Sex & Crime auf dem Lande

18.03.2010
Der idyllische Landsitz Stonefield, in einer typisch britischen Landschaft gelegen, bietet sich Schriftstellern als Refugium und Arbeitsstätte an. Doch die trügerische Idylle wird schon bald gestört durch zwei Morde. Posy Simmonds' Graphic Novel begeistert durch formale Experimentierfreude.
Eine typisch britische Landschaft aus Wiesen, Hecken und Hügeln, traulich stehen Kühe und Kälbchen auf der Weide. Gelbe und weiße Blümchen schimmern durch das Gras, die Idylle wäre perfekt, wenn nicht ein Polizeiauto über den Feldweg rumpeln würde. Schon das erste Bild in Posy Simmonds Graphic Novel "Tamara Drewe" zeigt, dass hier Unheil im Anmarsch ist.

Das Buch führt in ein Schriftstellerrefugium, für das mit dem Slogan "am grünen Rand der Welt" geworben wird. Der Slogan ist eine Verneigung vor dem Roman "Far from the Madding Crowd" (deutsch: "Am grünen Rand der Welt") des Briten Thomas Hardy, bei dem Posy Simmonds sich einige Motive für ihre Graphic Novel geliehen hat. In ähnlicher Weise hatte sie ihren früheren Comicroman "Gemma Bovery" auf Flauberts "Madame Bovary" bezogen.

Die gute Seele des Schriftstellerheims ist Beth, die Gattin des Bestsellerautors Nicholas Hardiman. Sie umsorgt nicht nur ihren schreibenden Mann als Leibköchin, Assistentin und Erstlektorin, sie kümmert sich genauso aufopferungsvoll um die anderen Autoren, die den Landsitz Stonefield zum Arbeiten nutzen. Für die Handlung wird Glen Larson wichtig, ein dicklicher, verdruckster Wissenschaftler aus Arkansas, der in Stonefield endlich seine Romanbiografie über Paul Verlaine zu Ende bringen will.

Der Sex bringt die stille Einöde von Stonefield alsbald zum Tanzen. Nicholas Hardiman ist ein notorischer Fremdgänger, der gerade erst eine Affäre hinter sich gebracht hat. Auf dem Nachbarhof taucht nun die Titelfigur auf, Tamara Drewe, eine höchst ansehnliche junge Frau, die ihre Erlebnisse für eine Klatschkolumne in einer bekannten Londoner Zeitung ausschlachtet. Als Lover bringt sie den Schlagzeuger einer angesagten Band mit aufs Land, was die weibliche Dorfjugend in einen schwärmerischen Ausnahmezustand und zur Belagerung ihres Hauses treibt. So prallen verschiedene soziale Szenen aufeinander: die bürgerlichen Mittelschichtsautoren, die Glamourwelt von Tamara und ihrem Schlagzeuger, das dörfliche Jungprekariat.

Die erste sexuelle Entladung liefern eine empfängniswillige Ziege und ein passender Bock, die Menschen folgen alsbald nach. Tamara Drewe verdreht allen Männern in Stonefield den Kopf, einige davon macht sie kurzzeitig glücklich. Am Ende aber liegen zwei Leichen herum, eine neben der Viehtränke, während die Kühe daneben unschuldig tun und friedlich grasen.

So kreuzbrav wie die britische Vorzeigelandschaft wirken zunächst auch die Zeichnungen von Posy Simmonds. Ihr matte Farbigkeit und ihr schlichter Gestus gaukeln eine Sicherheit vor, die von den Ereignissen immer mehr durchlöchert wird. Nur in den Gesichtern der Figuren kann man schon früh die Wut ablesen, die sich irgendwann entladen muss.

Beeindruckend ist, wie frei Posy Simmonds mit Text und Bild umgeht. Sie schiebt längere Textblöcke ein, dann aber wieder die typischen Bildfolgen einer Comicerzählung. Sie bildet Tagebuchnotizen ab, Briefe, E-Mails, Handyfotos. Die Geschichte springt zwischen Gegenwart und Erinnerung hin und her, zwischen den subjektiven Perspektiven einzelner Figuren und der Draufsicht eines klassischen Erzählers.

Kaum eine Seite ist so gestaltet wie die vorhergehende, sodass man sich als Leser immer neu durch die verschiedenen Bild- und Textebenen einen Weg bahnen muss. Vor allem diese formale Experimentierfreude überzeugt an diesem Bilderroman, der mit bösem Blick auf die Freuden des Landlebens und die moralischen Qualitäten einer Literatengesellschaft schaut.

Besprochen von Frank Meyer

Posy Simmonds: Tamara Drewe
Aus dem Englischen von Uli Pröfrock
Reprodukt Verlag, Berlin 2010,
136 Seiten, 20,00 Euro