"Sie hat gesagt, ich habe es richtig gemacht"

Karoline Herfurth im Gespräch mit Jürgen König · 07.09.2009
Die Schauspielerin Karoline Herfurth erzählt von einer aufwühlenden Begegnung mit der von ihr dargestellten Gretel Bergmann. Der Film "Berlin '36" beschreibt, wie die Teilnahme der jüdischen Weltklasse-Sportlerin an den Olympischen Spielen 1936 von den Nazis verhindert wurde.
Jürgen König: Die Gretel Bergmann in dem Film "Berlin ’36" spielt Karoline Herfurth, und auch mit ihr konnte ich letzte Woche sprechen. Ich fragte sie, was für ein Erlebnis es denn gewesen sei, nach so langer Arbeit an der Rolle dann in New York die echte Gretel Bergmann zu treffen.

Karoline Herfurth: Ja, es war ein sehr, sehr, sehr besonderes Erlebnis, auf das ich, ehrlich gesagt, emotional nicht ganz vorbereitet war, weil mir nicht ganz klar war, was für Gefühle da auf mich einprasseln werden. Ich habe schon gehört, sie hat den Film gesehen, und ich wusste schon, dass sie glücklich war mit dem Film, von daher …

Jürgen König: Das war ja schon mal eine Hilfe.

Herfurth: Ja, genau, war ich schon mal ein bisschen beruhigt und trotzdem war es für mich das Wichtigste natürlich, was wird sie sagen?

Jürgen König: Und was hat sie gesagt?

Herfurth: Sie hat gesagt, ich habe es richtig gemacht. Aber das war nicht das Wesentliche, das Wesentliche war, dass ich ihr begegnet bin, und in dem Moment, als ich vor ihr stand, musste ich mich wahnsinnig zusammenreißen, nicht sofort anzufangen zu weinen, weil ich so überwältigt wurde von so vielen Emotionen, die da auf mich eingestürzt sind, und ich war so verschüchtert und ich konnte überhaupt nichts sagen. Ich war völlig gefangen in Schüchternheit und in Respekt. Dieser Moment, dass so eine Figur, die du gespielt hast, einen Menschen, in den du dich so eingegraben hast, in dem du so gesucht hast, den du interpretiert hast, den du gezeigt hast, über den du so viel gelesen hast, über den du so viel auf so intime Art und Weise erfahren wolltest – plötzlich stehst du vor diesem Menschen! Ich hatte so das Gefühl, es tut mir leid, dass ich dir was gestohlen habe. Ich hatte das Gefühl, ich darf da gar nicht … plötzlich darf ich da gar nicht mehr rein, es ist doch ihres!

Jürgen König: Man dringt ja in etwas Intimes ein, ja.

Herfurth: Genau, und man fühlt sich so wie so ein Voyeur, der da irgendwie nichts zu suchen hat. Und dann habe ich mich ein bisschen geschämt vor ihr einfach, dass ich sie so, ja, fast missbraucht habe, so hat sich das in dem Moment so angefühlt. Aber sie war … Das Erste, was sie gesagt hat: "Don’t be shy with me, please, don’t - not with me, you don’t have to be shy with me!" Und sie ist so direkt und so klar und so warmherzig und offenherzig, dass sie mir das dann auch ganz schnell genommen hat, die Befangenheit, die ich da hatte. Zum anderen war es halt das erste Mal in meinem Leben die Erfahrung, dass ich mich unglaublich geschämt habe, aus Deutschland zu sein, weil man natürlich als Deutscher viel sieht, viel erzählt bekommt, viel an dieses Thema rangeführt wird. Man hatte das in der Schule, man besucht die KZs, ich war in Theresienstadt, da war ich noch sehr, sehr klein, also, es hat schon immer sozusagen es spielt immer eine Rolle, von klein auf. Und trotzdem, in dem Moment, wo du so einem Menschen gegenüberstehst, der das erlebt hat und mit dem du dich so identifiziert hast und in den du dich so reingedacht hast und durch dessen Haut oder durch dessen Geschichte du das noch mal erlebst, ist es eine andere Dimension. Es wurde plötzlich, in dem Moment, wo sie vor mir stand, so unverleugbare Wahrheit. Dann habe ich dieses Dokument in der Hand gehabt, …

Jürgen König: Den Brief.

Herfurth: … den Brief, genau, von den Nationalsozialisten, der sie dann ausgeschlossen hat von der Olympiade. Ich wollte mich am liebsten die ganze Zeit nur entschuldigen und wusste, ich kann das gar nicht, aber dass so was möglich ist, das hat mich so erschlagen, diese Grausamkeit, und das war ganz furchtbar.

Jürgen König: Karoline Herfurth, sie spielt die Rolle der Hochspringerin Gretel Bergmann im Film von Kaspar Heidelbach "Berlin ’36", zu sehen ab Donnerstag in unseren Kinos.
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