"Sie werden die Kette der Zensur noch enger ziehen"

Von Farhad Payar · 03.08.2005
Nach der Wahl des Klerikers Mahmud Ahmadinedschad zum neuen Präsidenten geben sich die iranischen Kulturschaffenden pessimistisch. Da er schon als Bürgermeister von Teheran die Etats von Kulturzentren kürzte, sei nun mit verstärkter Repression zu rechnen, fürchten einige.
Manijeh Hekmat: "Wir haben uns daran gewöhnt, Krisen zu überwinden. Wir werden Wege finden, um weiterzumachen, denn wir tragen auch eine soziale Verantwortung !"

Die Regisseurin und Filmproduzentin Manijeh Hekmat geht davon aus, dass mit dem neuen Präsidenten neue Krisen aufkommen - vor allem innenpolitisch.

Den Grund für diese Annahme liefern die bisherigen Taten und Stellungnahmen des neuen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Als Bürgermeister von Teheran ließ er den Parkplatz des einzigen renommierten Theaters der Stadt, Theatre Shahr, zu einer Moschee umbauen. Er kürzte die Etats der Kulturzentren, und sorgte dafür, dass Rockbands in den staatlichen Konzertsälen nicht auftreten dürfen. Private Säle sind rar und zudem sehr teuer.

Nun, als Staatspräsident, habe er größere Möglichkeiten, den Künstlern das Leben schwerer zu machen, glaubt Manijeh Hekmat. Doch für unabhängige Filmemacher könne die Situation nicht schlimmer werden:

"Den Kinomachern geht es sowieso schlecht, auch finanziell. Leider war die Politik der Regierung von Herrn Khatami im Bezug auf das Kino in den letzten drei Jahren katastrophal. Alle Möglichkeiten waren nur für eine handverlesene Gruppe von Filmemachern da, und der Rest musste zusehen. Auch die Zensur war schrecklich. Also wird sich für das bankrottierte iranische Kino nichts ändern."

Ähnlich soll es in der Musikindustrie zugehen. Auch dort habe die Regierung bis jetzt wenige Leute gefördert und die Mehrheit benachteiligt, klagen viele Musiker. Der Musikproduzent Babak Chaman Ara hofft sogar auf kurzfristige Verbesserung:

"Meine Logik sagt mir, dass jeder, der eine neue Verantwortung übernimmt, ob Minister, Präsident oder Leiter eines Amtes, der wird in den ersten Tagen und Monaten für Entspannung sorgen und Positives tun. Was aber die langfristige Kulturpolitik der Regierung sein wird, ist noch nicht klar."

Die Probleme, mit denen Musiker und Musikproduzenten zu kämpfen haben, werden allerdings Ahmadinedschad und sein Kulturminister nicht lösen können - und wahrscheinlich auch nicht wollen. Nach wie vor betrachten viele führende Kleriker die Musik als ein satanisches Machwerk. Sie haben bei den Wahlen Ahmadinedschad unterstützt und er wird nicht gegen den Willen der Kleriker etwas durchsetzen wollen - und können. Und so werden die Probleme, die Babak Chaman Ara seit Jahren plagen, weiterbestehen:

"Wir haben Probleme mit dem Vertrieb und mit der Werbung, das Kulturministerium leistet der Musikindustrie keinerlei finanzielle Hilfe, wir haben Probleme mit der Zensur. Und der Schwarzmarkt ist eine zusätzliche Last für uns. Solange die Regierung bestimmte Musikarten verbietet, solange Frauen nicht öffentlich singen dürfen, solange bestimmte Musiker keine Genehmigung bekommen, genauso lange werden viele Musiker ihre Werke illegal produzieren und verbreiten - auch durch das Internet. Wenn nichts von oben geschieht, werden viele in der Musikindustrie arbeitslos, und viele andere werden ihren Beruf ändern müssen".

Über Arbeitslosigkeit, Armut und auch über die Verbreitung von Drogen und Prostitution unter den Jugendlichen schreibt Ali Ashraf Darwischian seit über 40 Jahren. Der unnachgiebige Aktivist des verbotenen Schriftstellerverbandes behandelt in den letzten 40 Jahren in seinen Erzählungen aktuelle Themen, und wurde dafür immer wieder bestraft und bedroht. Auch in Zukunft würde das der Fall sein, glaubt Darwishian:

"Sie werden die Kette der Zensur noch enger ziehen, sie werden mehr Druck ausüben. In ihren Gedanken und Äußerungen kann ich nicht erkennen, dass sie Befürworter der Freiheit, sind, Freiheit des Wortes und des Geistes. In den letzten 25 Jahren ging es uns jeden Tag schlechter und das wird sich fortsetzen. Dieses Regime kann aber nicht so weitermachen. Es hat keine Legitimation. Die Menschen müssen in einem freien Referendum sich dazu äußern können, ob sie überhaupt dieses Grundgesetz akzeptieren oder nicht."

Der greise Erzähler mahnt, dass Diktaturen ihre Macht auf Unwissenheit und Verdummung der Menschen aufbauen. Um die Wurzel einer Diktatur zu trocknen, müssten die Menschen gebildet werden, so Darwischian. Daher sei die Aufgabe der Intellektuellen an erster Stelle die Bildung einfacher Menschen:

"Ich versuche alle Menschen in meiner Umgebung zum Lesen von Büchern zu motivieren. Wenn ich zum Bäcker gehe, nehme ich für sie Zeitungen mit. Wenn ich bei einem Obsthändler bin, befreunde ich mich mit ihm und bringe ihm dann Bücher."

Auch für den Theaterregisseur Farhad Mohandespour sind Unwissen und Aberglaube zwei Dämonen, die jede Gesellschaft bedrohen. Der bisherige Leiter der Abteilung "Bewertung der Stücke" beim "Zentrum für dramatische Künste" ist ein Anhänger leiser Reformen, doch diese müssten nicht nur auf politischer Ebene stattfinden, sonder auch in den Köpfen der Einzelnen:

"Wir Iraner denken, die Reformen würden an einer ernsthaften Stelle da oben beginnen und an einer ernsteren Stelle aufhören. Das ist aber falsch. Dazu noch: seit Jahrhunderten warten wir darauf, dass ein Held auf einem weißen Pferd erscheint und unsere Probleme löst. Nein, wenn etwas grundsätzlich verändert werden soll, dann müssen wir alle uns ändern. "

Mohandespour ist einer der Optimisten, die in jeder Situation an die Vernunft der Menschen glauben. Er kann sich nicht vorstellen, dass die neue Regierung, trotz steigender internationaler Spannungen, Interesse an Konfrontationen mit dem Ausland hätte, oder die Kulturschaffenden an ihren Aktivitäten hindern würde.

"Das hoffe ich jedenfalls. Manchmal sage ich zu mir: du hast keine andere Wahl als zu hoffen. Aber ich denke, nichts kann man mehr rückgängig machen. Zum Beispiel im Bereich des Theaters ist die Zahl der jungen Talente gestiegen. Auch die Zuschauerzahl steigt ständig. Doch trotzdem müssen wir abwarten, und sehen, was demnächst passiert."

Die Kinoschauspielerin und Dokumentarfilmerin Pegah Ahangaran denkt ähnlich. Sie fürchtet zwar, die neue Regierung würde kurzfristig islamische Werte härter durchzusetzen versuchen, doch längerfristig würde auch sie zu Reformen gezwungen sein. Die Bevölkerung würde sich strengen Maßnahmen widersetzen. Ahangaran hatte bei den Wahlen den Kandidaten der Reformer, Mostafa Moin, unterstützt, denn:

"Der einfachste Weg zum Erreichen unserer Ideale sind Reformen. Ein gewaltsamer Sturz dieses Systems würde uns zurückfallen in die Zeit der revolutionären Phase vor 25 Jahren. Das Problem ist nur, dass die Reformer die Menschen nicht genug aufgeklärt haben. Man muss erst kulturell eine Basis für Reformen schaffen, dann politische Reformen durchführen. Das Ergebnis dieser Wahl ist eine große Niederlage der Reformer. Ich hoffe, dass sie davon lernen für die Zukunft."

Die 20-jährige Ahangaran hatte vor der Wahl mit etwa 20 anderen jungen Leuten ein Komitee zur Unterstützung des Reformers Moin gegründet. Ihre Mitstreiter stammen alle aus der Kulturszene. Nach der Niederlage ihres Lieblingskandidaten haben sich 14 von ihnen entschieden, den Iran zu verlassen. Für sie ist die Wahl eines Erzkonservativen ein Vorbote der neuen Repressalien. Pegah Ahangaran ist noch unentschlossen:

"Ich weiß noch nicht, ob ich im Iran bleibe oder auswandere. Ich möchte aber bleiben und hier arbeiten, ich möchte Filme machen. So lange es die Situation erlaubt, werde ich bleiben und Auswege finden, um zu arbeiten, um meine Filme zu drehen."