Seyran Ates über Deniz Yücel

"Doppelte Staatsangehörigkeit wird ihm zum Verhängnis"

Yücel sitzt als Gast einer Talkshow auf dem Podium.
Fast zwei Wochen befand sich Deniz Yücel in Polizeigewahrsam in der Türkei. Am Montag verhängte ein Richter Untersuchungshaft. © dpa/Karlheinz Schindler
Seyran Ates im Gespräch mit Nana Brink · 28.02.2017
Die Empörung in Deutschland ist groß: Ein türkischer Richter verhängte Untersuchungshaft gegen den Türkei-Korrespondenten der "Welt", Deniz Yücel. Die Anwältin Seyran Ates meint: Es war klar, dass man Yücel irgendwann "greifen" würde.
Nach Auffassung der Anwältin und Menschenrechtsexpertin Seyran Ates musste "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel damit rechnen, in der Türkei inhaftiert zu werden. Gründe seien Yücels doppelte Staatsangehörigkeit und dessen kritische Berichterstattung über die Kurdenproblematik in der Türkei.
Der "Welt"-Korrespondent besitze sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Angesichts seiner Arbeit hätte er, so Ates, "langfristig überlegen und eher die türkische abgeben sollen". So aber könne Deutschland "eigentlich nichts" für ihn tun: "Die doppelte Staatsangehörigkeit wird ihm zum Verhängnis in diesem Fall."
 am 17.07.2016 während der ARD-Talksendung "Anne Will" zum Thema "Putschversuch in der Türkei - Was macht Erdogan jetzt?"
Die Rechtsanwältin Seyran Ates sagt, Deutschland müsse weiter Druck auf die Türkei ausüben - auch wenn die Aussichten nicht gut seien.© picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler
Die Frage sei auch immer, inwiefern man sich selbst schädige oder in Gefahr begebe: "Er hat ganz klar seinen Job gemacht, er hat sehr gut geschrieben, war eine der kritischsten Stimmen in Bezug auf die Kurdenproblematik in der Türkei. Aber jeder, der seine Artikel gelesen hat, (…) hat immer wieder auch sich gefragt: Wie lange geht das noch gut?" Es sei klar gewesen, dass man ihn irgendwann "greifen" würde. Yücel sei "nicht dumm und konnte das wissen", meinte Ates: "Und dann bleibt nur noch übrig, dass einige sagen, dass er das darauf ankommen lassen hat, weil das eben sein Job ist, den er macht, dass er das ausgereizt hat."
Zu den Handlungsoptionen Deutschlands im Fall Yücel sagte unsere Hauptstadt-Korrespondentin Gudula Geuther : "Die Bundesregierung kann kritisieren, sie kann vielleicht wirtschaftlich drohen - aber ganz klar benennen lassen sich die Möglichkeiten nicht. Einfach ist es nicht."

Yücel ist einer von 150 inhaftierten Journalisten

Unser Korrespondent in Istanbul, Reinhard Baumgarten , berichtet unterdessen, der Fall Deniz Yücel habe in der Türkei selbst kaum Wellen geschlagen:
"Deniz Yücel ist mittlerweile einer von 150 Journalisten, die hier in Haft sitzen, ohne Anklage in dieser Untersuchungshaft, die bis zu fünf Jahre dauern kann. Insofern (…) ist das hier fast schon Alltag geworden."
Keiner sei wegen seiner journalistischen Arbeit oder journalistischer Vergehen inhaftiert worden, sondern "wegen Vorwürfen etwa, die lauten − wie jetzt auch im Fall Deniz Yücel − Propaganda für eine Terrororganisation, Aufwiegelung (…) der Bevölkerung, Mitglied in einer Terrororganisation usw. Da sagen Menschenrechtsorganisationen: Das ist an den Haaren herbeigezogen, um Kritiker mundtot zu machen."
Insgesamt habe sich die Situation der Medien in der Türkei seit dem Putschversuch im vergangenen Sommer "drastisch verändert": Zeitungen, Fernsehanstalten, Radiosender, Verlage seien geschlossen worden. Baumgarten hat inzwischen selbst "ein mulmiges Gefühl" bei seiner Arbeit in der Türkei. Dazu meint der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Frank Überall : "Ich habe den Eindruck, dass hier ganz bewusst ein Klima der Angst geschaffen werden soll, um unliebsame Berichterstattung unmöglich zu machen."
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