Sexualwissenschaftler Martin Dannecker

Die Akzeptanz der Unterschiede

Martin Dannecker
Der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker zu Besuch bei Deutschlandfunk Kultur © Deutschlandradio/Jana Demnitz
Moderation: Katrin Heise · 21.07.2017
Der Sexualforscher und Aktivist Martin Dannecker ist eine zentrale Figur der deutschen Schwulenbewegung: Seit den 70ern interveniert er in gesellschaftspolitischen Debatten - ob mit Büchern, Filmen oder scharfsinnigen Analysen.
Er hat das Standardwerk zur Homosexualität in Deutschland verfasst: Der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker ist bekannt für seine scharfsinnigen Gesellschaftsanalysen, seine Forschungen zu Aids und HIV und für den Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er lebt", den er mit Rosa von Praunheim gemacht hat und an dem ihm insbesondere die selbstkritische Dimension wichtig ist.
"Ich habe immer auf dem Unterschied beharrt, und wenn es um Anerkennung und Akzeptanz geht, geht es auch um die Anerkennung des Differenten, und nicht nur die Erwartung, gleich zu werden."

Die Kindheit eines Außenseiters

Dabei war es nicht der gerade Weg, auf dem der heute 74-Jährige zu einem der führenden Forscher auf diesem Gebiet in Deutschland wurde: Aufgewachsen ist er im Schwarzwald – fern der Freiheit der Großstadt, die er erst später schätzen lernen konnte.
"Das war die Kindheit eines Außenseiters. Die Kindheit eines differenten Knaben, was möglicherweise auch damit zu tun hatte, dass es auch die Kindheit eines Knaben war, dessen Vater erst nach drei Jahren aus dem Krieg zurückkam. Ich kannte meinen Vater gar nicht, und es trat ein fremder Mann in diese kleine Gruppe aus meiner Mutter und mir. Das brachte nicht geringe Irritationen mit sich."

Tabuthema Sexualität

Als Jugendlicher erkannte Martin Dannecker bald, dass sein Blick auf das gleiche Geschlecht für ihn der interessantere war – und das in einer Zeit und in einem Umfeld, in denen nicht nur Homosexualität, sondern auch Sexualität insgesamt ein Tabuthema war.
"Auch in der Familie hat man nicht darüber gesprochen. Das war so eine Erfindung in Peergroups: Wir haben natürlich als Jungs darüber gesprochen, was mit uns vorgeht, welche Veränderungen da sind und welche Fantasien. Und da war natürlich schon die Differenz spürbar, dass ich merkte, es gibt ein Begehren, das in eine andere Richtung weist. Also das, was die anderen thematisieren, in welche Richtung das Begehren weist, das gilt für mich nicht in dieser Weise, weil ich einfach merkte: Mir fehlt die Begeisterung dafür."

Sprechen über den eigenen Lebenszusammenhang

Nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann wird Dannecker staatlich diplomierter Schauspieler, um sich kurz darauf der Soziologie und schließlich der Sexualwissenschaft zuzuwenden. Als Universitätsprofessor, Sexualtherapeut, Supervisor, Buchautor und Aktivist hat er wie kein zweiter die deutsche Gesellschaft in ihrem Umgang mit der Homosexualität begleitet. Gerade wegen seiner eigenen Lebenserfahrung war es ihm besonders wichtig, immer die nötige Distanz zu dem Thema zu wahren.
"Die eigene Betroffenheit ist dann manchmal schwierig, wenn man über einen Lebenszusammenhang spricht, dem man selber angehört, so dass man so weit gehen muss, dass man sich, wenn man so möchte, selbst infrage stellt. Nichts ist schrecklicher, als aus der eigenen Lebenserfahrung eine Privattheorie zu machen – das ist uninteressant und langweilig und bringt weder das Verständnis noch die Welt weiter."
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