Sehnsucht nach dem anderen Griechenland

23.02.2012
In seinen Reiseerzählungen aus den 60er-Jahren schildert der britische Autor Patrick Leigh Fermor ein Griechenland, über das heute kaum jemand spricht. Er charakterisiert bezaubernde Städte, Inseln und Landschaften - und berichtet vom menschlichen Miteinander der Hellenen.
1966 erschienen Patrick Leigh Fermors "Reisen im Norden Griechenlands" erstmals im Original, und selbstverständlich klingen diese Berichte heute wie Klänge aus längst vergangenen Zeiten. Das Griechenland, von dem hier die Rede ist, kennt heute kaum noch jemand: unberührt fast vom Tourismus und den Segnungen und Flüchen der technisierten Moderne, ein Griechenland, dem Byzanz weitaus näher liegt als New York, London, Tokio.

Einerseits. Andererseits spricht Fermor in "Rumeli" ganz unvergängliche Gefühle und Sehnsüchte an. Er erzählt von Hochzeiten, Klöstern, von der kretischen Schicksalsgemeinschaft während der deutschen Besatzung, kurz gesagt: vom menschlichen Miteinander, von Liebe, Zuneigung, Freundschaft und Vertrauen. Mögen seine Berichte stellenweise noch so gelehrt sein und historisch in die Tiefe gehen, nie vergisst er doch die unmittelbare Anschauung, stets bleibt er wach und empfänglich für die Phänomene des Augenblicks.

Fermors Verbundenheit mit Griechenland rührt aus den frühen 30er-Jahren. Da war er, gerade 19 Jahre alt, auf seiner berühmten Wanderung von England nach Konstantinopel, längere Zeit hier hängen geblieben, hatte sich verliebt, nicht nur in eine Frau, sondern in ein ganzes Volk und darüber hinaus in die vielfältigen Landschaften, in denen dieses Volk zu Hause war und ist. Schnell lernte er Griechisch, lebte während des Krieges drei Jahre lang als britischer Offizier unter kretischen Schäfern, entführte einen deutschen General und baute sich schließlich auf dem Peloponnes ein Haus.

Als "Rumeli" 1966 erschien hatte Fermor bereits ein Buch über die Mani geschrieben, einen damals noch ausgesprochen archaischen Zipfel im Süden der großen Halbinsel. Seine Reisen durch Nordgriechenland, von denen das nun vorzüglich neu übersetzte "Rumeli" berichtet, führen ihn schließlich nach Thrakien, wo ihn das Hirtenvolk der Sarakatsanen faszinierte, nach Meteore, zu den Klöstern, die wie Schwalbennester auf bizarren Felsen sitzen und heute zahllose Touristen anlocken, Anfang der 60er-Jahre aber fast verlassen waren. Außerdem reist er am Golf von Korinth entlang, auf der Suche nach einem paar Schuhe, das der im griechischen Unabhängigkeitskrieg gestorbene Dichter Lord Byron hier zurückgelassen haben soll.

Einer der sechs Berichte in diesem durchschnittlich umfangreichen, aber einzigartig reichhaltigen Buch, widmet sich dem "hellenisch-rhomäischen Dilemma", und damit den zwei Seiten des Griechentums, seiner heidnisch-antiken und seiner byzantinisch-orientalischen Seite. Außerdem findet sich neben dieser aufschlussreichen Wesensschau noch eine kurze Hommage an die "Laute der griechischen Welt", eine bezaubernde Charakterisierung der einzelnen Städte, Inseln und Landschaften, und zwar anhand von Klängen, die Fermor, der wie niemand sonst intellektuelle Arbeit mit sinnlicher Einfühlung vereint, mit diesen Orten in Verbindung bringt: "Sparta ein klirrender Amboss, Mykene eine fallende Axt, Ithaka das Schwirren eines Pfeils." Dem möchte man nach der Lektüre sofort folgen.

Besprochen von Tobias Lehmkuhl

Patrick Leigh Fermor: Rumeli. Reisen im Norden Griechenlands
Übersetzt von Gabriele Kempf-Allié und Manfred Allié
Dörlemann Verlag, Zürich 2012
384 Seiten, 24,90 Euro