Sind Krimis die bessere Literatur?

Am Tatort
Am Tatort © Stock.XCHNG / Nate Nolting
07.10.2006
Lange galten sie als die Schmuddelkinder des Literaturbetriebes, die Krimis. Ihre Fans wurden belächelt, "Schund" zu lesen - allenfalls Klassiker wie Agatha Christie, Patricia Highsmith, Dashiell Hammett oder Philip Marlowe waren gesellschaftsfähig. Das hat sich gründlich geändert, Krimis haben sich längst im Literaturbetrieb etabliert - und zwar nicht nur die Übersetzungen angloamerikanischer Autoren oder der viel gelobten Skandinavier. Auch der deutschsprachige Krimi erlebt einen Boom.
Einer der Hoffnungen: Heinrich Steinfest. Sein neuester Roman "Ein dickes Fell" veranlasste den Literaturkritiker Dennis Scheck im Deutschlandradio Kultur zu wahren Lobeshymnen: "Nun ist Heinrich Steinfest aber nicht irgendein Krimiautor, sondern der Adalbert Stifter des Krimis. Das heißt, seine Bücher leben nicht wirklich von Action, Mord und Totschlag, sondern von ihrer ganz unerhörten altmeisterlichen Schilderungskraft. Steinfest unterhält nicht nur, er öffnet einem buchstäblich die Augen für den Reichtum und die Vielfalt der Schöpfung und die Skurrilitäten des Alltags. Mit einem Wort: sie machen bessere, weil aufmerksamere Menschen aus uns. Mehr kann man von einem Krimi wirklich nicht verlangen."

Der gebürtige Österreicher mit dem charmanten Wiener Akzent nimmt die Lorbeeren gelassen. Er genießt es, mit dem Krimi eine Spielweise gefunden zu haben, die ihm mehr erlaube, als jede andere Art von Literatur: "Es ist ein Genre, das interessante Möglichkeiten bietet. Um mit der Sprache zu spielen, ist es gut. Außerdem darf man Dinge schildern, die man lieber am eigenen Körper nicht spüren möchte. Man kann sich in der Opfer- oder der Täterrolle fühlen, kann gefahrlos durch diese Welten gehen. Ich finde das eine große Chance." Ihn reizt es, die sprachlichen Grenzen des Krimis zu erweitern: "Das ist ja aktuell in der Krimi-Szene auch ein Diskussionspunkt, über den heftig debattiert wird: Was darf der Krimi, was darf er nicht."

Die Berliner Krimiautorin Pieke Biermann hat eine klare Antwort: "Er darf alles, wie die Satire. Da halte ich es mit Tucholsky. Jede Kunst darf alles – wenn sie es denn kann!" Dass sie das Krimi-Fach beherrscht, hat Pieke Biermann mit ihren Romanen wie "Violetta" oder "Potsdamer Ableben" hinlänglich bewiesen. Auch sie genießt die Möglichkeiten des Genres: "Wo sonst könne sie die Realität so nah erzählen? Wie tickt eine Gesellschaft? Der Krimi ist dafür ein wunderbares Vehikel – darüber wollte ich schreiben." Ob ihre Krimis oder ihre Polizeireportagen: Pieke Biermann kennt das Berliner Milieu ganz genau. Die studierte Germanistin arbeitete als Lektorin, Putzfrau, Briefträgerin und Prostituierte und war in den 80er Jahren in der Hurenbewegung "Hydra" aktiv. Heute arbeitet sie als freie Autorin. Ihr Motto: "Ich will Berlin erzählen". Das gelingt ihr auf ihre eigene schnodderig-einfühlsame Art.
Ihr Wunsch: Auch Krimi-Skeptiker zu überzeugen, dass Kriminalliteratur lesenwert ist.

"Sind Krimis die bessere Literatur?" – Darüber diskutiert Dieter Kassel heute gemeinsam heute von 9:07 bis 11 Uhr mit Pieke Biermann und Heinrich Steinfest, in der Sendung "Radiofeuilleton – Im Gespräch". Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800/22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Literaturhinweis:
Die Kriminalromane von Pieke Biermann sind im Rotbuch Verlag erschienen,
Heinrich Steinfests Bücher im Piper Verlag.