Simple Problemanalyse

27.06.2011
Der deutsche Philosoph Robert Spaemann, geboren 1927, vertritt nach eigenen Worten einen linken Katholizismus. Seit vielen Jahren engagiert er sich auch gegen die atomare Bedrohung. Die jetzt erschienenen Essays zeigen, wie dieses Thema sein Denken beherrscht hat.
Spaemann ist ein ausgesprochen klarer philosophischer Autor und analysiert die Problemlage nüchtern und vollständig, allenfalls ordnet er den zweifelhaften Fortschrittsbegriff in den Horizont seiner Funktionalismuskritik ein. Er kommt zu dem nicht überraschenden Ergebnis, dass sich die Nutzung der Kernkraft zur Energiegewinnung mit nichts rechtfertigen lasse.

Bereits in seinem ersten Essay "Technische Eingriffe in die Natur als Problem der Ethik" zeigt er die Inkorrektheit der Befürworterargumente auf. Das "Restrisiko" der Kernenergie sowie die Lagerproblematik über viele Jahrtausende geben den eindeutigen Ausschlag. Ebenso wenig würde man seine Kinder verwetten wie das Risiko eingehen, ganze Landstriche unbewohnbar zu machen.

Liest man Spaemann in den Artikeln, Essays und Interviews von 1979-2011, gibt es eigentlich nur erstaunt festzustellen, dass eine wirklich simple Problemanalyse mit selbstevidenten Argumenten gegenüber der berüchtigten "Atom-Lobby" keine Chance hatte und erst heute, mit dem Schwenk der CDU auf den Kurs der Grünen zu ihrem Recht kommt.

Spaemann tritt in seinen Atomkraft-Texten sozusagen als Philosophen-Experte auf, dessen philosophische Analyse recht unabhängig von seinen individuellen philosophischen Ansichten abläuft. "Es genügt die Vernunft zu gebrauchen, um zu wissen, was gut und schlecht ist." Da muss man nicht Gott bemühen. Sein Glaube an eine göttliche Wurzel der Vernunft hindert ihn nicht, eine gleichsam übersetzbare Argumentation zu entwickeln, die auch ohne einen Gottesbezug gültig ist. In einem Interview von 1988 spitzt er seine Kritik zu, indem er die Frivolität der Beteiligten in ihren Handlungen geißelt: Man könne in der Kernkraft nicht einmal anfangen, ohne die Nachkommen zu verwetten.

Dieses Buch ist in einem redlichen Philosophieton geschrieben, man kann ihm in der Sache nur kopfschüttelnd zustimmen: Was 1979 zutraf, trifft ebenso heute zu – schließlich bleiben auf der Welt auch nach Abschaltung der bundesdeutschen Reaktoren noch an die 400 in Betrieb.

Besprochen von Marius Meller

Robert Spaemann: Nach uns die Kernschmelze. Hybris im atomaren Zeitalter
Klett-Cotta, Stuttgart 211
108 Seiten, 12,95 Euro