredite sie damit finanziert, verrät sie üblicherweise nicht. Tomorrow schon.
"Das kann man über eine App natürlich recht einfach tun, indem man sagt: 'Ich zeige in Echtzeit auf einem einfachen schönen Screen, was mit dem Geld auf meinem Girokonto finanziert wird.' Und da stellen wir natürlich sicher, dass auf der einen Seite keine Kohlekraft oder Waffenhandel oder ausbeuterische Kinderarbeit finanziert wird, sondern eher Dinge wie Aufbau von erneuerbarer Energie oder andere Dinge, die entweder dem Menschen oder dem Planeten helfen."

Start-up Tomorrow sammelte Geld in Rekordzeit

Offenheit und Transparenz, Nachhaltigkeit und Klimaschutz – das Geschäftsmodell zeigt die gewünschte Wirkung. Auch auf die Kundschaft. Gut 50.000 User haben sich dem Finanzanbieter in den zweieinhalb Jahren seit seiner Gründung angeschlossen. Auch die Zahl der Investoren steigt. Im Oktober vergangenen Jahres sammelte das Start-up frisches Geld in Rekordzeit.
"Es war wahrscheinlich definitiv eine der schnellsten und erfolgreichsten Crowdinvesting-Kampagnen, die es jemals in Deutschland gab. Wir haben innerhalb von fünf Stunden drei Millionen Euro in unserer Community aufgebracht. Ursprünglich hatten wir vor, das über zwei Wochen zu machen", erzählt Inas Nureldin.
"Das Ambitionslevel unterscheidet uns wahrscheinlich nicht von etablierten Start-ups. Der Grund, warum wir es tun, aber schon. Weil: Uns geht es nicht darum, eine Wertmaximierung zum Selbstzweck zu machen, sondern damit positiven Wandel zu bezwecken. Und ich glaube, es gibt einfach eine neue Ära von Unternehmer*Innen, die jetzt gerade dabei sind, das Narrativ der Wirtschaft von und für morgen neu zu schreiben."
Große Worte. Inas Nureldin und seine beiden Mitgründer sind überzeugt: Sie werden ihnen Taten folgen lassen. Tomorrow ist seit kurzem Teil des globalen B-Corp-Netzwerkes. B Corp steht für "Certified Benefit Corporations". Also für gewinnorientierte Unternehmen, die ihr Business aber nicht für die reine Profitmaximierung nutzen, sondern dafür, einen gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen und auf ökologische Nachhaltigkeit setzen.
Derzeit gibt es mehr als 2500 B Corps in 130 Branchen und 60 Ländern weltweit, ist auf der Website von Tomorrow zu lesen. Wer sich dazu zählen darf, muss strenge Standards in den Bereichen Soziales, Umwelt, Performance, Transparenz und Unternehmensstrukturen erfüllen. Tomorrow verfügt beispielsweise über einen Nachhaltigkeitsbeirat, der die Wirkung, den Social Impact einzelner Maßnahmen überprüft.
"Da sitzen keine Investor*Innen drin, da sitzen keine Gründer*Innen, auch keine Mitarbeiter*Innen, sondern das ist wirklich von extern. Die haben kein finanzielles Interesse an unserem Unternehmen, und die haben eine Stimme in unserem Beirat. Das ist tatsächlich auch das Zünglein an der Waage zwischen unseren Investoren und dem Gründerteam. Wir haben wir von Anfang an versucht, das Thema Governance mitzudenken und ein bisschen vorzusorgen. Also ein relativ großer Aufwand sozusagen."

Die Rede ist von "New Work"

Aufwand gehört zum Geschäft. Wer nicht nur auf Kennzahlen starren, sondern den Kurswechsel auch gesamtgesellschaftlich voranbringen will, fängt am besten im eigenen Betrieb an. Sagte sich Joana Breidenbach, gab 2014 ihren Chefinnenposten im betterplace.lab, dem Forschungslabor ihres Unternehmens, auf und wechselte in den Aufsichtsrat.
"Wir haben mich wirklich abgeschafft. Ich bin von einem Tag auf den anderen von Vollzeit auf nur acht Tage im Monat gegangen. Und dann haben wir etwas gebaut, was wir kompetenzbasierte Hierarchie nennen, die sehr flüssig ist."
Überkommene Arbeitsstrukturen aufbrechen, Machtverhältnisse abschaffen. Die Rede ist von "New Work", dem Konzept für eine neue Arbeitsweise mit mehr Freiheit, Selbstbestimmtheit und Teilhabe an der Gemeinschaft.
"Wenn ein neues Projekt in das betterplace.lab reinkommt, dann überlegen wir: Wer hat dazu die passenden Kompetenzen? Der ist dann Projektleiter in diesem Projekt, andere arbeiten dann dieser Person zu. Das heißt dann zum Beispiel, dass ich in einem Projekt einer Mitarbeiterin zuarbeite, die halb so alt ist wie ich und vielleicht erst seit zwei, drei Jahren bei uns im Team ist. Sobald dieses Projekt dann auch abgeschlossen ist, zerfällt diese Hierarchie wieder, und sie baut sich in einer anderen Konstellation für die nächste Aufgabe wieder auf."
Es sei mühsam gewesen, das Konzept in ihrem Betrieb umzusetzen, sagt Joana Breidenbach, aber erfolgreich. Der Drang, zu gestalten, gehört für sie genauso zum Social Entrepreneurship wie die Prinzipien von Ökologie und Nachhaltigkeit.
"Aber das Leben ist so viel mehr. Wir wissen ja alle, auf jeden Fall ab einem bestimmten Alter, glaube ich, dass Geld allein nicht glücklich macht und dass es so viele andere Facetten gibt im Leben. Dass daraus auch eine Lust und ein Eros entsteht, ein Wirtschaftssystem zu bauen, das viel ganzheitlicher ist und was unser Sinn ist im Leben auch, dass wir damit auch wirtschaftlich was ganz Neues leisten können. Deswegen glaube ich, das zieht viele."

Kritik am Sozialunternehmertum

Natürlich gibt es auch Kritik am deutschen Sozialunternehmertum. Viele von ihnen streben nicht nach Wachstum der eigenen Idee, so der Vorwurf, sondern dem des eigenen Betriebs. Sie verfolgen Ansätze, die nicht erkennen lassen, was an ihnen neu und vor allem besser sein soll als das, was es schon gibt.
Zum Beispiel im Bildungsbereich. Hier begegnen viele den Problemen mit immer neuen Angeboten. Ob diese der jeweiligen Zielgruppe tatsächlich weiterhelfen, analysieren sie nicht. An wirklich innovativen und nachhaltigen Geschäftsmodellen mangelt es daher. Viele bekämpfen die Symptome, nicht aber die Ursachen der Bildungsmisere.
Längst nicht allen Social Start-ups gelingt es also, für einen gesellschaftlichen Mehrwert zu sorgen. Ausdruck eines Wertewandels sind sie dennoch. Meint auch Inas Nureldin von der Tomorrow-Bank.
"Ich hoffe, dass es das neue Normal wird, denn wir haben einfach so viele Herausforderungen, ob es auf sozialer Ebene ist oder auf ökologischer. Es braucht mehr als den Staat, der sich dafür einsetzt. Den braucht es natürlich auch, ganz wichtig. Aber ich glaube, dass gerade Unternehmer*Innen einfach extrem viel Energie freisetzen können, um Wandel schneller herbeizuführen."

Autor/Sprecher: Wolf-Sören Treusch
Regie: Roman Neumann
Technik: Alexander Brennecke
Redaktion: Carsten Burtke

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