Seichte Unterhaltung statt Information

Rezensiert von Thomas Jaedicke · 10.02.2006
Jürgen Bertram war selbst 28 Jahre beim Norddeutschen Rundfunk tätig. Nun, nach seiner Pensionierung, fährt der ehemalige Asien-Korrespondent in seinem Buch "Mattscheibe" schweres Geschütz gegen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf. Sein Vorwurf: Die Programme werden ihrem Informationsauftrag nicht mehr gerecht.
Der Fernseh-Journalist Jürgen Bertram, 28 Jahre in verschiedenen - auch leitenden - Positionen beim NDR tätig, fährt schweres Geschütz auf: Massiv kritisiert der inzwischen pensionierte Asien-Korrespondent die personelle Besetzung in den ARD-Chefetagen. Ahnungslose Intendanten und Programmdirektoren versuchten durch arrogantes Auftreten ihre intellektuelle Hilflosigkeit zu kaschieren.

Wo Menschen, nur weil sie das richtige Parteibuch in der Tasche haben und Opportunismus zu ihren wichtigsten Instrumenten zählen, in einflussreiche Positionen gelangen, hat Qualitätsprogramm nach Bertrams Ansicht eben keine Chance. Solange Hierarchien ohne "sinnlichen Bezug zu ihrem von Kreativität und der Phantasie lebenden Medium" das Sagen hätten, werde der Niedergang des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht zu stoppen sein.

Jürgen Bertram überzieht in seiner Kritik stark. Vielleicht polarisiert er bewusst, weil ihm soviel am öffentlich-rechtlichem System liegt, dem er doch beruflich alles verdankt? Für seinen oft polemischen Text befragt er jedoch ausschließlich Wissenschaftler und ehemalige Kollegen, die seine an vielen Stellen verkürzte Argumentation stützen.

Wenn in einer Zeit der Globalisierung, in der Hintergrundinformation immer wichtiger werde, politische Magazine von 45 auf 30 Minuten gekürzt werden und stattdessen der gefälligen Unterhaltung noch mehr Sendezeit eingeräumt werde, kollidiere das mit dem "Informationsauftrag der ARD", behauptet Bertram. Nach jüngsten ARD-Informationen erreichen die verkürzten Magazine allerdings mehr Zuschauer als zuvor.

Wenn ARD oder ZDF stundenlang live über königliche Hochzeiten berichten, wird das nach Bertrams Erfahrung gern mit dem Totschlagsargument "Die Leute wollen das so" gegen Kritik verteidigt. Andersherum gesehen habe das Publikum doch gar keine Chance auszuweichen, wenn sich die Öffentlich Rechtlichen bei jeder sich bietenden Gelegenheit simultan in ein elektronisches "Goldenes Blatt" verwandelten. Angeführt von NDR-Chef-Hofberichterstatter Rolf Seelmann-Eggebert, der mit leiser Stimme minutenlang bedeutungsschwanger leere Limousinen beschreibe und sich im Laufe der Jahre von einem ernsthaften politischen Redakteur in "dieses Einstecktüchlein eines Journalisten" (Die Zeit) verwandelt habe.

Ähnlich sei es mit der im Programm überdosierten Volksmusik. Dieses Produkt wirke wie Drogen: Es beruhige das Publikum durch Ablenkung und mache so unfähig, gesellschaftliche Wirklichkeiten und Widersprüchlichkeiten auszuhalten. Der "gejodelte Trost" stille das steigende gesellschaftliche Orientierungsbedürfnis wie ein Glas Salzwasser den Durst. Inhaltlich anspruchsvolles Programm werde auf Sonderkanälen wie Arte nur noch für intellektuelle Minderheiten vorgehalten. In den Hauptprogrammen rutschten diese Inhalte jedoch auf immer spätere Sendeplätze, wo sie kaum noch gesehen würden, um dann zu argumentieren: Warum sollte das früher gezeigt werden, das wolle doch sowieso niemand sehen.

Auch im öffentlich-rechtlichen Hörfunk sei man inzwischen sehr weit von den journalistischen Standards, die die Männer von der BBC bei Gründung des Systems nach dem Zweiten Weltkrieg setzten, sehr weit entfernt. Fast auf allen Wellen würde das Wort immer weiter zurückgedrängt, sei die "Häppchenkultur" auf dem Vormarsch. Allerdings sieht Bertram nicht nur schwarz. Beim Hessischen Rundfunk hätten sich Hörerinitiativen beispielsweise erfolgreich gegen die Einstellung des politischen Magazins "Der Tag" auf HR 1 gewehrt. Bundesweit habe es positive Reaktionen auf diesen Widerstand gegen die zunehmende "inhaltliche Erosion" im öffentlich-rechtlichen Hörfunk gegeben.

Für seine Analyse zieht der 65-jährige Jürgen Bertram viele anerkannte Wissenschaftler und ehemalige Kollegen heran. Da es sich jedoch ausschließlich um Kronzeugen in seinem Sinne handelt, hinterlässt seine Arbeit trotz der sicherlich teilweise angebrachten Kritik einen holzschnittartigen Eindruck. Zudem verzehren die meisten seiner Ex-Kollegen auch schon längst in schattigen Gärten ihre Pension.

Warum hat der scharfsinnige Beobachter Bertram das nicht schon alles während seiner aktiven Zeit angesprochen? Da hätte er sicher mehr bewirken und bewegen können, als jetzt auf diesem Weg nach zu karten. Oder hatte er vielleicht damals auch Angst um seine NDR-Pension?

Jürgen Bertram: Mattscheibe - Das Ende der Fernsehkultur
Fischer Taschenbuch Verlag, Franfurt am Main
240 Seiten, 8,95 Euro