Sicherheitsexperte kritisiert puritanische Moralvorstellungen in den USA

15.11.2012
CIA-Chef Petraeus stürzt über ein außereheliches Verhältnis - wäre so etwas auch in Deutschland denkbar? Bei uns würde eine solche Affäre deutlich weniger Aufregung auslösen als in den USA, glaubt der Sicherheitsexperte Karsten Voigt.
Ute Welty: Wenn Sie jetzt Papier und Bleistift am Mann oder Frau haben, wird vieles einfacher. Denn eine Zeichnung dürfte enorm weiterhelfen, um folgenden Zusammenhang zu verstehen: CIA-Chef David Petraeus mit Ehefrau und zwei Kindern tritt zurück, weil er eine Affäre mit seiner ebenfalls verheirateten Biografin hatte. Diese wiederum schreibt Droh-Mails an eine verheiratete Freundin der Familie. Die stand ihrerseits in Mail-Verkehr mit dem verheirateten Afghanistan-Kommandeur John Allen. Außerdem spielen noch mit ein unbekannter FBI-Agent in Florida, mehrere republikanische Politiker und ein Präsident, dem die ganze Geschichte den Beginn seiner zweiten Amtszeit zu verhageln scheint. Was ist da los in Amerika? Diese Frage gebe ich gern weiter an Karsten Voigt, ehemals Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Guten Morgen!

Karsten Voigt: Schönen guten Morgen!

Welty: Ein Mann verliebt sich offenbar in eine Frau, die nicht seine eigene ist. Das soll ein oder zwei Mal schon vorgekommen sein in der Geschichte der Menschheit. Warum jetzt in diesem speziellen Fall diese Riesenaufregung?

Voigt: Die eine Aufregung ist spezifisch amerikanisch, die andere ist sozusagen generell da. Die spezifisch amerikanische ist, dass man eine außereheliche Affäre, die ein Mann oder eine Frau hat, an sich schon als ein so großes Problem ansieht. Das, glaube ich, würde bei uns in Deutschland anders gesehen, zumindest habe ich diese Erfahrung gemacht. Die zweite, der zweite Gesichtspunkt ist derjenige, ob sicherheitsrelevante Informationen gefährdet waren und ob sicherheitsrelevante Informationen weitergegeben wurden. Dieser Vorwurf ist zwar in der Luft, aber bisher in keinem Fall erwiesen. Und wenn es wirklich um sicherheitsrelevante Informationen geht, dann ist natürlich ein Eingreifen von Sicherheitsdiensten und von Polizei und FBI gerechtfertigt und wäre auch unter unseren Umständen sozusagen als legitim anzusehen. Aber um solche Vorwürfe geht es ja bisher nicht.

Welty: Aber zumindest bleibt es doch erst mal bei dem, was die "Süddeutsche Zeitung" heute schreibt: Petraeus hat seine Frau betrogen, aber nicht sein Land.

Voigt: Ja, und der amerikanische Ehrenkodex - der gilt natürlich für Offiziere und Oberkommandierende genau so wie für einfache Soldaten - sieht vor, dass in solchen Fällen Disziplinarmaßnahmen oder vielleicht sogar gerichtliche Maßnahmen nach den jeweiligen Militärgerichten vorzusehen sind. Da muss sich der Oberbefehlshaber dann genau so daran ... oder der kommandierende General genau so dran halten wie alle anderen seiner Offiziere. Das ändert aber nichts daran, dass meiner Meinung nach diese Bestimmungen, die in den USA bestehen und die für alle gelten, die im Militär sind, dass diese Bestimmungen nach meiner Ansicht falsch sind. Und ich glaube, dass das in Deutschland in einem solchen Fall auch anders gehandhabt würde. Dieser Teil, dass es sich um eine außereheliche Beziehung handelt. Zumindest im politischen Leben ist das anders, aber auch in dem Leben, wo es um die Mischung von Politik und vielleicht um vertrauliche oder geheime Informationen geht, würde eine außereheliche Affäre als solche, glaube ich, nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit bedacht werden, wie das in den USA der Fall ist, oder als Problem angesehen werden wie in den USA.

Welty: Aber dieses Sicherheitsrisiko, was Sie beschrieben haben, diese Erpressbarkeit oder das Risiko der Erpressbarkeit, das besteht doch vor allen Dingen deswegen, weil die Gesellschaft, auch die amerikanische und eben vor allen Dingen die amerikanische, eine außereheliche Beziehung nicht akzeptiert. Erstickt man da sozusagen an seiner eigenen Moral?

Voigt: Ja, ich glaube, das ist der Fall. Also, ich meine, deshalb muss man diesen Unterschied machen zwischen der außerehelichen Beziehung als solcher, die bei Menschen im Stress, bei Leuten, die weit weg von ihren Familien sind häufig, natürlich häufiger sein wird sogar noch als im Rest der Bevölkerung. Beim Rest der Bevölkerung soll so was ja auch nicht so selten. Also, dieser Teil der puritanischen Moral und der damit verbundenen Regeln und Ehrenkodexe und gesetzlichen Bestimmungen, die halte ich für äußerst problematisch, aber das ist eine Frage an die amerikanische Gesellschaft, wie sie das neu orientiert. Und die Debatte beginnt ja jetzt darüber. Aber die zweite Frage, die natürlich immer ist, wenn solche Leute in solchen hohen Positionen sind, ob im Kontext mit solchen Leidenschaften dabei sicherheitsrelevante Dinge passieren, die problematisch sind, das ist ... darüber kann man legitim nachdenken, da kann man legitim untersuchen, aber das ist ja ihm bisher gar nicht vorgeworfen worden.

Welty: Petraeus wie Allen sind hoch dekoriert, kriegserfahren, haben wahrscheinlich mehr gefährliche Situationen gemeistert als wir beide uns das auch nur vorstellen können. Wie konnten sie auf die blöde Idee kommen, dass das alles nicht auffliegt? Ist das eine Allmachtsfantasie?

Voigt: Also, zuerst einmal, so weit ich informiert bin und das aus den Veröffentlichungen weiß, haben sie ja versucht, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, um den Zugang zu diesem E-Mail-Verkehr zur erschweren. Also, die waren sich ...

Welty: Ja, aber eine E-Mail ist doch wie eine Postkarte, das ist doch ein offenes Geheimnis!

Voigt: Die waren sich offensichtlich der Problematik durchaus bewusst. Aber die Leidenschaften waren offensichtlich noch stärker. Und die Vorstellung allerdings, dass jemand, der in leitender Funktion stünde, einem Sonderrecht unterstünde und dass er deshalb nicht damit rechnen müsste, dass so etwas überprüft wird, die ist naiv.

Welty: Petraeus ist schon zurückgetreten, das berufliche Schicksal Allens noch nicht ins Letzte geklärt. Was vermuten Sie, welche Schritte Präsident Obama einleitet?

Voigt: Der wird jetzt vor allen Dingen darauf achten, dass er keine Fehler macht. Und die Fehler können im doppelten Sinne bestehen: Dass er das verharmlost, also eventuell im Sinne von: 'Mich stört das nicht.' Das kann er nicht machen, solange die Ehrenkodexe und die Regeln der amerikanischen Streitkräfte nicht geändert sind. Aber andererseits, dass er nicht sozusagen den Republikanern, die das ja offensichtlich mit der Bengasi-Affäre in Verbindung zu bringen suchen - sie haben ja jetzt offensichtlich auch den Petraeus vorgeladen, um mit ihm über Libyen noch mal zu diskutieren -, die das also so im Sinne von Sex und Crime zu vermischen suchen, dass er denen nicht auf den Leim geht. Also, das ist ein sehr komplexes Gebilde, da muss er sehr aufpassen. Und vor allen Dingen muss er mit sich, während andere Dinge viel problematischer sind, nämlich finanzielle Probleme der USA und der sogenannte Cliff oder innenpolitische Reformen, muss er sich mit solchem Blödsinn beschäftigen!

Welty: Karsten Voigt, ehemals Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, ich danke für die Einschätzung hier in Deutschlandradio Kultur!

Voigt: Ich danke auch!

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