Sexualstraftäter werden kaum überwacht

Georg Ehrmann im Gespräch mit Gabi Wuttke · 28.01.2010
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann, hat die Bundesländer aufgefordert, mehr Geld und Personal für die Überwachung von rückfallgefährdeten Sexualstraftätern bereit zu stellen, die Kinder missbraucht haben.
Gabi Wuttke: Die Gefahr ist groß, dass sie sich wieder an Kindern vergreifen. Trotzdem werden sie nach Verbüßung entsprechender Strafen wieder in die Freiheit entlassen, Kinderschänder, die verurteilt wurden, bevor der Gesetzgeber auch die Möglichkeit lebenslanger Sicherungsverwahrung in Deutschland schuf. Wie aber können Kinder vor diesen kranken Männern geschützt werden, denen ein hohes Risiko, rückfällig zu werden, bescheinigt wurde? – Am Telefon ist jetzt der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann. Guten Morgen!

Georg Ehrmann: Guten Morgen, Frau Wuttke.

Wuttke: Herr Ehrmann, wie viele bereits verurteilte Männer in Deutschland gelten derzeit eigentlich als akut rückfallgefährdet? Gibt es da eine Zahl?

Ehrmann: Es gibt leider keine Statistiken zu diesem Thema, aber es sind geschätzt gerade diejenigen, die aufgrund von bestehenden Lücken nicht in die Sicherungsverwahrung genommen werden können – um die geht es ja letztendlich -, rund 150 Sexualstraftäter in Deutschland.

Wuttke: Welche Auflagen hat der Gesetzgeber denn angeordnet, um Kinder vor diesen Männern zu schützen?

Ehrmann: Das ist die sogenannte Führungsaufsicht. Die wird dann angeordnet. Da hat das Gericht die Möglichkeit, den Männern ganz konkret zu untersagen, gewisse Berufe auszuüben, dass sie nicht als Kindergärtner arbeiten können. Er darf Kontaktverbote aussprechen, dass sie sich nicht Kindern nähern dürfen, ganz konkret zu sagen, du darfst nicht in das Schwimmbad reingehen, du darfst dich nicht dem Spielplatz nähern. Es sind immer ganz konkrete Weisungen, die die Vollstreckungskammer dann den Straftätern macht.

Überwacht wird das ganze allerdings im Wesentlichen von einem Bewährungshelfer und der Bewährungshelfer ist derjenige, der Sexualstraftätern, aber vor allen Dingen normalen Straftätern bei ihrer Resozialisierung helfen soll. Das sind Sozialpädagogen, die sind ausgebildet, um Straftätern den Weg in die Gesellschaft zu ebnen. Mit der Überwachung von Sexualstraftätern sind diese vollkommen überfordert, weil sie dafür nicht ausgebildet sind und weil im Schnitt so auf einen Bewährungshelfer 80 bis 100 Klienten kommen, so dass da auch eine Überwachung dieser Maßnahmen nur sehr schwer möglich ist.

Wuttke: Das heißt, eine Therapie beispielsweise ist keine Pflicht?

Ehrmann: Eine Therapie ist keine Pflicht. Es gibt keine Therapieverpflichtung. Es gibt nur die Verpflichtung, eine Ambulanz aufzusuchen. Der muss dann da quasi hingehen, muss nachweisen, dass er da war. Es ist aber nicht anzuweisen, dass er sich einer Therapie zu unterziehen hat, und vor allen Dingen, dass eine Therapie auch erfolgreich nachgewiesen werden muss. Das ist nicht möglich nach deutschem Recht.

Wuttke: Wenn Sie jetzt sagen, die Auflagen, die der Gesetzgeber vorsieht, können eigentlich gar nicht befolgt werden, ist dann eine Rundumbewachung durch die Polizei der einzige Weg?

Ehrmann: In Extremfällen ist es der einzige Weg. Es geschieht ja auch. In Nordrhein-Westfalen ist gerade so ein Fall, da hat die Polizei das Risiko des Rückfalles als so hoch eingestuft, dass 24 Stunden überwacht wird. Das kostet natürlich sehr viel Geld, bis zu 100.000 Euro im Monat. In anderen Bundesländern wie Berlin erfolgt eine solche Rundumüberwachung nicht, da wird sporadisch geguckt, und da ist natürlich dann auch die Gefahr, dass etwas passiert, wesentlich größer. Allein in Berlin sind in den letzten zwei Jahren sechs schwere Sexualstraftäter wieder rückfällig geworden, obwohl sie unter der Führungsaufsicht standen.

Wuttke: Sollte man da Ihrer Ansicht nach also nicht auf Geld und Personalmangel schauen, oder gibt es andere Dinge, die der Gesetzgeber tun müsste, um Kinder vor diesen 150 Männern, die es in Deutschland in dieser Risikogruppe derzeit gibt, zu schützen?

Ehrmann: Das eine ist sicherlich, die letzten Lücken bei der Sicherungsverwahrung zu schließen. Das würde einiges bewirken. Die Führungsaufsicht ist ein gutes Instrument, um Sexualstraftäter, sage ich mal, einigermaßen zu überwachen. Es setzt aber dann voraus, dass die Bundesländer die Justizbehörden entsprechend mit Personal ausstatten, denn es wird Fälle geben, die kommen nicht in die Sicherungsverwahrung, die bleiben trotzdem hoch gefährlich, sie müssen überwacht werden. Da wäre der Einsatz der elektronischen Fußfessel, was in anderen europäischen Ländern erfolgreich läuft, auch ein Baustein.

Aber vor einer Illusion muss gewarnt werden: die hundertprozentige Sicherheit wird der Staat nie sicherstellen können, denn Pädo-Kriminelle, so monströs ihre Taten sind, das sind ja keine Monster, das sind teilweise hoch intelligente, hoch empathische Menschen, die sich gezielt ihre Opfer suchen, die sympathisch sind, die sich alleinerziehende Mütter suchen, Vertrauen zu den Müttern aufbauen. Es gibt in pädo-kriminellen Kreisen so ein geflügeltes Wort, das heißt "immer über die Mutter gehen". Das heißt, das sind Leute, die es wirklich schaffen, sich das Vertrauen einzuschleichen. Entscheidend ist, dass die Mütter und dass die Eltern die Muster von Pädo-Kriminellen erkennen, damit sie einmal selber vorsichtig sind, wenn plötzlich ein Mann – und das ist eine häufige Vorgehensweise – sich anbietet auf dem Spielplatz, ich kann doch mal auf deine Kinder aufpassen, dass dann sofort die Alarmglocken angehen.

Sie locken die Kinder, indem sie sagen, kommt mit in meine Wohnung, wir spielen Play Station, wir kommen an den PC. Pädo-Kriminelle suchen sich gezielt Kinder, die Aufmerksamkeit benötigen, die zu Hause keine Liebe bekommen, und dann locken sie sie in die Wohnung, dass so ein Grundsatz gilt: Es ist nicht der Mann, der mich mit Schokolade ins Auto lockt, sondern das sind nette Leute, die mich in die Wohnung zum Spielen bitten, dass das so eine absolute Grenze ist. Die Wohnung eines fremden Mannes ist Tabu. Das ist ein wichtiger Punkt, dass, denke ich, da die Eltern noch mehr aufpassen.

Wuttke: Das heißt aber, es gibt in Deutschland viele Kinder, die zu wenig Zeit und zu wenig Zuwendung von ihren Eltern kriegen. Wer ist also stattdessen zu sensibilisieren?

Ehrmann: Das ist wirklich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weil es fällt auf, auch jetzt in einem aktuellen Berliner Fall, dass sich so ein Pädo-Krimineller ganz gezielt sozialschwache Familien sucht - in der Polizeisprache heißt das "leicht zu manipulierende Opfer" -, weil einfach viele mit der Erziehung überfordert sind, auch aufgrund der eigenen Lebenssituation (Stichwort Kinderarmut), und dann suchen sich diese Täter mit materiellen Vorteilen, aber vor allen Dingen mit Aufmerksamkeit diese Kinder. Da ist es eigentlich auch für andere Probleme, für Gewalt und Ähnliches, mehr Aufmerksamkeit den Kindern zu schenken, die Kinder vernünftig zu betreuen, ihnen Freizeitangebote zu schaffen, Musik, Sport, vor allen Dingen aber die Kinder zu festigen, dass sie ein Selbstwertgefühl bekommen. Starke Kinder werden nicht Opfer von Sexualstraftätern. Die suchen sich ganz gezielt Opferkinder, Kinder, die nie gelernt haben, Nein zu sagen. Da ist eigentlich auch die Aufgabe der Gesellschaft, Strukturen bereitzustellen, dass die Kinder in Deutschland besser betreut werden.

Wuttke: Mehr Betreuung, mehr Aufklärung für Kinder als Schutz vor Kinderschändern mit hohem Rückfallrisiko, und zwar solchen, die nicht mehr in Sicherungsverwahrung genommen werden dürfen. Dazu Georg Ehrmann, der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Herr Ehrmann, vielen Dank für diese Erläuterungen, schönen Tag.

Ehrmann: Frau Wuttke, vielen Dank. Tschüß!

Wuttke: Tschüß!