Sexualisierte Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern

Verkannte Opfer

Lagerbaus mit Wachturm und Mauer im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen
Das KZ Mauthausen - hier wurden Frauen in Sonderbaracken zur Prostitution gezwungen. © imago/Rudolf Gigler
Von Stefanie Oswalt · 14.02.2018
In zahlreichen NS-Konzentrationslagern gab es Bordelle für Häftlinge. Die Gefangenen - so Himmlers perfide Idee - sollten so zu besseren Leistungen angespornt werden. Doch bis heute sind die Zwangsprostituierten nicht als Opfer anerkannt.
"Die Frauen waren in ständiger Gefahr krank oder schwanger zu werden, durch einen serienmäβigen Geschlechtsverkehr, der je höchstens 20 Minuten dauern durfte, während draußen vor der Baracke schon eine Schlange wartender Männer stand."
So die Auschwitz-Überlebende Ruth Klüger.
"In manchen Konzentrationslagern für Männer, darunter das KZ Mauthausen, gab es sogenannte Sonderbaracken, wo Frauen, hauptsächlich im Frauenlager Ravensbrück rekrutiert worden waren, gewissen bevorzugten Häftlingen zur Verfügung standen. Dort, in der Sprache von Heinrich Himmlers unnachahmlich herablassender Menschenverachtung Zitat Himmler: ‚sollen den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden’. Ende Zitat."
Im Jahr 2016 machte die in Wien geborene Ruth Klüger anlässlich des Holocaust-Gedenktags erstmals vor einem breiten Publikum auf das Schicksal einer Gruppe von insgesamt etwa 200 Häftlingsfrauen aufmerksam, die kaum Anerkennung für ihr Leiden erfahren haben: die Zwangsprostituierten in den Lagerbordellen.
"Das ist nicht eine ‚Arbeit’, die man sich freiwillig aussucht, wie den missbrauchten Frauen nach dem Krieg manchmal zynisch vorgeworfen wurde. Die Prostituierten wurden später auch nicht als Zwangsarbeiter eingestuft, und sie hatten auch keinen Anspruch auf Restitution - die sogenannte Wiedergutmachung - oder erhoben keinen solchen. Noch weniger ihre Familien, die sich ihrer schämten."

Bis heute nicht als Opfer anerkannt

Bis heute werden diese Frauen offiziell nicht als Opfer anerkannt. Der Vorwurf der Freiwilligkeit und der Nestbeschmutzung, sowie die Scham der Frauen – all das habe in der Vergangenheit eine offene Auseinandersetzung mit dem Thema verhindert, sagt Insa Eschebach. Sie leitet die KZ-Gedenkstätte Ravensbrück und bemüht sich seit Jahren darum, dieses lange tabuisierte Thema zu vermitteln:
"Es sind nicht zuletzt die politischen Häftlinge gewesen, die sehr verachtungsvoll von den Frauen, ihren damaligen Mitgefangenen gesprochen haben und die selbst als ‚Asoziale’ disqualifiziert haben."
Aber während Gedenkstätten Zwangsprostitution im KZ lange nicht thematisierten, tauchte es in Filmen und der Literatur auf, so Eschebach, allerdings in leicht konsumierbaren Darstellungen, in denen Kitsch und Sadismus eine verstörende Wirkung eingingen, fernab jeder Realität.
"Ich denke, dass durch die Sexualisierung dieses Themas ‚Nationalsozialistische Konzentrationslager’ die Realgeschichte in Vergessenheit geraten ist, das ist mein Eindruck. Es ist eine so schematisierte, bunte pornographische Bilderwelt, die es da gibt in größerem Umfang, die sich niedergelassen hat in Filmen wie ‚Der Nachtportier‘ und verschiedenen anderen, dass die Realgeschichte da wie drunter verkümmert, durch diese Bilderflut unterdrückt wird."

Aufarbeitung beginnt in den 90er-Jahren

Erst als in den 1990er-Jahren ein größeres Interesse an sexualisierter Kriegsgewalt entstand, rückte die Frage nach den Lagerbordellen in den Fokus. Ausgangspunkt, erinnert sich Eschebach, war damals die Aufarbeitung des Topos der sogenannten Trostfrauen – Frauen, meist Chinesinnen aus den japanisch besetzten Gebieten und Koreanerinnen, die während des Zweiten Weltkriegs als Prostituierte für die japanische Armee Zwangsarbeit leisten mussten.
"In dem Zusammenhang sind aus Südkorea Leute gekommen – also Filmteams, die in Ravensbrück schon Anfang der 1990er-Jahre sich erkundigt haben nach den Bordellen in den Lagern – ja, da ging einiges zusammen."
Seither ist viel passiert. Auch wegen des Berliner Kulturwissenschaftlers Robert Sommer, der bei einem Besuch in Auschwitz von dem dortigen Bordell erfuhr und daraufhin die Geschichte der Lagerbordelle gründlich erforscht hat:
"Also ich hab‘s nicht verstanden und habe dann angefangen zu recherchieren und dann gemerkt, dass es eigentlich sehr viel Material dazu gibt, was versteckt ist, was in Archiven lagert. Es gibt einige Zeitzeugeninterviews. Und ich hab auch gemerkt, dass Zeitzeugen auch über das Thema sprechen, aber erst, wenn man sie zu dem Thema fragt. – Sehr, sehr oft wurden sie nie dazu befragt."
Wobei Sommer einräumt, dass er selbst betroffene Frauen nicht befragen konnte, weil viele nicht mehr lebten. Wer mit Sommer spricht, merkt, wie komplex und widersprüchlich das Thema Zwangsprostitution im KZ ist.
"Nun ist es eben auch so, - gerade aus den Interviews von Frauen wissen wir heute, dass die Lebensbedingungen innerhalb der Lagerbordelle – abgesehen von der Last der Sexzwangsarbeit – aus der Sicht eines Konzentrationslagerhäftlings besser waren. Das heißt: Es gab mehr Essen, es gab warme Räumlichkeiten, es gab ausreichend Hygiene und es gab keine schwere körperliche Arbeit – im Sinne von – also verstehen Sie mich nicht falsch – also im Sinne von im Steinbruch arbeiten oder Feldarbeit zu machen und nach wenigen Monaten zu schwach zu sein und dann einfach abgespritzt oder vergast zu werden."

Die Erinnerungen sind widersprüchlich

Aus heutiger Perspektive ist vieles schwer nachvollziehbar, etwa wenn Sommer berichtet, dass die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen nicht nur negative Erinnerungen an KZ-Bordelle haben. Manche Häftlinge, berichtet Sommer, schützten die Frauen sogar vor der Prostitution, indem sie die ihnen für Sex zugeteilte Zeit nur zum Reden genutzt hätten.
"Also ich glaube, man muss sich da erst mal in die Lagerpsychologie hineindenken. Selbstverständlich ist es ein Akt sexueller Gewalt, wenn ein Häftling mit der Frau verkehrt in den Lagerbordellen. Aber wenn er nicht mit ihr verkehrt, schützt er sie dadurch, dass er den Zeitraum füllt, den ein anderer Häftling füllen könnte. Ich würde nicht sagen, dass alle Männer zu Tätern wurden ... man muss differenzieren und das würde ich gerne machen."
Unter anderem geschieht das in einer neuen Dauerausstellung in Ravensbrück und einer Wanderausstellung der Gedenkstätte zum Thema Sexuelle Zwangsarbeit, an der Robert Sommer mitgearbeitet hat. Das akademische Wissen solle stärker in die Öffentlichkeit getragen werden, so die Historikerin Insa Eschebach – auch mit Blick auf gegenwärtige Entwicklungen weltweit:
"Es ist jetzt an der Zeit, darüber zu sprechen und ich denke auch, diese Verbrechensdimensionen dann auch in den Kontext mit anderen Formen sexualisierter Kriegsgewalt zu sehen. Das denke ich, ist jetzt schon an der Zeit."
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