Science-Fiction-Krimi

Thatcher und Snowden in der Zukunft

Die Überwachungsdrohne der Polizei "md 4-200"
In seinem düsteren Science-Fiction-Krimi "Drohnenland" widmet sich Tom Hillenbrand den digitalen und sozialen Phänomenen unserer Zeit. © picture alliance / dpa / Peter Steffen
Von Marten Hahn · 12.06.2014
Ein Toter am Stadtrand von Brüssel – der Kommissar schickt Drohnen, die sollen ermitteln. Tom Hillenbrands Krimi spielt in der Zukunft mit amüsanten Verweisen auf politische Entwicklungen der Gegenwart.
Ein italienischer EU-Parlamentarier liegt tot im Schlamm. Erschossen. Am Stadtrand von Brüssel, kurz vor der Abstimmung über die neue EU-Verfassung. Um den Mörder zu finden, setzt Europol Hauptkommissar Aart van der Westerhuizen auf den Fall an, schickt eine Heerschar von Drohnen an den Tatort und lässt diesen zu Ermittlungszwecken duplizieren und als virtuellen Raum speichern. Was man eben so macht im Europa der nahen Zukunft. Doch bald stößt Westerhuizen auf politisch motivierte Widerstände aus den eigenen Reihen.
In seinem düsteren Science-Fiction-Krimi "Drohnenland" widmet sich Tom Hillenbrand den digitalen und sozialen Phänomenen unserer Zeit. Bereits heute machen Polizisten in Dubai mit Hilfe von Googles Datenbrillen Jagd auf Kriminelle. Terroristen werden ausgeschaltet, bevor sie selbst wissen, dass sie zu Terroristen werden - sehr erhellend berichtet darüber der US-Journalist Jeremy Scahill in seinem Buch "Dirty Wars". Und um Polizeidrohnen über Mitteleuropa kreisen zu sehen, genügt ein Besuch bei der Berliner Polizei.
Plausibles Szenario der Totalüberwachung
Wie so oft bei Büchern am Puls der Zeit ist der Autor Journalist. Tom Hillenbrand, geboren 1972, studierte Europapolitik, volontierte an der Holtzbrinck-Journalistenschule und war Ressortleiter bei Spiegel Online. Anders als vielen seiner Kollegen allerdings gelingt Hillenbrand etwas Großes: Er entwirft ein plausibles Szenario eines totalüberwachten Europas und verpasst dem Genre Krimi ein lange überfälliges Update.
Angelehnt an Filme wie "Inception" und "Blade Runner" stellt "Drohnenland" die Fragen: Was ist echt? Was ist falsch? Wie viel Realität steckt in virtueller Realität? Wer in Hillenbrands Europa noch über die Balance von Freiheit und Sicherheit diskutieren will, kommt Jahre zu spät. Jeder hängt hier, dank "Datenkorona", längst an der digitalen Leine des Sicherheitsapparats.
Plumpe und klischeehafte Romanze
Von den literarischen Unzulänglichkeiten des Buchs sollte man sich nicht abschrecken lassen. Das anfängliche Schaulaufen smarter Kleiderschränke, hochwertiger 3D-Drucker und kleiner und großer Tische mit Medienfolien scheint dem Autor großen Spaß bereitet zu haben. Der Leser hingegen denkt: Eine Aneinanderreihung von Gadgets ergibt noch keine Geschichte. Und auch die sich andeutende Romanze zwischen Westerhuizen und seiner - selbstverständlich - sehr attraktiven Datenanalystin verpackt Hillenbrand plump und klischeehaft. Der Plot erweist sich jedoch um einiges intelligenter, als Romananfang und -sprache vermuten lassen.
Immer wieder gelingen Hillenbrand zudem amüsante Verweise auf politische Entwicklungen unsere Gegenwart und jüngsten Vergangenheit. Die "Separatistin" Margaret Thatcher taucht in einem Anti-EU-Video auf, das Spiegel-Gebäude in Hamburg hat einen Cameo-Auftritt und auch NSA-Whistleblower Edward Snowden findet Platz im Buch, ohne jedoch beim Namen genannt zu werden.
Wer die menschliche Seele ergründen will, sollte etwas anderes lesen. Wer aber lesen will, wohin es gehen kann in Zeiten von Digitalisierung, Drohnen, Datenbrillen und schwindender Privatsphäre, der ist bei "Drohnenland" richtig.

Tom Hillenbrand: Drohnenland
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013
432 Seiten, 9,99 Euro