Slam Poetry als Schulprojekt

Wenn die Deutschlehrerin "Fuck" und "Scheiße" sagt

Poetry-Session von Filipe Lopes mit Gefangenen im Gefängnis Santa Cruz. Man sieht ihn von hinten vor Zuhörern, in der Hand einen Zettel mit einem Gedicht.
Poetry-Session von Filipe Lopes mit Gefangenen im Gefängnis Santa Cruz. © imago/GlobalImagens
Von Anette Selg · 25.08.2015
An der Berliner Käthe-Kollwitz-Oberschule wird die Lyrik von ihrem hohen Podest geholt. In einem Slam-Poetry-Workshop geht es nicht um Gedichtanalyse, sondern ums Selberschreiben - und auch vulgäre Worte sind keinesfalls verboten.
"Ja, Poetry Slam, ich liebe es, seit vielen Jahren. Es ist wirklich mein persönliches Steckenpferd. Aber ich hab auch meine Masterarbeit über Poetry Slam, also über Intertextualität in Poetry-Slam-Texten geschrieben."
Silke Stecher, Deutschreferendarin.
Lehrerin: "Jetzt hört mal auf Krach zu machen, jetzt geht’s los. Noch n bisschen Konzentration, halbe Stunde, hinsetzen ..."
An der Berliner Käthe-Kollwitz-Oberschule findet in diesem Sommer eine Projektwoche zum Thema Slam Poetry statt. Betreut werden die Schülerinnen und Schüler, alle zwischen 14 und 18 Jahren, von ihrer Deutschlehrerin und der Referendarin Frau Stecher.
"Lyrik ist, glaub ich, auf einem sehr hohen Podest, wird im Alltag ja wenig von den Schülern gelesen, und wenn man jetzt Lyrik im Unterricht macht, ist es erstmal eine ganz schöne Aufgabe, überhaupt Interesse dafür zu wecken, und auch die Schüler an diese Sprache ranzuführen."
Im Slam-Poetry-Workshop geht es nicht um die klassische Gedichtinterpretation oder Gedichtanalyse. Es geht ums Selberschreiben. Von kurzen Szenen, skurril, fantasievoll oder ganz nah am Schüleralltag. – Und auch darum, sich von den Bauarbeiten im Nebenraum nicht aus dem Konzept bringen zu lassen.
Referendarin: "Also, Hörenlassen!"
Schüler: "Hier sind nun, Alex und Benno mit dem Text Pizza
Ich König Artur, der tapfere Ritter der Tafelrunde, warte auf meine Pizza,
Also sattelte er sein treues Steckenpferd Tobias
Ich ritt geschwind los, im Wald erspähte ich eine Horde Räuber, ich zog mein Schwert und rannte zum Dixi-Klo. Fuck, ich schloss die Tür zu.
... Wir sind jetzt da"
"Auch, sag ich jetzt mal, Wörter wie 'Scheiße, Fuck, verdammt' sind normal im Slam, dürfen genutzt werden. Jetzt finden die Schüler das vielleicht erstmal lustig, hahaha. Aber die merken dann selber, darum geht es gar nicht. Es ist nicht wirklich provokativ und lustig, wenn ich zehnmal 'fuck' sage oder irgendwas Schlimmes. Aber durch diese spielerische Annäherungsweise verlieren Schüler die Angst davor und auf einmal sind sie mittendrin und probieren so was auch aus."
Dichten hat mit Gefühl zu tun
Während der Projektwoche schauen sich die Jugendlichen Slam-Poetry-Clips im Internet an, hören den Versuchen der anderen zu und schreiben irgendwann los, allein oder im Team. Und am Ende haben fast alle einen vortragsreifen Text fertig.
"Und was bringt mir eine Eins in Geschichte
wenn trotz geringer Fehlerdichte
und hoher sprachlicher Qualität
die fundierte Klausur nur aus zweierlei besteht:
den vom Lehrer vorgebenen Argumenten
und ein paar verknüpfenden Satzbaukomponenten"
Autorin: "Also es waren echt coole Reime. War das jetzt schwieriger? Oder einfacher?"
Schülerin:"Naja, also, ich weiß nicht, Reimen ist halt schwierig so zu lernen. Deswegen, die Sachen, die ich hatte, die sind mir einfach eingefallen. Und dann hab ich halt versucht, daraus was zu basteln. Ich hab auch mal im Internet nachgeguckt, es gibt so Reimlexika. Das hat auch nicht immer geholfen. Also ich hab einfach nach Gefühl ein paar Wörter aneinandergereiht."
Dichten hat also mit Gefühl zu tun – Und was hat Slam Poetry mit Gedichten zu tun?
"Also Poetry Slam, da steckt zwar das 'poetry' im Namen drin, und viele Texte werden in Gedichtform präsentiert, so mal um Namen zu nennen, Samuel Kramer oder Nora Gomringer bringen wirklich richtig Lyrik auf die Bühne, aber es gibt auch das Genre des sogenannten Story Telling, da wird überhaupt gar nicht gedichtet. Und es gibt das Team Battle, dass Teams von zwei bis vier Autoren gegeneinander auftreten, wo teilweise wirklich Rap-Elemente drin sind."
Beim Schulfest werden die literarischen Ergebnisse vor der ganzen Schule präsentiert, die Aula ist brechend voll.
"Guten Tag, meine Damen und Herren, willkommen zum ersten Poetry Slam an diesem Käthe-Kollwitz-Gymnasium. Fangen wir gleich einmal an. Begrüßen Sie nun den Boss und seinen Gehilfen, Sie sind sich zwar noch immer nicht einig, wer der Boss und wer der Gehilfe ist, aber hier sind sie nun:
Frühaufstehen
Fick dich
Beep
Laanger Schulweg
Zuspätkommen
Beep
Oh, ja
Englisch
Vokabeln
Beep
...
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